Street Artist Villas über die Kunstszene von Rio
Für Kunst steht Rio im ersten Atemzug nicht, Sao Paulo hat hier eindeutig und inklusive der Biennale, Galerien, Museen und Kunstmessen die Nase vorn. Vielleicht liegt das aber auch daran das Rio de Janeiro so schön ist, das die Kunst einfach in ihr untergeht, oder wie der Street Art Künstler Villas trocken bemerkt:
Die Kunst in Rio hat es schwer mit dem Strand zu konkurrieren. Die Street Art ist da ein cleverer Weg die Kunst zu den Menschen zu bringen.
Villas Familie kommt aus Ipanema. Seine Großmutter hat ihm noch von der Zeit erzählt als hier nur ein paar Häuser standen. Nach einigen Jahren in Barcelona und enormen Heimweh, fing Villas an, das Gefühl des Immigranten, das Abgeschnittensein von der Heimat, in seine Lovebirds fließen zu lassen, die man noch heute in Barcelona entdecken kann.
Wir bitten Villas uns zu seinen Lieblings-Kunstorten in Rio zu führen.
Eine riesige Privatsammlung und das neuste Kunstmuseum in Rio
Los geht es mit CASA DAROS, einer der weltweit größten privaten Sammlungen zeitgenössischer Lateinamerikanischer Kunst mit Hauptsitz in Zürich. Das neoklassizistische Gebäude aus dem 19 Jahrhundert auf über 12.000 qm in Botafogo gelegen, ist ein imposanter aber gleichzeitig herrlich durchlässiger Ort. Entworfen von Francisco Joachquim Bethencourt da Silva (1831- 1912), wurde es jahrelang aufwendig renoviert und ist offiziell erhaltenes historisches Kulturerbe der Stadt.
Die CASA DAROS hat 2013 ihre Dependance in Rio mit einer atemberaubenden Ausstellung kolumbianischer Künstler eröffnet. Die Saison 2014 ist nicht weniger spektakulär. Fabian Marcaccios „Paintant Stories“ ist eine bebilderte über 100 Meter lange und vier Meter hohe Mauer die sich durch eine Wand des Gebäudes in den Freilichthof durcharbeitet. Der Argentinier setzt sich auf ihr mit den Widersprüchen unserer Gegenwart auseinander.
Das MAR – Museo de Arte do Rio – ist gleichzeitig das neueste Kunstmuseum Rio de Janeiros. Die eine Hälfte besteht aus modernen weissen Säulen, mattierten grünen Glas und klaren Linien, die zweite Hälfte ist der „Dom Palacete João VI“ der 1916 im klassichen Stil gebaut wurde. Los geht es ganz oben unter dem geschwungenen Dach, die Seiten sind offen, der nahgelegene Hafen gibt einen fast surrealen Ausblick von der Plattform.
Das MAR liegt in Centro, dem Zentrum Rio de Janeiros, und drum herum gibt es wunderschöne alte Häuserfassaden, aber auch Wolkenkratzer und Großbaustellen. Während der Copa gibt es hier u.a. eine Ausstellung die das Treffen von Josephine Baker und Le Corbusier beide Ikonen der Avantgarde, als Ausgangspunkt nimmt, für eine Diskussion und Darstellung der sehr unterschiedlichen Wege der Konzeptions des Körpers in der Moderne.
In der Ausstellung „Armadillo nehmen die Kuratoren Paul Herkenhoff und Marcelo Campos die Stärken des Armadillo, die hier als Metapher verstanden werden sollen, als Aufhänger um einen kritischen und sensiblen Blick auf die Neufindung des brasilianischen Volkes zu werfen. Das Gürteltier ist auch gleichzeitig Symbol der WM 2014.
DALI im CCBB
Gleich um die Ecke liegt das CCBB. Auch in Brasilien sind Banken und große Unternehmen verpflichtet Kunst und Kultur zu fördern, das CCBB ist ein sehr gelungenes und beeindruckendes Beispiel. Als wir es besuchen, findet gerade eine Flashmob Performance statt, es läuft die berührende und wunderbare Ausstellung „Amor, Amor, Amor“ und im obersten Stockwerk gibt es eine Dauerausstellung zur Geschichte des Geldes, klingt etwas dröge, aber die Vielzahl der Banknoten und vor allem deren Motive lassen einen dann doch nicht so schnell los.
Das CCBB birgt über 150 Werke Dalis in Form von Gemälden, Drucken, Dokumenten, Fotos und Illustrationen. Die Ausstellung deckt die verschiedenen Schaffensphasen des Malers ab, mit Schwerpunkt auf seiner surrealistischen Periode und reflektiert seine einzigartige Vorstellungskraft.
On top gibt es über 70 Werke aus der Sammlung Ludwig aus dem Staatlichen Russischen Museum in St. Petersburg. Gezeigt werden Meisterwerke der Pop-Art, die deutschen Neoexpressionisten des Fotorealismus und anderen internationalen Kunstströmungen aus den 1960er Jahren bis heute. Unter den vorgestellten Künstler sind Pablo Picasso, Andy Warhol, Robert Rauschenberg, Roy Lichtenstein, Jeff Koons, Jean-Michel Basquiat, Joseph Beuys, Gerhard Richter, Anselm Kiefer und Georg Baselitz.
Künstlerateliers in der Schokoladenfabrik
Kein Museum – und trotzdem ein in Rio in dieser Form absolut einzigartiger Ort ist die ehemalige Schokoladenfabrik Bhering. Sie liegt in Santo Christo, der Hafengegend nördlich vom Zentrum, eine Gegend in der sich sonst kein Tourist verläuft. Hier hat Villas neben vielen anderen Künstlern sein Atelier. 20.000 qm deutscher Stahl und Beton, ein roher, aber durch die vielen Glasfenster lichtdurchfluteter wunderschöner Industriebau. Über 40 Maler, Designer, Bildhauer und Videokünstler haben hier ihre Werkstätten, Ateliers und Räume. Jeder für sich ist ein eigenes Universum. Einmal im Jahr gibt es in der großen Halle eine fette Party, auf dem flachen Dach gibt es einen Comic Verlag, und eine Art Glockenturm. Hier zeigen sie manchmal im Sommer Filme auf einer großen Leinwand erzählt Villas. Wir wandern durch das imposante Gebäude und treffen auf Künstler wie Milla Sammarro, und Rafael Alonso.
Weil das Wetter so gut ist, sind die meisten anderen Künstler wohl am Strand, meint Villas und grinst.
Da fahren wir auch hin, denn der beste Platz um die Sonne untergehen zu sehen ist der riesige Felsen Apador der zwischen Ipanema und Copacabana liegt. Vor allem im Sommer sieht man jeden Tag dasselbe Ritual. Die Menschen pilgern auf den großen Felsen, suchen sich einen Platz um auf dem warmen Stein zu sitzen und den Sonnenuntergang zu sehen. Wenn die Sonne untergegangen ist wird geklatscht. Typisch brasilianisch. Je dunkler der Himmel wird, desto heller leuchten die tausend Lichter der gegenüberliegenden Favela Vidigal, die auf dem Weg in die Gentrifizierung ist.
Es ist jene Favela durch die man durch, und das heisst, ganz nach oben, muss (am besten mit dem Motortaxi) um auf die Dois Irmãos zu klettern. Der Aufstieg dauert eine knappe Stunde, und der Ausblick ist, wie fast alles in Rio de Janeiro, schon fast lächerlich spektakulär.
Street Art in Rio’s Favelas
Wir treffen uns wieder mit Villas der uns mehr von seiner Street Art erzählt. Da es so schwer ist mit der atemberaubenden Landschaft zu konkurrieren, sucht er bewusst Orte auf, an denen Menschen leben, die nicht das Gefühl haben zur normalen Gesellschaft zu gehören – die Favelas. Street Art öffnet für sie eine Tür. Bei Graffiti geht es um Eroberung, bei Street Art geht es um Kommunikation mit der Umgebung. Villas naive und bunte Street Art, sowie seine LoveBirds muten an wie aus einem Kindertraum. Längst haben seine Vögel eine andere Bedeutung bekommen in ihren Platzierungen. Sie können alles bedeuten Freude, Wehmut, ein Gedicht, ein flüchtiges Gefühl. Saudade.