SUSANNE ROEWER: DIE UNSCHÄRFEFORMEL & ROMANTIC CRACK LANDING
Susanne Roewer wirkt hochgewachsen und schmal als sie vor uns die Treppe zum BUREAU ihrer Berliner Galerie Kornfeldhochsteigt. Schwer vorstellbar, dass diese zarte Künstlerin ihre massiven Skulpturen aus Bronze, Glas und Eisen oft auch eigenhändig gießt.
Ich muss die Form immer selber finden, ich kann eine Skulptur nicht aus der Hand geben, auch wenn das bedeutet dass ich nie einen großen Kunstbetrieb wie Olafur Eliasson oder Elmgreen & Dragset aufbauen kann.
Eine Stunde später revidiere ich meinen ersten Gedanken zu dieser Aussage. Es ist nicht ein immanentes Kontrollbedürfnis, das Susanne Roewer ihren Arbeiten nicht aus den Händen geben lässt, sondern das Vertrauen darin, dass sich gute Kunst im Ungeplanten und in manch gefühlter Katastrophe zeigt.
Ich habe die Unschärfeformel mit in meine Arbeit hinein genommen. Ich glaube nicht an die Konstrukte, die sich der Mensch baut, um weniger Angst in dieser Welt zu haben.
Die meisten Dinge funktionieren nicht durch Festlegung – das ist ein zentraler Ausgangspunkt für die Kunst von Susanne Roewer.
Man muss sich als Künstler und als Mensch die Chance lassen zu scheitern, denn manchmal sind Katastrophen der fruchtbarste Anfang für etwas Neues.
Das sagt sie nicht nur einfach so dahin. Die Skulptur ROMANTIC CRACK LANDING, die ab Samstag in ihrer neuen Ausstellung in der Berliner Galerie Kornfeld zu sehen sein wird, ist das Ergebnis eines scheinbar missglückten Versuch eine Glockenskulptur in zwei Tonnen Eisen zu gießen.
Jene war 2011 als Leichtbaumodell und als Allegorie für den theoretischen Gottesbeweis im Rahmen der Ausstellung q.e.d. im Kunstverein Kunstverein Schallstadt entstanden.
Ich habe bestimmt 500 Pfund Eisen in das Modell hineingegossen und die Glocke hat Eisen gefressen, gefressen und gefressen. Plötzlich kam es glühend heiß herausgeschossen, eine Feuerfontäne! Da hat es mich durchzuckt: Wow, das Ding hat zurück gespuckt. Irgendwie hat der gut durchdachte Plan nicht funktioniert.
Als alle entsetzt auf die verunglückte Skulptur schauten, sah Susanne Roewer genauer hin,
Ich ich habe dieses unglaublich schöne Florale gesehen, das aus der Bronze heraus wuchs, die aussah wie direkt vom Mars auf der Erde gelandet. Romantic Crack Landing ist das Sinnbild für die Unschärfeformel.
Susanne Roewer kommt eigentlich aus der Wissenschaft und hätte mühelos eine Karriere als Materialwissenschaftlerin, die sich u.a. mit Kernphysik auseinander setzte einschlagen können. Aber das Studium war nur der Anfang, ein Versuch dem elterlichen Wohlwollen zu folgen. Für das Kunststudium für das sie sich direkt danach beworb, wurde sie sofort zugelassen. Mitgenommen aus der Wissenschaft hat sie das Zufallsprinzip und die Bereitschaft zu scheitern.
Wenn man gleichförmig lebt und zu wissen glaubt, wie die Welt funktioniert, dann verpasst man das Wichtigste. Man bedient zwar den Markt, macht keine Fehler und wird unantastbar. Aber ich glaube, so kann keine Kunst entstehen. Wir suchen ständig nach Beweisen. Sammler schauen im Ranking nach der Bedeutung von Künstlern. Keiner traut sich mehr alleine zu entscheiden.
Nachdem sie im Künstlerkollektiv G7 mit u.a. Gregor Hildebrandt im Jahr 2000 den Fernsehturm bespielte, ging sie in die Schweiz und bezog dort ein Atelier in einem alten Atombunker und später das Gegenstück dazu: ein lichtdurchflutetes Loft in Basel.
DIE SCHWEIZ ALS TRAUM EINER BILDHAUERIN
Als wir in der Schweiz ankamen, habe ich erst einmal einen Schreck bekommen: es fühlte sich an wie eine Mischung aus Osten und komischer Kapitalismus. Man durfte nicht zu laut und nicht zu lustig sein und ich war immer viel zu groß.
Das änderte sich als jene Schweizer in ihr Atelier kamen, die ohne viel Hin und Her anfingen, ihre Kunst zu kaufen und dabei auch vor Entwürfen aus dem Papierkorb nicht Halt machten.
Man lernt in der Schweiz Leute kennen, die gibt es in Deutschland so gar nicht. Sie besitzen eine Menge Geld, tragen viele Pässe und sprechen noch mehr Sprachen. Sie interessieren sich für Kunst, sammeln wie verrückt und auf den Openings springen die Damen auf den Tisch und singen.
Unter ihnen traf Susanne Roewer auch auf jene Sammler, der sie noch näher zur Skulptur brachte und sie in ihrem Wunsch nach massiven, edlen und scharfkantigen Materialien bestärkte.
SUSANNE ROEWER SKULPTUREN: MASSIV, EDEL UND SCHARFKANTIG
Der Elementary Man und der Gulliver, ab nächste Woche auf der „Context Miami“ zu sehen, sind zusammen entstanden.
Ein Sammler kam zu mir ins Atelier und fragte mich, ob ich nicht mehr Skulpturen machen wolle. Ich wollte, aber ohne Kompromisse bei den Materialien. In dem speziellen Fall sollte das Material sehr klassisch, edel und gefährlich zugleich sein.
“Darf” man denn überhaupt als Bildhauer mit „günstigerem“ Material arbeiten? Ja, sagt sie, immer, wenn es die Idee eines Werkes transportiert. Gips, Wachs , MDF, zertanzte Damenschuhe: mit Künstlern wie Medardo Rosso, Eva Hesse, Meret Oppenheim und Manfred Pernice gab und gibt es immer ausgezeichnete Umsetzungen in einfachen Materialien. Einige Arbeiten von Susanne Roewer bestehen aus Glasperlen, Epoxidharz oder im Heizungskeller gezüchteten Kristallen. Auch das Gusseisen für die Glocken-Schraubenminarett-Kombination besteht eigentlich auch aus dem Gussschrott der Zivilisation (alte Heizungen, Laternenhalterungen, uralte Nähmaschinenteile). Der Aufwand besteht im mühsamen Aussortieren, per-Hand-Zerkleinern, Schmelzen und Vergießen.
Pappmaché ist erlaubt, wenn es thematisch passt. Ich hatte beeindruckend intensive Erlebnisse in Las Vegas. Dort gibt es eine Nachbildung der Sphinx mit einer super Sound und Light Show. Das greift einen an, obwohl es das ja nicht darf.
AUSSTELLUNG IN DER GALERIE KORNFELD
Am kommenden Samstag werden neben anderen Arbeiten die beiden Skulpturen Elementary Man und der Canterville Ghost bei Kornfeld zu sehen sein.
Der Elementary Man (Aluminium und versilberte Bronze, 250x80x80cm) steht für den hochgebildeten Kulturbürger, der alle europäischen Sprachen spricht, erfolgreich ist und trotzdem leicht gequält sucht. Er ist ein Mensch, ein Körper, schleppt altes Gepäck mit, das spiegelt sich im massiven Torso der Skulpturen. Aber er trägt auch Leichtigkeit in sich, die Möglichkeit und Bereitschaft, alle Dinge auszuprobieren, die ihm in der Welt offen stehen. Symbolisiert durch den Aluminium Ballon, mit dem der Elementary Man unter der Decke hängt.
Der Canterville Ghost (Bronze, 77x35x40cm) ist ein verzweifelter Vertreter eines anderen Kulturverständnisses: das Material Bronze ist so altmodisch wie die Figur aus dem gleichnamigen Märchen von Oscar Wilde und die Oberflächenbearbeitung mit Säure und Hitze entspricht wohl ungefähr dem Wirken der Jahrhunderte, die diese Kreatur auf ihre Erlösung warten muss. Durch den scheußlichen Mord an seiner Frau verdammt, ewig in dem altenglischen Schloss Besucher und Bewohner zu erschrecken, nimmt es die verfluchte Aufgabe jedoch sehr ernst. Mit größter Sorgfalt werden Themen, Kostüme und Farben für den jeweiligen Auftritt ausgewählt. Welch Entsetzen den Spukkünstler jedoch plagt, als eine völlig prosaische amerikanische Familie den ausgereiften Inszenierungen mit klirrenden Ketten und Blutflecken nur Kettenschmieröl und den neuesten Fleck-weg-Stift entgegenhält, ist kaum auszumalen. Diese neuen Schlossbesitzer haben für alles eine logische Erklärung, sind sportlich durchtrainiert, gutgekämmt und nicht aufzuhalten.
Die Weiterentwicklung dieser Spezies Erdenbürger hat ihre bildnerische Entsprechung in der jüngsten Skulptur der Ausstellung gefunden. Ein kleiner Raum mit grünem Licht beherbergt einen zarten gedrechselten Tisch. Unter dem Tisch hängte ein starker Prometheus-Arm aus Marmor, darauf steht ein Globus, bei dem die Weltkugel aus Papier von einer viel größeren farblosen Glaskugel überschwebt wird: „Half the World Is on a Mission“!
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GALERIE KORNFELD präsentiert SUSANNE ROEWER: (I am) Busy Catching Falling Stars
Reception for the artist: 1. Dezember 2012, 18-21 Uhr
Galerie: Fasanenstrasse 26, 10719 Berlin
Bureau: Fasanenstrasse 28, 10719 Berlin
Laufzeit: Sa, 1. Dezember 2012 – 12. Januar 2013, 11-18 Uhr
Fotos: Florian Reischauer von pieces of berlin