Türöffner in die Villa Grisebach: Ein Brief an Bernd Schultz
Ein Brief also. Ein richtiger, per Post geschickter Brief war der Beginn unserer Begegnung mit der Villa Grisebach, das erfolgreiche Auktionshaus im Schlösschen neben dem Literaturhaus in der Fasanenstrasse. Daniel von Schacky, der Leiter für die Abteilung Zeitgenössische Kunst hatte uns einen Tip gegeben. Bernd Schultz, der Mitgründer des Auktionshauses und sein Herr Papa, antworte grundsätzlich nicht auf Emails, er ziehe Briefe eben vor. Also schrieben wir ihm einen, und während unsere Finger sich noch vom Krampf der ungewohnten Haltung erholten, kam auch schon die Einladung zum Interview in die Villa Grisebach. Per Brief natürlich, handgeschrieben von Bernd Schultz höchstpersönlich.
Bernd Schultz und Daniel von Schacky begrüßen uns herzlich im hohen Saal im Erdgeschoß der Villa Grisebach. Bei einem Glas Wasser und mit sämtlichen neuen Auktionskatalogen auf dem Schoss, beginnt unser gehaltvolles, recht energisches Gespräch über die Philosophie des Auktionshauses, die unweigerlich verbunden ist mit der Natur seiner Gründer.
Bernd Schultz und Daniel von Schacky über den Kauf ihres ersten Kunstwerks
Es war schwierig, das Geld für das Kunstwerk zu besorgen, aber eine Entscheidung von 5 Sekunden, es zu kaufen.
Bernd Schultz hat den Kauf seines ersten Bildes niemals vergessen. 16 Jahre war er jung, als er zufällig in einer alten Buchhandlung in seinem Heimatort Bad Harzburg auf eine Lithografie von Marino Marini stieß. Sie zeigte ein Portrait von Thomas Mann, das er einige Minuten später für damals immerhin 120 DM erstand. Viel Geld für eine erste Investition in die Kunst, die weitreichende Folgen haben sollte. Jahre später gründete er mit fünf Freunden zusammen die Villa Grisebach.
Die Gründung der Villa Grisebach: Revolution im Kunsthandel
Als Bernd Schultz die Villa Grisebach in den 1980er Jahren mit fünf Freunden gründete, war Berlin noch in Ost und West geteilt. Die Philosophie des Auktionshauses war revolutionär für den damaligen Kunsthandel. Neu war zunächst, dass die Kunsthändler sozusagen die Seite wechselten und zu Auktionatoren wurden. Bernd Schultz ahnte, dass die wachsende Transparenz in der globalen Welt auch den Auktionsmarkt wachsen lassen würde. Für Galerien würde es immer schwieriger werden, auf Auktionen zu kaufen, was sie bis dahin sehr intensiv getan hatten. Händler frequentierten früher, bevor es das Internet und damit Transparenz gab, viel häufiger die Auktionen. Jetzt sitzen im Auktionssaal vor allem Privatsammler für diese der Kunstmarkt vorher nicht direkt zugänglich war. Die Privatkäufer könnten digital heute ganz genau nachvollziehen, wann und wo ein Bild die letzten zehn Jahre aufgetaucht ist. Die Zeiten, zu denen Händler eine Arbeit auf einer Auktion ersteigerten, um es dann für das Doppelte wieder zu verkaufen, sind definitiv vorbei. Generell ging und geht Bernd Schultz gern über Grenzen. Das zeigt sich auch auf geografische Weise.
Für deutsche Verhältnisse war neu, dass wir die Kunst, die wir zeigen wollten, auch in München, Dortmund, Düsseldorf und Hamburg zeigten. Die Kunst sollte zu den Menschen kommen und nicht umgekehrt.
Die Strategie der Villa Grisebach: Sei ein wendiges Schnellboot
Wir konnten immer von der Stadt Berlin leben. Gut, und heute sehr gut.
Bernd Schultz nennt die Villa Grisebach gern ein „wendiges Schnellboot“ und wehrt sich damit gegen bürokratische, lange Wege im Kunsthandel. Der Villa Grisebach gelingt es, ein Bild, das am 20. April gebracht wird, am Tag darauf im digitalen Katalog zu präsentieren und es bereits 6 Monate später in New York auf einer Auktion zu versteigern. Mit dieser Strategie scheint die Villa Grisebach Erfolg zu haben. Im Jubiläumsjahr 2006 verkaufte das Auktionshaus sechs Arbeiten, die zu den zehn teuersten Kunstwerken auf deutschen Auktionen zählten. Der Umsatz von 26,2 Mio Euro zwei Jahre zuvor stieg damit auf 45 Mio Euro. Zum Vergleich, Christie´s erzielte 2011 einen Bruttoumsatz von 99,2 Millionen US-Dollar. In der Tat also kein schlechtes Ergebnis für ein kleineres Auktionshaus wie es die Villa Grisebach ist. Im Gründungsjahr 1986 zählte die Kundenkartei der Villa Grisebach 2.500 Kunstliebhaber, heute sind es 26.000, davon 7.000 aus dem Ausland. Sammler aus Venezuela, Sao Paolo, Japan, Australien und Hong Kong lernen die Arbeiten des Auktionshaus auf dessen Internetseite kennen, ihre Kaufentscheidung beruht aber letztendlich auf dem guten Ruf der Villa Grisebach für hohe Qualität und transparente Preise, sagt Daniel von Schacky. Soweit zu den Zahlen und Fakten. Wir haben uns aber die ganze Zeit gefragt, wie kann ein Mensch ein wendiges Schnellboot durch wilde Gewässer navigieren, wenn er seine Korrespondenz auf analogem Postweg verfolgt?
Villa Grisebach: Print führt (knapp) vor Digital
Die Seele eines Kunstwerks, liegt im Original.
Aufwendig, besonders schön und in hoher Auflage wird der Auktionskatalog der Villa Grisebach jährlich produziert. Als wir fragen, ob denn ein gedruckter Katalog in Zeiten der digitalen Präsenz überhaupt noch nötig sei, bekommen wir ein entschlossenes NEIN als Antwort. Natürlich geht es um die Haptik und darum, dass man das Buch mit ins Bett nehmen kann. Daniel von Schacky erzählt uns, dass Sammler oft mit einem Katalog voll gelber Klebezettel zur Vorbesichtigung in die Villa kommen. Sie haben Wochen mit ihm verbracht und ihn wahrscheinlich stärker genutzt als ihr iPad auf dem Couchtisch. Der Kunstauktionshandel lebt unbeirrt seine eigenen Gesetze. Vielleicht liegt der Erfolg der Villa Grisebach in genau dieser Mischung aus der Langsamkeit einer Briefkorrespondenz, die ein Gefühl von Substanz vermittelt und der quirligen Kraft ihrer Macher, die sich auf die Transparenz der Welt eingestellt haben.
Villa Grisebach: Stationen eines Kunstwerks bis zur Auktion
Wir denken darüber nach, als wir hinter Daniel von Schacky her rennen, der uns den Weg eines Kunstwerks durch die Villa Grisebach zeigt. Daniel von Schacky hat die Leidenschaft für die Kunst mit seinem Vater schon seit Kindesbeinen teilen dürfen. An der Hand des Papas besuchte er die großen Kunstmuseen und Auktionen und nahm damit früh am Kunsthandel teil. Und zwar ganz real. Im Hause Schultz erhielt jedes Kind ein Budget von 500DM, das einzig und allein für den Erwerb von Kunst bestimmt war. Seinen Posten als Leiter der Abteilung für Zeitgenössische Kunst in der Villa Grisebach hat sich Daniel von Schacky, und das glauben wir sofort, erarbeitet und nicht ererbt. Bernd Schultz macht keine Kompromisse, wenn es um die Kunst geht.
Aber zurück zum Kunstwerk, dessen Reise durch die Villa Grisebach nicht selten mit einem Telefonanruf beginnt, gefolgt von Dunkelheit im UPS Wagen, der es in die Villa Grisebach liefert. Dort angekommen wird es den Experten zur Schätzung vorgelegt. Hierzu erstellen sie einen so genannten Conditional Report, in dem alle Merkmale des Bildes verzeichnet werden. Je nach Bedarf wird es dann restauriert oder gleich fotografiert und in den Katalog sowie in das Lager aufgenommen. By the way, es ist ein UNGLAUBLICHES Kunstlager, in dem Paul Klee Seite an Seite mit Otto Dix und Feininger im Regal lehnt. Wir drehen ein bisschen durch. Zudem liegt es günstig, nämlich gleich neben dem Auktionssaal. Bei einer Auktion wird dem Auktionator jedes einzelne Werk mit weißen Handschuhen aus diesem Raum herangereicht. Dann sitzen 200 Personen im Saal und bieten auf Arbeiten aus dem 19., 20. und 21. Jahrhundert. Bei Gefallen, Liebe oder auch Kalkül gelangt es von hier aus in die Hände seines neuen Besitzers.
Der wichtigste Wert der Villa Grisebach: Transparenz
Daniel von Schacky zieht für uns eine kleine Arbeit von Lyonel Feiniger aus dem Regal. Kurzes andächtiges Schweigen und dann erklärt er uns wie die Markierungen am Rande der Arbeit zu verstehen sind. Sie sind das Ergebnis der kunsthistorischen Bewertung, die jedes Werk erfährt, das unter den Auktionshammer der Villa Grisebach kommt. Einer der Kunsthistoriker des Hauses nimmt dieses Werk aus dem Fach heraus, rahmt es aus, begutachtet seinen Zustand von vorne und hinten und entdeckt zum Beispiel, dass das Werk auf der Rückseite etwas gebräunt ist. Diese Angaben werden in den Conditional Report und im Katalog aufgenommen. Es gehe ihnen darum, den Kunden so genau wie möglich, aber ohne sie gleichzeitig abzuschrecken, reinen Wein über den Zustand des Bildes einzuschenken, sagt Daniel von Schacky. Der Conditional Report ersetzt die live Begutachtung für viele Käufer, die nicht nach Berlin fahren wollen, um sich eine Arbeit anzusehen.
Und wie häufig hat es die Villa Grisebach mit Fälschungen zu tun?
Natürlich kommt es vor, dass wir Fälschungen vorgelegt bekommen. Und nicht immer kann man ganz genau sagen, ob aus Unwissenheit oder unlauterer Absicht …
Dann ruft Daniel von Schacky Nachlassverwalter und andere Experten an und erkundigt sich, ob diese „das Blatt“ schon kennen. Auch der Künstler selber, wenn er denn noch lebt, wird angefragt. Es soll vorkommen, dass dieser ein Bild als das seine erkennen, aber ganz und gar vergessen hat, es gemalt zu haben.
Villa Grisebach: Die Vorbesichtigung
Für die von vielen Sammlern heiß ersehnte Vorbesichtigung der Kunstwerke drei Tage vor der Auktion, wird die gesamte Villa Grisebach zu einer riesigen Ausstellungshalle. In fast russischer Hängung sind die Wände voller Schätze, die mit Begeisterung begutachtet werden. Immer wieder sieht man einzelne Kunstliebhaber oder Sammlerpärchen den Katalog aufschlagen – da wo die kleine Eselsecke oder das Post It sitzt. Sie treten dann langsam vor das Bild und recken die Köpfe, um sich danach ins intensive Gespräch zu begeben. Im großen Saal der Villa hängen Stellwände von der Decke, die als große Xe den Raum in maximale Hängefläche umfunktionieren. Dann beginnt sie, die Auktion, und damit das Ende einer langen Reise.
Interview: Judith Plodeck Fotos: Sel Dizmann Mehr zu Sammlungen in Berlin Zu einem typischen Tag im Leben der beiden Villa Grisebach Macher