Ivo Wessel springt auf konzeptuelle Kunst mit Narration und Humor an. Und würzt damit seine Sammlung und Buchveröffentlichungen.
Wenn Ivo Wessel in seinen gelben Lotus steigt, fährt er nie ohne Sozius. Eine Arbeit von Karin Sander haftet an der Rückscheibe – um Patina anzusetzen. Stundenlang kann er über die unsichtbaren 7/8 hinter dem 1/8 reden, das vom Kunstwerk gezeigt wird. Wo andere schwarzen Humor vermuten, spricht er von Pietät. Wir besuchten ihn zwischen stählernen Säulen und rotierenden Blumensträußen.
Kunst, Literatur, Computer – dieser Dreiklang bestimmt das Leben des Softwareentwicklers und Kunstsammlers. Wessel sammelt professionell, aber Geld verdient er mit seiner Software-Entwicklung:
Mit der Kunst-Obsession möchte ich kein Geld verdienen, sondern sie leben.
Nach Schnittstellen zwischen seinen Vorlieben sucht er dennoch gezielt. Die von ihm verfassten Software-Handbücher trüffelt er mit Arbeiten seiner Lieblingskünstler wie Via Lewandowsky und Lieblingsschriftsteller wie Eckhard Henscheid. Für das iPhone hat er zusammen mit dem Galeristen Judy Lybke von „Eigen + Art“ die „e-Art-App“, mit dem Autor und Galeristen Jan Winkelmann den mobilen Art Guide „Eyeout“ entwickelt. Neben seinen Räumen in der Chausseestraße in Berlin Mitte bezog er parallel zur Eröffnung der 6. Berlin Biennale sein neues Altbaubüro vis a vis von Katharina Grosses imposantem Beton-Atelier.
Ivo Wessel: Der rote Faden seiner Sammlung in Berlin
Wenn andere schöne Kunst sammeln, scheinst du verstörende zu bevorzugen. Das ist für mich ein Qualitätskriterium. Wenn das optische Fahrstuhlmusik wäre, hätte ich kein Vergnügen daran. Ich habe ja keine Arztpraxis mit einem Patientenwartezimmer.
Ich mag mehr das Konzeptionelle, das Kratzbürstige.
Die Arbeit „Gnadenschuss“ finde ich äußerst sensibel. Es ist ein ausgesprochen sanftes und die Kreatur hoch schätzendes Bild.
Ist das Narrative deiner Sammlung wichtig? Kannst du eine Geschichte sehen, wenn du deine Sammlung überblickst? Ich habe kein Sammlungskonzept. Ich habe auch keinen objektiven Anspruch beim Sammeln. Ich tue mich schwer damit, wenn Leute sich Sammler nennen. Das ist für mich keine Berufsbezeichnung. Ich interessiere mich seit Kindertagen für Kunst, bin damit großgeworden.
Der Umgang mit Kunst ist mir völlig selbstverständlich, das Besitzen von Kunst, auch das Kaufen. Fehlt diese Selbstverständlichkeit, hört das Sammeln auf.
Wenn jemand sagt, ich habe eine tolle Wand, da stelle ich mir das und das vor, dann ist das nicht Sammeln, das ist Kunst-Kaufen. Ich stelle mir diese Nützlichkeitsfrage nicht. Meine Räume haben mehr Depot- als Schau-Charakter. Ich bin ein großer Freund von Petersburger Hängung, von kombinieren, archivieren, füllen – oder, nunja: voll machen.
Ivo Wessel: Das Kunst Gen in der Familie
Du bist seit Kindertagen von Kunst umgeben. Wie wurde Kunst in Deiner Familie gelebt? Mein Vater war Rechtsanwalt, meine Mutter Lehrerin. Sie hat mich und meine älteren Bruder durch die Museen geschleift. Gegenständliche Kunst mochte ich schon als Kind nicht. Das liegt ein bisschen am Elternhaus. Genauso gibt es bei uns nie die Farbe Rot. Wenn ich bei Dingen die Wahl habe, dann nicht in Rot.
Ivo Wessel über andere Sammler
Gibt es für dich verschiedene Typen von Sammlern? Unbedingt. Ich glaube, es gibt so viele Typen, wie es Sammler gibt. Was ich bei Sammlern schön finde, ist die gemeinsame Obsession. Die Freude, darüber zu erzählen, ist dieselbe. Wenn Sammler das Niveau erreicht haben, dass sie wissen, was sie wollen, sind sie sich untereinander grün. Wenn jemand allerdings sagt, ich sammle nur erfolgreiche Kunst, dann hat er natürlich viel Konkurrenz und ein Problem.
Welche Sammlertypen findest du interessant? Boros lässt die Räume in seinem umgebauten Bunker in Berlin von den Künstlern gestalten. Arbeiten und Räume gehen eine selten zu findende, ausgesprochen glückliche Symbiose miteinander ein. Wie schmerzhaft muss das sein, sie aus dem Kontext wieder rauszureißen, die Sammlung umzuhängen. Ich bin gar nicht Fan aller Künstler und Arbeiten, aber wie Boros damit umgeht, finde ich sehr eindrucksvoll.
Was entdeckst Du im Museum, was in einer privaten Kunstsammlung? Im Museum interessiert mich: ist das sehenswerte Kunst? Bei Privatsammlungen gibt es zusätzlich den Aspekt des Sammlers selbst. Bei Reiner Speck, Erika Hoffmann oder Axel Haubrok kommt beides zusammen.
Wenn jemand herkäme und nur Becher-Schüler sammeln würde, fände ich das ausgesprochen fad. So ein Konzept gestehe ich einem Museum zu.
Museen geben Antworten. Sammler sollten Fragen stellen.
Das Enzyklopädische darf nicht dazu führen, dass man als Sammler unbesehen alles von einer Künstlerschule kauft. Aber wenn einer dieser Künstler etwas Kleines, ganz Unspezifisches hat, das finde ich interessant.
Ist dir so etwas schon einmal persönlich begegnet? Ich habe von Ottmar Hörl eine Arbeit geschenkt bekommen. Es ist der Bohrstaub der Ausstellung „Farbenblind“. Er hat ihn mir per Briefumschlag geschickt. Darauf stand: „Für Ivo. Eine Skulptur“. Sie würde niemandem auffallen. Für mich ist sie aber neben dem freundschaftlichen Aspekt sehr wertvoll. Der Künstler hat genau das komprimiert, was ihn für mich als Skulpteur ausmacht. So etwas sind Sternstunden des Sammelns.
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