Yvonne Borrmann öffnet uns die Tür. Um uns herum zwitschern die Vögel, die Bäume rauschen im Wind. Wer der Sammlerin bisher nur an den Orten, der Kunstwelt begegnet ist, der wird überrascht sein. Jene schöne Kunstkennerin, die auf allen wichtigen Kunstmessen zu finden ist, die immer zu wissen scheint, wen oder was sie dort sucht, welcher junger Künstler Talent hat und fast wie nebenbei eine köstliche Unterhaltung führen kann, lebt mit drei kleinen Kindern und ihrem Mann in der urban ländliche Idylle von Dahlem, die sich schon fast nicht mehr wie Berlin anfühlt. Der Spagat muss nicht einfach sein: ausgestattet mit Argentinischem Temperament, einer unerschöpflichen Leidenschaft für (durchaus großformatige) Kunst, Theater und dem Reisen, war der Umzug ins stille Dahlem mit Sicherheit eine Tat aus Liebe zur Familie.
Zuerst wollte ich unser Interview eigentlich gar nicht bei uns Zuhause stattfinden lassen, sagt sie, während sie uns mit Erdbeeren umsorgt und den Milchschaum für den Kaffee aufschäumt.
Ich zucke zusammen. Gleichzeitig bleibt mein Blick an der Küchenwand hängen. Dort, über dem Spülbecken hängt die Arbeit „Trying to draw the star of David with my left hand“ des jungen Israelischen Künstlers Ariel Reichman. Oder besser gesagt, die Skizze dazu, welche Ariel an seine eigene Küchenwand gezeichnet hatte. Die eigentliche Arbeit befindet sich in der Sammlung des Ehepaar Kohorst, Freunde der Borrmanns. Da aber Yvonne auf Wunsch des Künstlers die Arbeit auch bekommen sollte, wurde die Skizze kurzer Hand aus der Wand geschnitten und der Sammlerin unter dem Weihnachtsbaum in Argentinien überreicht.
Was war denn der Grund für dein Zögern? frage ich.
Na ja, wir selbst bezeichnen die Arbeiten, die wir bei uns zu Hause haben nicht als Sammlung. Es fühlt es sich einfach noch nicht so an, als dass wir uns mit wirklich großen Sammlungen vergleichen könnten – das fände ich anmaßend. Wir fahren oft einfach los und kaufen spontan. Die Arbeiten hier sind privater Raum für mich. Aber dann habe ich mich erinnert, dass ich es in Paris oder Basel auch immer toll finde, wenn Sammler ihre privaten Räume und Sammlungen für mich öffnen.
WAS BERÜHRT DICH AN ZEITGENÖSSISCHER KUNST? Kunst macht für mich die Welt auf einer sinnlichen Ebene spürbar. Ähnlich wie die Oper oder das Theater. Sie gibt mir eine Ahnung vom Nicht-Fassbaren und schafft „Euphorisierungsspritzen“ im Alltag. Das Spannende an der zeitgenössischen Kunst ist ja, dass sich das Gedankengut dahinter oft erst auf den zweiten Blick erschließt. Und genau dieses macht das Werk dann interessant oder eben auch nicht. Sagt sie und zitiert Schürmann: Kunst ist dir immer ein Stück vorausIhre Mutter und eine Freundin haben sie an Kunst herangeführt – mittlerweile sind viele Freunde Künstler oder Sammler. Der Anspruch von Yvonne Borrmann an Kunst, die sie kauft ist so charmant entschieden wie sie selbst:
Es muss mich vom Hocker hauen.
Und ihren Mann auch. Sie kaufen zu zweit und doch jeder für sich. Die gemeinsame Auseinandersetzung mit Kunst empfindet sie als etwas Erhabenes neben dem Alltäglichen in einer Beziehung.
Manchmal kommt er mit einer Arbeit an, die mich nicht auf den ersten Blick unbeeindruckt lässt, bis ich nach ein paar Tagen realisiere was in ihr steckt. Nicht selten wird sie dann zu einem meiner Lieblingswerke.
WER STEHT DENN MOMENTAN AUF DEINER WATCH LIST? Vor allem jüngere Positionen wie Gregor Hildebrand, Thilo Heinzmann und Emily Hass. Wobei ich natürlich auch gar nichts gegen eine Arbeit von William Kentridge oder Douglas Gordon hätte!
Yvonne Borrmann lebt Kopf an Kopf mit der Kunst
Wir streifen mit Yvonne durch das dreistöckige Haus. Jeder Zipfel im Borrmanschen Heim ist wohl bedacht für die Kunst genutzt. Im Wohnzimmer hängt ein Bild von Nathan Peter, der mit den Grenzen des Leinwandbildes spielt und eine großformatige Arbeit von Matt Mullican. Daneben steht eine Bank von Dan Peterman und im Garten leuchtet eine Ring-Skulptur der jungen Lichtkünstlerin Susanne Rottenbacher. Nur die langgestreckte, meterhohe Arbeit von Jorinde Voigt, die hat es beinahe nicht ins Haus geschafft. Der Kunstlieferant streikte, als er die Zeichnung zuerst durch die Tür und dann an der Wand direkt an der Treppe anbringen sollte. Jorinde Voigt hängt heute nur dort, weil Yvonne Borrmann ihr Augenmaß und ganzes Temperament einsetzte und entschied: das passt da hin, und zwar nur da.
Auf dem Dachboden liegt Olafur Eliasson
Auf dem Boden des galeriehaft weiß getünchten Dachgeschoss liegt ein Olafur Eliasson. Es ist einer der Schiffsmasten, die Olafur Eliasson in einer Kunst-Guerilla Aktion vor zwei Jahren in ganz Berlin verteilen ließ.
Kunst ist für mich wie ein Wachrütteln, das mich zum Nachdenken bringt aber auch Humor haben darf. Für all das steht der Baum hier. Wir nennen es lachend unser „günstigstes“ Kunstwerk: 20 € für den Kurier haben wir dafür ausgegeben, nachdem mein Mann den Mast am Savignyplatz entdeckt hat. Wir hatten kurz davor von der Eliasson-Aktion gehört und schnell zu geschlagen.
WIE GEHEN DENN EURE KINDER MIT DER KUNST IN IHREM SPIELZIMMER UM? Für unsere Kinder ist Kunst etwas ganz Normales, sie springen auf dem Baumstamm von Eliasson herum und spielen mit den Lampen von Jorge Pardo. Sie wachsen in die Kunst hinein. Manchmal schleifen wir sie mit in Galerien. Die Größere findet das toll, da sie selbst sehr gerne malt, die Mittlere nicht so. Man bekommt aber als Kind immer etwas mit, eine bestimmte Atmosphäre in der wir sie aufwachsen lassen.
Die Sammlung Evergreen konzentriert sich auf Hauptwerke Berliner Künstler
Das Platzdilemma rund um die große Arbeit von Jorinde Voigt mag einer der Gründe gewesen sein, der in den Borrmanns die Idee für ein weiteres Sammlungskonzept hat reifen lassen, das sie seit einiger Zeit bereits im Stillen umsetzen. Die Sammlung Evergreen konzentriert sich auf Hauptwerke von in Berlin lebenden und arbeitenden Künstlern. Mittlerweile finden sich hier Arbeiten von u.a. Ceal Floyer, Jorinde Voigt, Christian Jankowski, Daniel Lergon und Tacita Dean.
Mittlerweile leben fast alle großen zeitgenössischen Künstler in Berlin, aber ihre Arbeiten werden so oft von internationalen Sammlern erworben und damit aus Berlin „weggekauft“. Wir haben uns gefragt wie man das ändern kann und so ist die Sammlung Evergreen entstanden.
Die Sammlung ist als OHG aufgebaut, was „ewig bestehend“bedeutet, und damit langfristig angelegt ist. Bisher hat sie jedoch noch keinen physischen Raum. Aber die Vision ist klar: Die Arbeiten sollen ausgestellt werden, in Museen aber auch in anderen öffentlichen Räumen. Im Gegensatz zur eher intuitiven Herangehensweise mit der sie für ihr Zuhause auf Kunst zugehen, haben sich die Borrmanns für die Sammlung Evergreen klare Kriterien für den Kunsterwerb gesetzt:
Wir kaufen Kunst von Berlinern Künstlern, oder jenen, die in Berlin gelebt haben. Und zwar deren entscheidenden Werke und das sind eben oft sehr großformatige Arbeiten oder Serien in großer Stückzahl, die nicht auseinander gerissen, sondern als Gesamtwerk wirken sollen.
Ein Statement zu Berlin als Kunststadt also und eine Hommage an die Künstler, die sie dazu machen. Als wir uns von Yvonne Borrmann verabschieden, geht es mir durch den Kopf, dass die Stadt Berlin sich hiervon stärker inspirieren lassen sollte.