Joel Sternfeld in der Kunsthalle Hamburg
Ganz unspektakulär hing das Bild da in einer Reihe mit anderen von Joel Sternfeld, in der Ausstellung „Lost Places“ in der Kunsthalle in Hamburg (jene Ausstellung, in der auch die neulich vorgestellte Sarah Schoenfeld zu sehen ist, Anmd. d. Redaktion). Ja, ein verlorener Ort, sicherlich, alle Orte, die Joel Sternfeld fotografiert, könnte man verlorene Orte nennen. Orte, denen selten jemand seine Aufmerksamkeit schenkt, kein Besucher, kein Vorübergehender, -fahrender, kurz Verweilender, nicht einmal die Menschen, die an ihm leben, die oft selbst wie Verlorene wirken.
Foto: Joel Sternfeld: McLean, Virginia, December 4, 1978, aus der Serie „American Prospects“, ©the artist
Joel Sternfeld: Walking the High Line & Tatorte
Joel Sternfeld ist ein seltsamer Typ, man möchte fast sagen „Kauz“, mit seinen wilden, abstehenden Haaren und diesem lustigen Zug um den Mund, ein bisschen verschmitzt, ein bisschen entrückt. Ich traf ihn bei einem Galerie-Essen nach einer seiner Ausstellungen bei Buchmann in Berlin, im legendären Rodeo Club, und er freute sich sichtlich, als ich ihm ein druckfrisches Exemplar der „Verschwindenen Landschaften“ (Dumont) überreichte, das ich herausgegeben hatte, darin seine Serie „Oxbow Archiv“, an der er zu dem Zeitpunkt noch arbeitete und die er an dem Abend zum ersten Mal „gedruckt“ sah. In „Oxbow“ hatte er einen Landstrich in Connecticut mit seiner Kamera „vermessen“, getreu einem Gemälde Thomas Coles von 1836, das als Sinnbild einer „nationalen Landschaft der USA“ gilt. Eine andere Serie, „Walking the High Line“, beschäftigt sich mit der stillgelegten Hochbahntrasse in Manhattans Lower West Side, die von der Natur zugewuchert war, mittlerweile aber, unter anderem dank seiner Fotos, in einen Park umgewandelt werden konnte. Auch die „Tatorte“ (auf englisch heißt die Serie „On This Side“) spüren der Aura spezieller Orte nach, hier Plätze, an denen ein Verbrechen geschehen war, nun sichtbar gemacht durch die Hinwendung des Fotografen, durch das Erzählen der Opfergeschichte in einem kleinen Text, der bei den Fotos steht. In der Ausstellung „Lost Places“ in Hamburg, in der Künstler wie Andreas Gursky, Thomas Ruff, Thomas Struth, Jeff Wall, Sarah Schönfeld und Tobias Zielony mit ihren Fotografien vertreten sind, hängen auch Motive aus der „Tatorte“-Serie. Distanzierte Aufnahmen, die ihre Sichtbarkeit nur durch die Erklärung erfahren, ihre emotionale Dichte als Idee evozieren. Gleich daneben und genauso präzise und spannend: die „American Prospects“, Joel Sternfelds wohl bekanntester Werkgruppe.
Foto: Cover Joel Sternfeld: „American Prospects“ (1987), hier die Ausgabe von 1994, herausgegeben von „The Friends of Photography“, zusammen mit „Chronicle Books“
Joel Sternfeld: American Prospects ist sein berühmtestes Buch
In den „American Prospects“ hatte Joel Sternfeld nämlich das gemacht, was er am besten kann: das Herauslösen des Alltäglichen aus seinem gewohnten Zusammenhang. 1978 fuhr Joel Sternfeld, damals 34, mit seinem VW-Campingbus quer durch die USA, baute seine 8×10 Großformatkamera an verschiedenen Orten auf, nahm Glitzerbauten und Bretterverschläge auf, moderne Flughäfen und verwaiste Parkplätze, zerbeulte Autos und intakte Einfamilienhäuser. Es sind Randbezirke der Zivilisation, in denen der Einzelne eher ein Störfaktor ist, ein Opfer des Fortschritts, seine Seele festhängend in irgendeinem Stadion der Transformation, woher, wohin auch immer. Eines der skurrilsten Motive ist „McLean, Virginia“, das einen Farmers Stand im Irgendwo zeigt, ausgeschlachtete Kürbisse liegen auf dem verdorrten Gras im Vordergrund, ein Haufen noch intakter Kürbisse sind vor der Bude aufgeschichtet, im Hintergrund brennt ein Haus. Brennt ein Haus? Diese Beiläufigkeit der Beobachtung ist es, die den Betrachter verwirrt, ein Feuer, es wird gelöscht, ja, doch, bestimmt, eine Feuerleiter ist zu sehen, daran ein Kasten, eine Löschvorrichtung – hoffentlich. Noch verwirrender jedoch wird es, wenn man die Person genauer ansieht, die vor dem Verkaufshäuschen steht und einen Kürbis kauft: ein Feuerwehrmann, in orangefarbener Montur, mit Helm auf dem Kopf. Warum ist er nicht beim Feuer? Was ist das für eine Situation? Was soll sie mir sagen? Das Bild ziert das Cover der ersten Ausgaben der „American Prospects“, dennoch hatte ich es nie für ein Schlüsselwerk gehalten, eher die alltäglicheren, noch beiläufigeren Bilder Joel Sternfelds. Doch hier, in Hamburg, in dieser Reihe farbintensiver Prints (geliehen aus der Sammlung F.C. Gundlachs aus dem Haus der Photographie auf der anderen Seite des Hauptbahnhofes), strahlt mich das Orange in dieser Verdreifachung – Kürbis, Flammen, Feuerwehrmann – zum ersten Mal richtig an, brennt sich mir ein, lässt mich nicht mehr los. „New Colour Photography“ nennt man die Richtung, zu der Joel Sternfeld zählt, zu Recht.
Foto: Ausstellung „Lost Places“, Kunsthalle Hamburg, Installationsansicht, ©Stefan Schwanitz
Aktuelle Ausstellungen von Joel Sternfeld
Hamburger Kunsthalle
„Lost Places – Orte der Photographie“, Gruppenausstellung, bis 23. September 2012
Albertina, Wien
„Joel Sternfeld – Farbfotografie seit 1970“, bis 30. September 2012
Retrospektive mit 130 Arbeiten in Kooperation mit dem Museum Folkwang, Essen
PS: Wir zeigen dieses Mal kein Portraitfoto des Künstlers, da Joel Sternfeld keines von sich veröffentlichen wollte. Dafür hat Nadine Barth das Buchcover und eine Installationsansicht aus HH ausgewählt- auch schön…