Ich treffe Steve Schapiro in der CWC Gallery, dem „jungen“ Ableger von Camera Works in den Hallen der ehemaligen Jüdischen Mädchenschule. In drei Tagen beginnt die Ausstellung „Color“, die Arbeiten von Lindbergh, Newton, Schapiro und eine Menge weiterer Namen dieses Fotografie-Größenformats zusammen getragen hat. Wir sitzen auf einer langen Bank, im Raum hängen seine Bildern. Fünf Minuten schweigen wir, während der Künstler sein neues Fotobuch „Then and now“ sortiert. Es ist gerade im Druck, denn für die Ausstellung und die Signierstunde am Samstag werden 200 Exemplare exklusiv vorab herausgegeben. Die eigentliche Veröffentlichung wird dann im Oktober geschehen.
Ich schaue mich um und überschlage, was man so über Steve Schapiro weiß. Wikipedia sagt, er ist mit Sicherheit einer der bekanntesten Fotografen unserer Zeit und das auch, weil seine Fotografien aneinander gelegt, eine Geschichte erzählen, die wir hier alle kennen. Weil es ein Teil von unserer Politik-, Zeit-, Film- und Kulturgeschichte ist. Illustriert über Gesichter von prominenten Gesichtern wie Andy Warhol, Woddy Allen, Barbara Streisand oder Martin Luther King – Steve Schapiro hat sie alle fotografiert.
Eine Arbeit sticht im Ausstellungsraum besonders hervor, vielleicht auch, weil sie größer ist als die restlichen Werke. Sie zeigt das Zimmer von Martin Luther King, kurz nachdem er ermordet wurde.
Steve Schapiro, wie kam das Bild nach Martin Luther Kings Ermordung zustande?
Als Martin Luther King ermordet wurde, war ich gerade in New York. Das Life Magazin rief mich an und schickte mich sofort nach Memphis. Diese Aufnahme entstand in seinem Hotelzimmer. Seine Aktentasche, zerknitterte Hemden und ein Kaffeebecher standen dort unberührt. Als Kings Bild hinter dem Nachrichtensprecher im laufenden Fernseher erschien, hielt ich den Moment in einem Foto fest. Für mich war in diesem Moment zwar der physische Mann verschwunden, doch sein Geist war immer noch über uns. Life druckte dieses Bild letztendlich nicht, mit den Jahren gewann es aber immer mehr an Bedeutung.
Gibt es ein Schlüsselbild in Ihrem neuen Fotobuch „Then and now“?
Es gibt ein sehr bewegendes Bild, das nach langer Zeit wieder aufgetaucht ist. Im Februar dieses Jahres bekam ich einen Brief von Muhamaad Alis Frau, Loonie Ali. Sie schrieb mir, dass ihr jemand im Jahr 1936 ein Bild schickte auf dem sie als kleines Mädchen gemeinsam mit Muhammad Ali zu sehen ist. Das war ihre erste Begegnung ihm. Seit dem fragte sie sich, wer der Fotograf des Bildes war. Erst vor kurzem fand sie heraus, das ich das war. Bis zu diesem Zeitpunkt wusste ich nicht, dass sie das kleine Mädchen auf dem Bild war. Dieses Bild wurde bis März dieses Jahres nicht veröffentlicht. Das ist für mich einer der Höhepunkte des Buches.
Sind noch mehr bisher unveröffentlichte Fotografien im Buch zu sehen?
Der Großteil der Bilder sind bisher unveröffentlicht. Nur zehn oder zwölf sind der Öffentlichkeit bekannt. Einige Fotografien entstanden vor fünfzig Jahren, andere entstanden vor einigen Monaten.
Suchen Sie nach einem ganz bestimmten Moment, den Sie in Ihren Bildern einfangen möchten?
Entscheidend ist für mich, den Geist eines Menschen oder eines Ereignisses in einem Bild einzufangen. Auf diesen Moment muss ich manchmal warten, manchmal muss ich sehr still sein. Wichtig ist, nicht mit diesem Moment zu kollidieren. Dir muss bewusst werden, dass es in diesem Moment nicht um dich geht. Ich will nicht Teil des Bildes werden. Ich suche den Moment, wo die Person ganz sie selbst ist.
Wie lange kann das dauern? Ist das bei bekannten Persönlichkeiten anders?
Wann dieser Moment da ist, ist bei jedem Menschen unterschiedlich. Bei bekannten Persönlichkeiten, die oft vor der Kamera stehen, ist es meist eine Kooperation. Sie arbeiten, sei es bewusst oder unbewusst, mit dir zusammen. Steve Martin wird zum Beispiel nicht gerne fotografiert. Trotzdem gibt er dir schnell was du willst, einfach nur, um mit den Aufnahmen schnell fertig zu werden. Bei dem Schauspieler Chavy Chase, muss ich zum Beispiel Vogelgeräusche machen, damit er in die Kamera lächelt. Jeder Mensch ist sehr unterschiedlich.
Viele Ihrer Bilder sind in Schwarz-Weiß. Hat das einen bestimmten Grund?
Für mich ist es ein Unterschied, ob ich in Schwarz-Weiß oder in Farbe aufnehme. Es ist nicht besser oder schlechter, es ist anders. Schwarz-Weiß Fotografie weckt meiner Meinung nach leichter Emotionen in den Menschen.
Zum Beispiel beim Bild von Muhammad Ali und Loonie Ali. Die Emotionen werden hier sofort sichtbar. Wäre das Bild in Farbe, würden es davon ablenken, was zwischen den beiden passiert. Andere Bilder, wie das von Francis Ford Coppola und seiner Mutter, funktionieren gut in Farbe. Sie lenkt den Betrachter in diesem Fall nicht ab. Es ist eine andere Herangehensweise.
Wie gefällt Ihnen Berlin? Ist dieser Ort auch als Fotograf interessant für Sie?
Ich mag Berlin sehr gerne. Ehrlich gesagt war ich schon oft hier. Es sind auch einige Aufnahmen im Buch, die in Berlin entstanden sind. Ich mag das ehemalige Ost Berlin sehr gerne. Dort habe ich am häufigsten fotografiert.
Wenn ihr Steve Schapiro persönlich kennenlernen möchtet, solltet ihr am Samstag (14.09.) zwischen 14 und 16 Uhr in die CWC GALLERY in der ehemaligen Jüdischen Mädchenschule gehen. Er signiert dort sein neues Fotobuch „Then and Now“.
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CWC GALLERY
Ehemalige Jüdische Mädchenschule Berlin
Auguststraße 11–13
10117 Berlin