©Philip-Lorca diCorcia: Eddie Anderson, 21 years old, Houston, Texas, 20 $, from the series „Hustlers“; Courtesy the artist & David Zwirner, NY
Philip-Lorca diCorcia: Hustlers im MoMA
Es war frech. Es war neu. Es war bunt. Als der Amerikaner Philip-Lorca di Corcia 1993 in einer großen Einzelausstellung im etablierten MoMA in New York seine Serie HUSTLERS ausstellte, war man nicht amüsiert. Klar, der Aufbau, das Licht, die Illuminierung der Personen, das erinnerte an die Filmbilder, die man kannte und schätzte: Hollywood. Und die Serie war auch dort gemacht. Die Straßen, vertraut, die Diner, hundertfach gesehen, der „Walk of Fame“, Sterne auf dem Gehsteig, die Leuchtreklame für „Del Taco“. Aber: Die Bildunterschriften erzählten Geschichten, die man nicht wissen wollte: „Eddie Anderson, 21 years old, Houston, Texas, $20“ oder „Christopher Patterson, 17 years old, San Juan, Puerto Rico, $20“ oder „Brent Booth, 21 years old, Des Moines, Iowa, $30“. DiCorcia hatte die Namen der Jungs notiert, ihr Alter und ihren Heimatort, er hatte aber auch notiert, wieviel er ihnen für die Aufnahme bezahlt hatte: Den Preis für die Zeit, die sie sonst für Sex mit einem Freier verlangten. Dieser Umstand allein war aber nicht der Aufreger, nein, es war die Herkunft des Geldes, das diCorcia da so fröhlich ausgegeben hatte: Es stammte aus dem Fördertopf der NEA, der National Endowment for the Arts. Viele Künstler hatten sich über die Organisation aufgeregt, weil die Ende der 1980er bereits bewilligte Gelder für eine Mapplethorpe-Ausstellung zurückgezogen hatte mit dem Hinweis darauf, sie sei zu „sexistisch“. DiCorcia, dem man ebenfalls einschärfte, sein Projekt dürfe „moralische Grundsätze“ nicht verletzen, tat feixend natürlich genau das. Er schlüpfte in die Rolle eines Freiers, der einen Stricher für seine „Dienste“ bezahlte, nur dass der statt einer sexuellen Handlung hier für ein Foto posierte. Es war ein subtiler Protest gegen die Prüderie und eine Befreiung von künstlerischen Grenzen.
©Philip-Lorca diCorcia, 2011; Courtesy the artist and David Zwirner, New York
Philip-Lorca diCorcia: Revolutionär der „Straßenfotografie“
Zur Tradition der Street Photography gehörte es, spontane Bilder zu machen, sie nicht zu inszenieren, nur das natürliche Licht zu nutzen. Übervater des Genre ist Henri Cartier-Bresson mit seiner Theorie des „entscheidenden Augenblicks“. Situation erkannt, klick, Situation gebannt, fertig. Ein Moment für die Ewigkeit. Philip-Lorca diCorcia ging weiter. Er entdeckte eine spannende Ecke in Hollywood, baute Licht auf, machte Polaroid-Tests mit seinem Assistenten. Dann suchte er sich einen Jungen, verhandelte mit ihm, lies ihn posieren. Damit überhöhte er die Situation, schuf eine emotionale Dichte, legte die Essenz des Seins frei: Die Verlorenheit der Jungen, ihre zerbrechliche Schönheit, eine träumerische Entrücktheit. Auch die Verwendung der leuchtenden, fast überzogen knalligen Farben steht im eklatanten Gegensatz zur bis dato vorherrschenden Schwarz-Weiß-Fotografie. Philip-Lorca diCorcia, geboren 1951 in Hartford, Connecticut, ging diesen Weg weiter: Etwa in seiner berühmten Serie auf der 42nd street, in der er eine Blitzanlage in einem Hausgerüst aufbaute und Passanten ohne ihr Wissen ablichtete und später in seinem Projekt „Tausend“ (Als Buch bei Steidl 2007), in dem er 1000 Polaroids skurrilster Situationen bündelte. Letztes Jahr erschien „Eleven“ (Feymedia) mit seinen Porträtstudien für das Magazin „W“. Philip-Lorca diCorcia ist ruhiger geworden, aber seine Bilder sind immer noch visionär.
Text: Nadine Barth
Nadine Barth stellt jede Woche eine Arbeit von ausgewählten Fotografie-Ikonen vor. In der Serie bereits erschienen sind u.a. Künstler wie Arnold Newman, Dorothea Lange, Stephen Shore, Hiroshi Sugimoto