Jürgen Schadeberg und seine Leica: Fotograf seit sieben Jahrzehnten
“Oh, wow”, die Reaktion unserer Fotografin Chloé ist eindeutig, als Jürgen Schadeberg seine Leica heraus holt. Eine Kamera, klein, äusserlich fast altmodisch, der man nicht ansieht, dass in ihr höchste digitale Qualität steckt. Nicht eine dieser riesigen Kameras mit den grossen Objektiven, sondern eine Kamera, die dem Fotografen erlaubt, ganz unauffällig seine Aufnahmen zu machen.
Ich dokumentiere, was ich sehe und in meinem Kopf läuft beim Fotografieren in Sekundenschnelle ein Programm ab, wo soll ich stehen, wo sollen die Dinge sein, wo die Menschen. Das Ganze ist arrangiert, ohne das ich eingreife.
Jürgen Schadeberg fotografiert seit sieben Jahrzehnten, letztes Jahr wurde er 80 und ist im gleichen Jahr wieder in seine Geburtsstadt Berlin gezogen. Legendär seine Reportagen aus Südafrika, wo er das Regime der Apartheid dokumentierte, die Unterdrückung der Schwarzen, aber auch ihre Lebensfreude, eines der ersten Fotos, das er von Nelson Mandela schoss, stammt aus dem Jahr 1951, und Jürgen Schadeberg war es auch, der Mandela 1994 auf die Gefängnisinsel Robben Island begleitete. In England und Frankreich enstanden weitere Fotoreportagen und Filme und natürlich auch in Berlin, zum Beispiel 1961 beim Mauerbau, ein Zufall, dass er sich damals gerade in der Stadt aufhielt.
Jürgen Schadeberg: Berlin ist das deutsche NYC
Mit einer Leica begann Jürgen Schadebergs Karriere. Der Fotograf Walther Benser spielte dabei eine wichtige Rolle, und die Keimzelle der Fotoabteilung der DPA, für die Schadeberg nach dem Krieg in Hamburg arbeitete. Aber er wollte Deutschland verlassen, und bestieg 1950 ein Schiff nach Südafrika.
Natürlich habe ich Berlin nie vergessen, man hat ja den berühmten Koffer in Berlin. Ich bin in der Gegend von Halensee aufgewachsen, das ist mir schon noch ziemlich vertraut.
Die Rückkehr nach Berlin hatte vor allem praktische Gründe, er und seine Frau und das riesige Archiv brauchten eine grosse und trotzdem bezahlbare Wohnung und es sollte wieder in einer Gross-Stadt sein, nicht auf dem Land, zuletzt hatten sie zwei Stunden ausserhalb von Paris gelebt.
„Berlin, wie es heute ist, gibt es erst seit 20 Jahren“, räumt er dann aber ein,
deshalb ist es nicht so statisch wie Paris oder London, sondern bunt, jung und international, wie New York, wo ich immer hinwollte. Auch deshalb bin ich in Berlin. Da findet man sich dann auch damit ab, dass ein Berliner auf die Frage, wie spät es sei, schon mal mit –„Kaufen Sie sich doch eine Uhr!“ – antwortet.
Nur am Rande sei bemerkt, dass Jürgen Schadeberg zwar das Bundesverdienstkreuz hat, es aber gar nicht so leicht war, 2008 wieder einen deutschen Pass zu bekommen.
Jürgen Schadeberg: Fotograf oder Künstler?
Meine Studenten lasse ich erst mal zeichnen. Wenn man fotografieren will, muss man lernen zu sehen. Ein Foto ist eine Sache von Sekundenbruchteilen. In der Malerei ist Zeit Teil der Arbeit, ein gemaltes Bild ensteht langsam. Als Fotograf haben Sie diese Zeit nicht.
Jürgen Schadeberg hat sein Wissen an unzählige junge Fotografen weiter gegeben. Wo verläuft die Grenze zwischen Kunst und Reportage, wollen wir von ihm wissen. „Was ist denn Kunst?“, antwortet er mit einer Gegenfrage. Er sieht sich selbst nicht als Künstler, sondern als dokumentarischer Fotograf, aber manchmal kann eines seiner Bilder etwas Besonderes, eben Kunst, werden.
Wenn Sie vor einem Foto stehen, und es berührt sie sofort im Innern, dann ist es Kunst. Wenn Sie über ein Bild viel reden müssen, dann stimmt was nicht. Schauen Sie sich die Werke berühmter Künstler in der Geschichte an, da braucht es nicht viele Worte, sie faszinieren uns gleich auf den ersten Blick.
Schadebergs Frau Claudia hält sich während unseres Gesprächs sehr zurück, und das, obwohl sie eng zusammen arbeiten. Sie haben mehrere Filme gemeinsam produziert und arbeiten natürlich auch zusammen an den Büchern. Der Markt für Foto-Reportagen ist klein geworden, viele der grossen Magazine, das legendäre „life“, auch „Paris Match“ oder der „Stern“ kaufen immer weniger dokumentarische Fotografie, heute wollen die Leute vor allem Geschichten aus dem Bereich der celebrities. Auf der anderen Seite erzielen doch einzelne Fotos in Galerien und auf Auktionen schwindelerregende Preise, wie lässt sich das erklären, fragen wir.
Solche Fotos sind regelrechte Spekulations-Objekte, da werden die Fotografen gezielt aufgebaut. Wir waren mal in Paris auf einer Auktion, da unterhielten sich Käufer hinter uns darüber, was jetzt gerade in Mode sei und was nicht, und womit man noch Geld verdienen könne.
Spekulationsobjekte sind die Fotos von Jürgen Schadeberg sicher nicht, zum Glück. „Jürgen nimmt seine Kamera fast immer mit, wenn er unterwegs ist“, sagt seine Frau. Und er ergänzt:
Da kommen die besten Fotos her. Man nimmt einfach etwas wahr, ohne es zu planen.
Jürgen Schadeberg: Aktuelle Ausstellungen
Fotos und Filme von Jürgen Schadeberg wurden gerade im Willy-Brandt-Haus in Berlin gezeigt, ebenso im französischen Kulturinstitut am Kudamm. Eine Austellung in Frankfurt ist geplant, ebenso die Herausgabe eines neuen Fotobandes mit Reportagen aus Deutschland, die in mehreren Jahrzehnten entstanden sind. Auch sein erstes „relevantes“ Bild, eine Gruppe von jungen Leuten, die in einem Luftschutzkeller in Berlin 1942 mit einem Akkordeon Musik machen. Beweis dafür, dass sich Lebensfreude immer seine Wege sucht – und Jürgen Schadeberg schon als Elf-jähriger ein Auge für den „richtigen“ Moment hatte. Die jüngsten Bilder für dieses Buch sind ein paar Wochen alt, und so kann man davon ausgehen, dass es noch viele weitere Fotos von Jürgen Schadeberg, geben wird, vor allem auch aus Berlin, dem „deutschen New York“.
Text: Katrin Schirner
Fotos: Chloé Richard
Interviews, Arbeiten und Ateliers von Künstlern in Berlin