Hiroshi Sugimotos „Seascapes“ atmen vollendete Harmonie.
Der Horizont eine Linie. Gestochen scharf. Ein dunkleres Grau gegen ein helleres… Mehr nicht. Tag gegen Nacht, Weite gegen Enge. Gestern gegen Morgen. Es sind Variationen über das Mögliche, Ausgestaltungen der Natur, das Meer, ja, das Meer, was kann es alles sein… Der Horizont kann verwischen, wabernd sich auflösen zur nebligen Fläche, kann ins nächtliche Schwarz kippen oder wieder aufscheinen als Gedankengrenze, kann die Sonne gleißend reflektieren und sich wieder zurücknehmen zum rauen, wellengekräuselten Tablett, das den wolkigen Himmel verschlucken will.
Foto ©Hiroshi Sugimoto: Tyrrhenian Sea, Conca, 1994. Aus dem Buch: „Hiroshi Sugimoto“ (Hatje Cantz, Neuauflage 2010)
Ich stand vor einer ganzen Reihe dieser Meereslandschaften, in Düsseldorf war das, im K20, im Sommer 2007. Ich war allein. Kein Wärter, niemand. Die Ausstellung war gerade aufgebaut worden, ich wartete auf mein Interview mit dem Künstler. Hiroshi Sugimoto, geboren 1948 in Japan, seit den 1970ern in New York lebend, ein Wanderer zwischen den Welten, ein Poetiker der Fotografie, ein anerkannter Star. Sehr seltsam seine Wachsfiguren-Bilder, sehr minimalistisch seine Kinosäle mit den leeren Leinwänden. Natürlich kannte ich Sugimotos „Seascapes“ aus Büchern, aber die Macht der Originale haute mich um. Ich stand in diesem konkaven Raum, weiß in weiß und hoch und hell, und da waren diese Bilder, die mich augenblicklich einsogen, ich wusste gar nicht, welches zuerst anschauen, so blieb ich einfach stehen, eine ganze Weile, und tauchte in meinen Erinnerungen. Ich wurde ganz ruhig, atmete in die Aura des Raumes, war bei mir. Später, im Interview, lächelte Hiroshi Sugimoto mich an, ein sehr zurückhaltener, sehr freundlicher Mann. Für ihn waren und sind die „Seascapes“ eine Arbeit über den Ursprung des Seins. Über die archaische Erfahrung des Menschen. Das Meer ein Woher, das Meer ein Wohin. Und im Dazwischen sind wir. Vermutlich nicht mal für lang.
Etwa 50 Motive gibt es, aufgenommen überall in der Welt: Atlantik, Karibik, Ostsee, Bodensee, Schwarzes Meer, Mittelmeer… Das erste machte Sugimoto 1980. Mein Lieblingsbild ist „Tyrrhenian Sea, Conca, 1994“. Aufgenommen vor der Küste Korsikas: ein dunkleres Grau gegen ein helleres…
©Hiroshi Sugimoto: Self Portrait, Courtesy the artist
Nadine Barth stellt jeder Woche eine Arbeit von ausgewählten Fotografie-Ikonen vor. In der Serie bereits erschienen sind u.a. Künstler wie Arnold Newman, Dorothea Lange, Stephen Shore und Philip-Lorca diCorcia
Foto oben: ©Hiroshi Sugimoto: Tyrrhenian Sea, Conca, 1994. Aus dem Buch: „Hiroshi Sugimoto“ (Hatje Cantz, Neuauflage 2010)