Michael Sailstorfer – was ist Skulptur?
Ganz nach hinten durchgehen, da steht ein Tank, und da noch mal klingeln. Es ist nicht so ganz einfach, das Studio von Michael Sailstorfer zu finden. Ein hoher Raum, von oben lichtdurchflutet. Der Künstler empfängt uns sehr entspannt und wir machen es uns zwischen alten und neuen Arbeiten und allerlei Geräten gemütlich. Die Skulpturen von Michael Sailstorfer sind vor allem eines: überraschend und auf den ersten Blick verrückt. Immer unterhaltsam. Aber nie ohne Tiefgang. Die durchgeknallte Popcorn-Maschine zum Beispiel spuckt Popcorn, das wie eine Lawine in den Raum quillt. Komisch und zugleich bedrohlich.
Mich hat von Anfang an interessiert, was kann Skulptur sein? Die Ausdehnung ist ein wichtiges Thema und ich siedle das oft auf mehreren Ebenen an. Bei der Popcorn-Maschine dehnt sich das Maiskorn in sich selbst, dann im Raum und schließlich auch über den Geruch im ganzen Gebäude.
Von Gerüchen und Bushaltestellen im Haus am Waldsee
Geruch ist ein wichtiger Emotions-Speicher, hat zugleich eine skulpturale Bedeutung. Michael Sailstorfer greift das Thema immer wieder auf. Im Haus am Waldsee hatte er dieses Jahr in seiner Ausstellung „B-Seite“ Melonen aufgespießt, die langsam vermoderten und schon vor Ende der Ausstellung entfernt wurden – aus nahe liegenden Gründen. Im Garten steht ein Bushaltestellen-Häuschen, das sich bei näherem Hinsehen als Mini-Wohnhaus entpuppt, komplett eingerichtet mit Spüle und Chemieklo – “Wohnen mit Verkehrsanbindung“. Das „Behausungsthema“ wird auch in anderen Werken behandelt.
Sich niederlassen, Veränderung, Heimat, das hat mich lange auch persönlich beschäftigt. Ich habe zum Beispiel ein Holzhaus zersägt, das Holz im Kamin verbrannt, bis nur noch der Kamin selber übrig blieb. Habe aus Abbruchmaterial eines Münchener Hauses ein Sofa gebaut. Das Foto des Hauses hängt über dem Sofa. Ich arbeite gerne mit Material, das ich vorfinde, und mache etwas Neues daraus. Und ganz wichtig ist mir dabei, einen Moment der Irritation zu erzeugen.
Michael Sailstorfer malte mit Weinflaschen und inszeniert fegende Bäume
Michael Sailstorfer hat dieses Jahr den Künstlerpreis der Stiftung Frescobaldi gewonnen. Das italienische Unternehmen mit Weingütern in der Toskana wünschte sich eine Arbeit zum Thema Wein. Michael Sailstorfer ließ Weinflaschen zu einer Art Riesenfeder umbauen. Zeichner malten damit Modelle im Stil klassischer Skulpturen, das Ganze dokumentiert über Fotos und ein Video. Gar nicht so einfach übrigens, mit einer Weinflasche zu malen, man versuche mal, mit dem Gewicht in der Hand zu zeichnen. Da ist sie wieder, die Irritation, dazu Humor, Slapstick, Choreographie. Wie im fegenden Baum, meinem persönlichen Liebling („Forst“). Ein Baum, kopfüber aufgehängt, ist das komisch oder grausam? Er schleift über den Boden, tanzt, singt, fegt sein eigenes Laub, das sich langsam pulverisiert. Ein Theaterstück ohne Worte. Sehr poetisch und vieldeutig. Da ist alles drin, was den großen Erfolg von Michael Sailstorfer ausmacht.
Credit: Michael Sailstorfer: Forst, 2012; Berlinische Galerie Foto: Noshe
Interview: Katrin Schirner / Fotos: Shirin Ourmutchi für ARTberlin