Yoram Roth hat digitale 3D-Fotografie analog adaptiert.
In einem Dachgeschoß in Moabit stehen noch ein paar Kulissen. Die letzten Zeugen einer monatelangen Arbeit. Das Ergebnis wird an 19. September 2015 bei in der CWC Gallery von Camera Work präsentiert. Der Mann, der sechzig neue Werke zeigen wird, ist erstaunlich entspannt. Es ist die vierte Serie, die er geschaffen hat. Ein Newcomer? Mitnichten. Seit Jahren setzt sich der Künstler mit dem Medium auseinander. Aber erst wenn Yoram Roth mit seinen Werken einverstanden ist, stellte er sie vor. Der Mann ist Perfektionist. Drum ist es wenig erstaunlich, dass die Galerie in ihm einen ihrer „Shooting-Stars“ hat. Egal ob auf der Paris Photo oder der Tokyo Photo – seine Ästhetik ist unmittelbar und in (fast) jedem kulturellen Kontext lesbar. Er bedient sich Referenzen, die scheinbar bekanntes neu erlebbar mache. Besonders bei der Serie „Personal Disclosure“, die jetzt vorgestellt wird. Die Sujets, teils aus der Antike, teils mit Verweisen auf klassische Mythologie, lenken den Blick des Betrachters. Was sich leider nicht über die Darstellung auf dem Bildschirm vermitteln lässt: Yoram Roth hat digitales 3D analog adaptiert. Seine großen Formate sind mit Guckkästen vertieft, die den Blick des Betrachters lenken. In der Tiefe liegen Details, noch dazu farbig hervorgehoben. Es sind also zwei Arbeiten in einem Rahmen. Die Gesamtkomposition als großes Ganzes, die Ausschnitte als „Eycatcher“. Der Künstler hat wenig Angst, sich auf ein Feld zu begeben, dass von der Malerei in Jahrhunderten abgearbeitet wurde. Barocke Lichtsituationen sind nur ein Beispiel. Yoram Roth bedient sich. Und schafft es, den gefährlich nahen Grad zum Kitsch nie zu überschreiten. Seine Arbeiten zeigen, dass Fotografie – trotz Instagram und Co – längst nicht Alltagsmedium ist.
Interview mit Yoram Roth
Yoram, wie bist Du zu Fotografie gekommen?
In der zehnten Klasse durften wir den Kunstkurs durch einen Fotokurs decken, das war super. Allein ohne Lehrer als eine Gruppe von Teenage-Jungs und – Mädchen den ganzen Nachmittag in der Dunkelkammer, dazu The Cure und Gary Numan auf Cassette. 1984.
Was reizt Dich an Fotografie?
Wir werden täglich mit hunderten von Bildern konfrontiert. Wir leben in einer optischen Welt, mit einer unglaublichen Reizüberflutung. Ich möchten eine Art Pause schaffen. Einen Moment, sich zu vertiefen, sich Zeit zu nehmen. Wenn Betrachter auf meinen Arbeiten mit den Augen spazieren gehen, dann bin ich schon sehr zufrieden.
Es ist die vierte Serie, die Du produziert hast. Was hat sich in Deiner Wahrnehmung verändert?
Die Geschichte wird unwichtiger. Ursprünglich waren meine Motive ein kleines Kopfkino, ich wollte dass der Betrachter sich überlegt was vielleicht grade passiert ist, oder was die Person im Bild empfindet. Das ist in meiner Arbeit mehr in den Hintergrund gerückt, jetzt möchte ich eher das Empfinden des Betrachters direkt ansprechen.
Den nackten Körper will ich als Zugang zum Essentiellen nutzen
Das aktuell gewählte Sujet hat zig Referenzen. Welche sind Dir besonders wichtigt?
Wie jeder Erst-Semester Kunststudent musste ich mich auch mit dem Barock, besonders mit Caravaggio und Artemisia Gentileschi befassen. Die ganzen neuen Arbeiten setzen sich aus dieser Epoche mit der Hell-Dunkel-Malerei von Chiaroscuro auseinander um den Körper zu abstrahieren.
Die Akte haben für Dich nichts mit Erotik zu tun – warum nicht?
Für mich ist der nackte Körper etwas unbeschütztes, was verletzliches. Ich habe nichts gegen Sex oder Erotik, aber in diesem Projekt wollte ich den nackten Körper als emotionelles Vehikel nutzen, als Zugang zum Essentiellen. Fotografische Motive müssen sich mit dem Filter auseinander setzen, den der moderne Mensch aufbauen musste. Wenn wir einen Zeitreisenden zweihundert Jahre vorwärts in unsere Gegenwart katapultieren würden, wäre der binnen Tagen ein absolutes Wrack. Wir haben gelernt zu filtern. Und als erstes kam da die Erotik ins Spiel. In diesem Sinne sehe ich wenig kreative Gelegenheit in einer fotografischen Bildsprache. Ehrlich gesagt finde ich erotische Fotografie langweilig. Ich entdecke da nichts neues. Ich finde Schock langweilig, und wahre Erotik ist persönlich.
Wie bist Du auf die Idee gekommen, analoge 3D Fotografie zu „erfinden“?
Ha, erfunden gefällt mir. Ich sehe das etwas anders, muss da aber mal kurz ausschweifen. Mein letztes grosses Projekt war “Hanjo”, ein hand-gemachtes Buch mit einer Mikro-Auflage von 25 Editionen. Das basierte visuell auf der frühen japanischen Wet Plate Collodium Fotografie, die dann von Künstlern handgefärbt wurde. Parallel befasste ich mich auch mit den Arbeiten von Peter Beard, der seine Abzüge bemalte und somit Unikate herstellte. Eine Künstlerin die mich sehr inspiriert ist Tina Berning, die Motive von Michelangelo di Battista auseinander schneidet, wieder zusammen setzt mit Stoff, Fäden, Nägeln, und Büroklammern und dann übermalt. Durch physische Nachbearbeitung ergab sich die Möglichkeit den Betrachter ins Bild zu führen, entweder direkt zum Hauptelement oder dran vorbei, als zweite Entdeckung.
Die Bilder finden auch körperlich auf zwei Ebenen statt. Nach welchen Kriterien wählst Du die Ausschnitte?
Ursprünglich war es Frust. Das Projekt wollte nicht kreativ aufgehen. Ich war unzufrieden, mochte aber diverse Elemente der Motive. Ich hatte sehr viel zu tun zwischenzeitlich und hatte keine Gelegenheit neue Bilder zu machen. Also sass ich am Rechner und habe existierende Bilder bearbeitet, zoomt hin und her. Irgendwann kam ich vom Kaffee holen zurück aus der Küche und sah ein Detail das den ganzen Bildschirm füllte. Ich fand etwas sehr ästhetisches und mysteriöses. Es reichte mir aber trotzdem nicht, da das Motiv ohne Zusammenhang keinen Sinn machte. Ich wollte mehr zeigen und so fing ich an über verschiedene Materialien nachzudenken.
Entsteht der Bildaufbau während des Shootings oder hast Du schon vorher das fertige Bild im Kopf?
Mittlerweile ja. Nachdem ich die Bildsprache beherrschte fiel es mir leicht die Motive von vornherein so zu konzipieren. Aber ganz am Anfang war es eine Überraschung nach dem Shoot zu sehen was am interessantesten war.
Die inszenierte Fotografie ist die jüngste Form der hohen bildlichen Kunst
Fotografie ist die arme Schwester der Malerei…. Deine Sicht?
Ach, die Ansicht stört mich nicht, ich sehe es aber eher als die Tochter, und nicht eine Schwester. Malerei gibt es seit Anbeginn der Kunst. Die inszenierte Fotografie ist die jüngste Form der hohen bildlichen Kunst. Ja, es gibt Fotografen, die rennen mit Kameras rum und haben einen eigenen Stil. Aber am Ende ist das alles eine Art Fotojournalismus. Ein Motiv komplett zu inszenieren, es komplett zu erfinden – das ist schon etwas wie malen.
Welche Fotografen inspirieren Dich?
Gregory Crewdson ist der ganz grosse Meister der modernen Kunstfotografie. Erwin Olaf hat eine ganz markante Farbpalette. Künstler wie Christian Tagliavini oder Paulo Ventura machen tolle Sets und Kostüme. Izima Kaoru brach als einer der ersten durch den visuellen Modefilter durch, genauso wie Miles Aldridge. Und dann gibt es natürlich David LaChapelle, der überhaupt keine Angst hat Geschichten visuell neu zu erkunden.
Warum sind deine Arbeiten in der Regel Unikate?
Ich habe kein Bock auf Editionen. Das hat nichts mit Kunst zu tun, sondern ist ein Restübel aus den Anfängen der Fotokunst. Man entdeckte Fotografie als Kunst, hatte aber das Problem, dass es technisch möglich war mehrere Abzüge zu machen. Also gab es limitierte Auflagen. Es gibt aber keinen echten Grund dafür, ausser das es möglich ist. Bei Skulpturen gibt auch einige gegossene Editionen, aber es ist eigentlich die Ausnahme – und totaler Quatsch. Ich finde es aufregend ein Bild zu machen, dass ich dann wahrscheinlich nie wieder sehen werde.
Es sind einige Gewerke in den Prozess involviert. Wie behälst Du die Kontrolle?
Ich bin dankbar das Recom Art hier in Berlin das alles für mich führt. Mein Retoucher bearbeitet die finalen Produktionsdateien, das ist ein riesiger Aufwand. Dann übernimmt Recom Art in Berlin die Produktion. Die drucken auch die Crops in ihrem eigenen gewachsten Ditone Papier Verfahren. Zwischenzeitlich müssen die matten Acryl Diasecs von Grieger aus Düsseldorf empfangen werden, damit Thein & Rios, die Fine Art Stahlbauer die internen und externen Rahmen fertigen können. (VIDEO LINK) In den frühen Phasen habe ich probiert das selber zu machen, das ging gar nicht.
Was macht Dich glücklich?
Zeit mit meinen drei Söhnen.
Ausstellung: Yoram Roth „Personal Disclosure“
Ausstellung: 19. September bis 14.!November 2015
CWC GALLERY // Auguststraße 11–13 // 10117 Berlin
Öffnungszeiten: Dienstag – Samstag 11–19 Uhr // Eintritt frei
Interview: Andreas Tölke / Fotos für ARTberlin: Graeme Vaughan