Als ich mein Fahrrad vor dem in den grauen Himmel ragenden Living Bauhaus Hochhaus absperre und über das Gelände sehe das neben der Eastside Gallery liegt, mit der Allee frisch gepflanzter kleiner Bäume, der noch kahlen Wand die das Haus von der Straße abschirmt und der ordentlich betonierten Treppe die hinunter an die Spree führt, die mit ihren vom Wind aufgewühlten, kleinen Wellen ein bisschen so aussieht, als wäre würde sie bald anfangen zu kochen, fühle ich mich eher an einer der vielen gentrifizierten Neighbourhoods in London erinnert als an Berlin. Sicherlich verstärkt durch den Blick auf das andere Ufer wo ein altes Ziegelstein Gebäude noch ein bisschen rauhen Oldschool Berlin Charme vermittelt. Wir besuchen Mathias Vef, der sich mit zwei anderen Künstlern die leer stehende 12. Etage teilt, die von der Living Bauhaus Stiftung im Rahmen einer Artist Residency zur Verfügung gestellt wird, bis sich ein Käufer gefunden hat. Gemischte Gefühle, man hat demonstriert gegen die Mediaspree, gleichzeitig gefällt mir die Architektur des Gebäudes, sowie seine Lage, der Ausblick. Das Gefühl als ich oben ankomme und durch die Räume laufe erinnert mich eher an eine Hausbesetzer WG 2.0; Lars Theuerkauff, einer der Künstler der hier auch arbeitet, führt gerade eine Gruppe von Flüchtlingskids herum, die er eingeladen hat, um einmal die Woche mit ihnen zu malen.
Mathias, bei Dir ist ja einiges los zur Zeit, besonders auffällig finden wir aber deine Arbeiten, bzw. Serie „On G“ bei denen du Drucke mit dem Dopingmittel und Droge GHB/GBL behandelst. Bitte erzähle uns kurz wie du überhaupt auf diese Idee gekommen bist.
GHB bzw GBL ist eigentlich ein Abbeizer, ein Farblöser und wird als Graffitireiniger verwendet, aber eben auch als Partydroge und zum Doping beim Bodybuilding. 2014 gab es im Berghain eine große Ausstellung zum 10-jährigen Bestehen mit Arbeiten von Sarah Schönfeld. Sie hatte Substanzen gesammelt, Schweiß und vor allem Urin, mit dem Sie eine unglaublich beeindruckende Skulptur geschaffen hatte. Ich arbeite mittlerweile rein digital, aber die Kraft die beim Arbeiten mit diesen realen Substanzen entwickelt werden kann, liess mich nicht los. Ich hab dann nach solchen Substanzen gesucht, die es in den Kontext gibt, mit dem ich mich beschäftige und bin ziemlich schnell fündig geworden. Durch die Ausstellung im Berghain wurde mir bewusst, dass die Clubkultur auch in die Kunst mit einfließt und für mich eine wichtige Inspirationsquelle ist. Ganz ähnlich wie ich als Künstler abstrahiere, zerlege und neu zusammen setze, passiert dies dort in einer solchen Nacht mit Körperbildern, Interaktionen, sehr physischen Erlebnissen und Sex verstärkt durch die repetive Musik und das abstrahierte Licht.
G ist in vielerlei Hinsicht besonders. Es ist nicht nur in der Schwulenszene weit verbreitet, sondern wird auch zum Bodybuilding eingesetzt. Es wirkt enthemmend und euphorisierend, „auflösend“. Gleichzeitig ist es aber auch sehr gefährlich, es kann zerstören und zersetzen. On top ist GHB bzw GBL auch ein Farblöser, der als Graffitireiniger eingesetzt wird. Für mich eine perfekte Substanz um damit zu experimentieren. Übrigens wird die Eastside Gallery vor meinem Studio gerade damit gereinigt.
Du beschäftigst dich als Fotograf grundsätzlich viel mit Körpern und deren Ästhetik, zersetzt diese aber dann auch wieder, löst quasi die Harmonie der Form wieder auf. Dennoch stoßen wir in deinen Arbeiten immer wieder auf den Körper als solches mit und in allen Facetten.
Mich interessieren außergewöhliche Körper, die oft Ausdruck einer außergewöhnlichen Identität sind.
Am spannendsten finde ich Körper und Menschen die ihren Körper als etwas sehen, was man formen und erschaffen kann, wo der Körper zum Ausdruck eines Bewusstseins wird. Im Prinzip faszinieren mich Menschen, die sich selbst und ihren Körper als formbares Material sehen. Wie Hacker die ihre Körper und eigenen Form selbst hacken.
Ich nehme das als Künstler auf, das Material was mir die Models zur Verfügung stellen und dann hacke ich es in meiner Handschrift auf den Portraits und Collagen, sowie mit dem GHB auf. Ich finde das ganze auch spannend, weil hier eine Mischung von Subkultur und Mainstream passiert. Die Grenzen sind nicht mehr klar, woher die Körperbilder kommen, wer entscheidet, wer ‚gut‘ aussieht.
Der Mainstream wird neu verhandelt.
Man braucht in einer Gesellschaft immer solche Räume in denen Abweichung passieren, in denen die Systeme dann neu verhandelt werden und ein Diskurs stattfinden kann über das was wir sind.
Wir brauchen Räume in denen wir erforschen können wer wir sind und warum wir sind und vor allem wie wir sind.
GHB ist eine Substanz, die dazu passt und das auf mehreren Ebenen. Als Droge hackt es eine Persönlichkeit, löst sie auf, vor allem Hemmungen, Bewegungen verändern sich, die Selbstwahrnehmung wird fragmentarisch. Auf Prints eingesetzt wirkt es sehr ähnlich. Was sehr interessant ist, ist eine weitere, eher düstere Parallele. Als Droge ist GHB sehr gefährlich, eine Überdosierung kann sehr schnell zum Tod führen: etwas zu viel – und es ist vorbei. Genau so ist es beim Malen damit, die Pigmente werden weggenommen, wenn es zu viel war, kann man sie nicht mehr zurück zaubern. Die zerstörerische Kraft wird einem dadurch sehr bewusst.
Während des Gespräches mit Mathias muss ich immer wieder an eine Aussage des Scissor Sister Frontmann Jake Shears denken, der seine Zeit die er in Berlin verbrachte wie folgt beschrieb: “Es gab Nächte, in denen ich mir die tanzende Menge anschaute und bei diesem Anblick jegliches Gefühl für die Zeit verlor. Ich hätte nicht einmal sagen können, in welchem Jahrzehnt wir uns gerade befanden”. Sollte ich einen Soundtrack für Mathias Vef´s Serie „On G“ wählen, es wäre „Invisible Lights“ von den Scissor Sisters.
Das Berghain als Babylon, seine Besucher in ihrer extremen Schön- und Dunkelheit seine Musen.
Die Erhöhung des körperlichen Ideals in fast schon Riefenstahlscher Ästhetik nur um sie wie wieder in eine bizarre Absurdität zersplittern zu lassen. Darauf angesprochen erzählt Mathias Vef das ihn schon als Kind die ja, Abartigkeit von Egon Schiele´s Arbeiten faszinierten. Passt perfekt.
Deine neue Videoarbeit „Andrographie“ lief erst kürzlich im KitKat im Rahmen zu „Gegen Olympia“ um punkt Mitternacht. So. Wie können wir uns das vorstellen, gab es übliche KitKat Club Besucher oder war die ganze Veranstaltung abgetrennt vom üblichen Betrieb?
Das Video war in den ’normalen‘ Ablauf des Abends eingebunden und wurde auf der Haupttanzfläche gezeigt. Das war wichtig, weil dieser Club ein solcher Raum ist in dem Grenzen überschritten werden. Der Abend war Teil des diskursiven Programms der nGbK Ausstellung contesting/contexting Sport, die Sport (Events) kritisch hinterleuchten will und in dem Kontext Kunst und Aktivismus und queere Elemente einbinden will. Andrographie ist eine Arbeit über zeitgenössischer Massensport: Bodybulding und Fitness. Die Ästhetik, die von Mark Simpson als Sporno bezeichnet wird hat unglaublich viele Parallelen zu Pornographie. Es gibt nicht nur visuelle Parallelen und in der Sprache, auch darin, wie die Hierarchien umgebaut wurden und Amateure vermarktet werden, ähneln sich beide Komplexe. Im Prinzip wird auch hier Mainstream und Subkultur neu definiert und durchmischt. Der Club als Ort diese Arbeit zu zeigen passt, weil hier Welten zusammen kommen, auch Bodybuilder und Sex.
Du arbeitest hier in der Artist Residency im und von Living Bauhaus, was passiert hier alles für Dich, wie nutzt du den Raum und seine Möglichkeiten?
Der Ort hier, die Weite, hat mich inspiriert mein Bild über Körper und Ausdruck neu zu sehen. Bewegung ist ein ganz wichtiger Teil von Ausdruck und Persönlichkeit, mit dem ich mich bisher nur sehr wenig beschäftigt hatte, das möchte ich ändern. Menschen die mit Bewegung arbeiten, erschaffen etwas neues mit ihrem Körper, sie sind also auch Hacker, sie abstrahieren Ausdruck. Deshalb wollte ich mit expressiven Leuten wie Tänzern arbeiten. Living Bauhaus legt da großen Wert darauf, dem Aufenthalt ein gemeinnütziges Element zu verleihen. Durch eine frühere Zusammenarbeit habe ich Kontakt mit der staatlichen Ballettschule und Schule für Artistik aufgenommen. Ich möchte auch über staatliche Einrichtungen hinaus gehen und mit Kids arbeiten und deswegen Kontakt mit Leuten die in Neukölln mit Breakdance arbeiten aufgenommen. Ich möchte den Prozess von meinem Arbeiten intensivieren und in einem Dialog arbeiten. Die Choreographie der Bilder und dessen was ausgedrückt wird, soll gemeinsam entstehen.
Was passiert als nächstes bei Dir?
Zu erst natürlich so intensiv wie möglich in der Residency weiter arbeiten. Es ist ein unglaublich inspirierender Ort. ich hab gemerkt dass die Leute die ich fotografiere dort ganz anders drauf sind. Ich möchte viele Kontakte aufbauen und viele Fotos machen. Ich fürchte den Rest des Jahres werde ich das ganze Rohmaterial bearbeiten. Ich hoffe ich bin bis Weihnachten fertig, denn ich möchte in Brasilien fotografieren. Ich möchte Menschen treffen, die mit Synthol arbeiten. Das ist eine Substanz die falsche Muskelmasse vortäuscht und eine sehr bizarre Ästhetik erzeugt.
COME UNDONE
Galeries Lafayette – 22.Juli bis 19. August 2016 – Opening 22. Juli, 20-24 Uhr
Friedrichstr. 76-78, Berlin
CONTESTING/CONTEXTING SPORT
9. Juli bis 28. August 2016
nGbK, Oranienstr. 25, Berlin
photo credit: Raphael Mathes