Sarah Schoenfeld vor „Mama Du Sau“, 2005. C-Print 180×220 cm
Sarah Schoenfeld: Berghain, Auschwitz und Kunst zu dem, was nicht mehr ist
Dass sie Künstlerin werden wollte, wusste Sarah Schoenfeld nach einem Besuch in Auschwitz vor neun Jahren. Der Grund für die Konfrontation mit dem Konzentrationslager waren ihre beiden Großväter, der eine war Jude, der andere in der Wehrmacht. Der Holocaust beschäftigt sie und immer wieder stiehlt sich die Frage in ihren Kopf:
Gehöre ich zu den Opfern oder zu den Tätern? Ich hatte an dieser Stelle große Schwierigkeiten mit meiner Identität.
In Auschwitz hat sie sich nackt vor den Krematorien ausgezogen und sich die Haare abgeschoren so lange bis sie von den Aufsehern hinausgebeten wurde. Dass sie auch performativ arbeitet, ist ihr erst viel später klar geworden. Aber mit der Aktion in Auschwitz traf die Künstlerin auf ihr Hauptmotiv, das seitdem ihre Kunst prägt.
Mit meiner Kunst trete ich heran an das, was nicht mehr ist. Ich begreife mich als Teil der Arbeit und versuche, Geschichte und die persönlichen Schicksale von den Menschen darin stellvertretend nachzuvollziehen, an das Reale in der Vergangenheit heranzukommen.
Sarah Schoenfeld arbeitet manchmal an der Bar im Berghain und wirkt gleichzeitig wie jemand aus einer anderen Zeit. Mit Anfang Dreißig sieht sie die Dinge mit der reifen Klarheit einer Sechzigjährigen. Vielleicht hängen ihre Fotografien auch deswegen schon im Museum. Durch das zarte Äußere der Künstlerin schimmert Stärke aber auch Suchendes.
Sarah Schoenfeld: WENDE GELÄNDE – auf der Suche nach sich selbst
Es ist die Suche nach der eigenen Identität, die sie angetrieben hat, die Orte ihrer Kindheit in Ost-Berlin durch die Augen einer erwachsenen Sarah Schoenfeld zu betrachten. Die Wende hat nicht ihren alten Kindergarten (MAMA DU SAU, 2005), der nun unter einer starren Parkplatzdecke eines Penny Marktes begraben liegt, verschwinden lassen. Sie hat auch ein Teil der Identität von Sarah zerstückelt.
Ich bin mir sehr bewusst, dass ich ein Produkt dessen bin, was vorher war. Die psychologischen Auswirkungen der Wende, die fundamentale Verunsicherung sind auch bei mir angekommen, deshalb beschäftigen sie mich. Mit meiner Fotografie versuche ich die Lücken dazwischen wieder aktiv zu befüllen.
In der Serie WENDE GELÄNDE (2006) hat sie, 15 Jahre nach dem Fall der Mauer, ihre Kamera auf die Nahtstellen zwischen persönlicher und offizieller Zeitgeschichte gehalten. Auf der Suche nach ihren Kindheitsorten in Berlin-Lichtenberg fing sie in klaren und doch leer erscheinenden Fotografien die Überreste ihrer Schule, ihres Kindergarten, der alte Vergnügungspark, und den Palast der Republik ein.
Die Erinnerungen an die Orte sind heil und unversehrt. An den Orten selbst fand ich Chaos und Verfall. Es ist eine Arbeit, die über Verluste und Brüche berichtet und über das Bedürfnis mittels Fotografie jene Dinge festzuhalten, die im Begriff sind, zu verschwinden.
Sarah Schoenfeld auf der Suche nach den Bildern
Wir fahren los. Unser Ziel ist die ehemalige Stasi-Zentrale in Lichtenberg, auch so ein verschwundener Ort. Die Künstlerin ist in ihrem Element und hält schon wenige Minuten später ein vergilbtes Negativ in der Hand. Sie hat es vor dem Eingang des Stasi-Museums aufgelesen und erzählt uns strahlend, dass dies exakt ihre Arbeitsweise symbolisiert.
Ich fahre an einen Ort und finde dort Material, mit dem ich weiterarbeite. Da bin ich Medium, es ist, als würde ich sitzen und die Eingebung fällt mir in den Kopf.
Das Davor wird allerdings akribisch geplant. Für ihre Werkserien MUSOR und KOLYMA, die in Sibirien entstanden sind, hat Sarah Schoenfeld kurzer Hand Russisch gelernt und drei Jahre lang an den Fotografien gearbeitet. Doch die Motive selbst hat ihr tatsächlich der Zufall oder auch die Fügung zugespielt. Auf einem Acker neben einem ehemaligen Zwangsarbeiter-Werk für Gold und Uran durfte Sarah Schoenfeld alte Filmrollen finden. Kinofilme, die über Jahre in einer sibirischen Siedlung im Kolymagebirge verrotteten. Als Sarah sie ganz klassisch in der Dunkelkammer vergrößerte, kamen schleierbehaftete, geisterhafte Motive zum Vorschein. Die bis zu 1.70. X 2.30 Meter großen Fotografien zeigen jene Zwischenwelt, die wir manchmal als Ahnung spüren. Schemenhafte Gestalten in verlassenen Häusern.
Wir fahren weiter durch das graue Lichtenberg und haben ein Déjà-Vue am alten Schwimmbad, in dessen Pool wir Christian Awe interviewt haben. Die beiden kennen sich, sie haben zusammen ihr Kunststudium an der UDK absolviert. Auch dies ein Motiv von WENDE GELÄNDE.
Unsere nächste Station: eine heruntergekommene Lagerhalle, ebenfalls Teil der WENDE GELÄNDE Serie, die mit Asia-Deko-Artikeln zugestopft ist. Als wir durch einen Spalt in ein zerfallenes Treppenhaus schlüpfen, schlägt uns der fahle Geruch von moderndem Stein, Holz und Staub entgegen. Die Halle war eine Art Kulturbühne ihrer Kindheit in Ost-Berlin. Auf ihr hat Sarah Geige gespielt. Exzessiv, bis ein Tumor genau an der Stelle an ihrem Hals wuchs, wo das Instrument ansetzte. Kurz vor der Operation bat sie den Arzt ein Foto von ihm zu machen. Der Berghain Flyer mit dem Foto jenes Tumor avancierte zum umstrittensten Flyer in der Geschichte des Clubs.
Sarah Schoenfeld schaut hin, wo andere wegschauen und schafft hochästhetische Fotografien, wo andere Sozialkritik erwarten. Für die Ausstellung ALLE im Berghain träufelte sie u.a. Ecstasy auf Filmmaterial und entwickelt aus den chemischen Reaktionen heraus großformatige, faszinierend schöne Farbverläufe und kristalline Strukturen, die abstrakt sichtbar machen, wie psychoaktive Substanzen wahrnehmungserweiternd wirken.
Sarah Schoenfeld: Die Spielregeln analoger Fotografie
Ob sie sich vorstellen könne, digital zu fotografieren? Die Antwort kommt schnell:
Ich liebe die Spuren auf dem Film, es ist ein völlig anderes Spiegeln einer Situation. Die analoge Fotografie verweist immer auf ein „davor“, insofern entspricht es genau dem, womit ich mich beschäftige. In der digitalen Fotografie ist das fundamental anders. Ich mag den Druck kurz vor dem Moment, in dem ich abdrücke. Ich muss mich vor Ort entscheiden, was ich fotografiere und nicht erst anschließend am Rechner. Ich möchte dass es so läuft.
Sarah Schoenfeld: Kunstmarkt, Zukunft und die Hamburger Kunsthalle
Sarah Schoenfeld verkauft ihre Kunst inzwischen gut und für vierstellige Beträge. Ob sie davon leben kann? Es könnte noch besser gehen, das Potenzial ist da und Sammler wie Arthur de Ganay haben sie bereits für sich entdeckt. Der Durchbruch scheint kurz bevor zu stehen, die kommende Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle wird ihr übriges tun. Dort wird sie zusammen mit Größen der zeitgenössischen Fotografie wie Thomas Struth und Candida Höfer das Ergebnis ihres Kunststipendiums in der Kalifornischen Villa Aurora zeigen.
Wieder ist sie in die Geschichte hineingeschlüpft und diesmal in jene Wehrmacht-Zeit ihres deutschen Großvaters. Es war nicht leicht die Soldaten der Re-Enactment Crew im Wald nahe L.A. zu überzeugen, dass sie mit ihnen zwei Tage verbringen und ihr Nachspiel des zweiten Weltkrieges dokumentieren wollte. In der Kunsthalle wird Sarah Schoenfeld einen 16 mm Film und Fotoarbeiten zeigen, eine fotografische Phantasie über die Erlebnisse ihres deutschen Großvaters, stellvertretend für die fehlenden Fotos im Fotoalbum, entstanden nahe Hollywood, der Wiege der modernen Geschichtsschreibung durch Unterhaltungsfilme.
Sarah heißt mit zweitem Namen Ancelle. Sarah bedeutet Herrscherin, Ancelle hingegen Dienerin und ist aus dem Altfranzösischen. Sarah dreht sich zu uns um und sagt:
Mich fasziniert, dass sie genau das Gegenteil bedeuten und beide für mich stimmen.
Sarah Schoenfeld: Kommende Ausstellung
Hamburger Kunsthalle
LOST PLACES. Orte der Photographie
8. Juni bis 23. September 2012
Galerie der Gegenwart, Sockelgeschoss
Fotos: Tatjana Bilger
ARTberlin besucht mit Berliner Künstlern jene Orte in Berlin, die für sie selbst, ihre Kunst und die Stadt stehen.