Clara Bahlsen: Erste und zweite Entdeckung in Berlin
Es muss vor etwa einem Jahr gewesen sein, als ich die Fotografie von Clara Bahlsen im Foto-Magazin „Der Greif“ entdeckte. Ein Pferd hinter einer Stange war dort zu sehen – es schien so banal und gleichzeitig so vertraut. Ich war fasziniert. Die junge Fotografin studierte Kommunikationsdesign an der Universität der Künste und war vielfach preisgekrönte Meisterschülerin von Fons Hickmann.
Clara Bahlsen schafft Bildzusammenstellungen, die nie zufällig sind. Dafür sammelt, dokumentiert und archiviert sie all jene Themen, die sie beschäftigen. Aus ihnen destilliert sie die Essenz, Bilderserien, die immer eine Geschichte erzählen. 800 Bilder nahm sie allein für die Serie Pferde und Autos auf, die im ländlichen Niedersachsen entstand, in der Region in der sie aufgewachsen ist.
Ihre Motive sind nah an uns selbst, denn sie zeigen das Gewöhnliche, banal Alltägliche, das wir oft seit unserer Kindheit kennen. Aber Clara Bahlsen schaut mit ihrer Fotografie genauer hin. Sie streift das, was uns oft nicht mehr auffällt. Sucht Antworten auf die Fragen, die erst beim zweiten Mal hinsehen auftauchen. Die einzelnen Fotografien verwebt sie zu Geschichten, sieht sie als Gesamtkunstwerk. Zu den meisten ihrer Fotoserien entsteht zudem ein Buch, das Clara Bahlsen als eigenständiges Medium in der Kunst begreift.
Ich treffe Clara Bahlsen in ihrem Atelier in Oberschöneweide. Während die Spree in unseren Augenwinkeln vorbei zieht, sprechen wir über Langeweile als Nummer Eins Inspirationsquelle für ihre Arbeiten.
Clara Bahlsen im Berliner Atelier: Langeweile & Fotoserien & Essenz
Clara, wie wichtig ist für dich der Ort an dem du arbeitest?
Der Ort ist für mich extrem wichtig. Ich bin eine sehr genaue Beobachterin und das gelingt mir besser in vertrauter Umgebung, sprich in Deutschland. Ich reise zwar auch gern, da es mich inspiriert. Allerdings ist dann alles neu und interessant.
Ich bin ein riesiger Fan von Dingen, die mich langweilen, erst dann werde ich genau.
Wie langweilt man dich denn am besten?
Wenn mein Gehirn meldet: „Ach, das kennst du ja“. Genau dann schaue ich immer länger hin. Wenn du dich zwingst, Dinge trotz der Langeweile weiter zu betrachten, dann wird es spannend. Denn dann kommt irgendwann der Punkt, an dem du denkst, vielleicht kenne ich das doch nicht. Vielleicht ist es doch interessant, wenn ich es aus einem anderen Blickwinkel betrachte. Ich beginne mir selbst Fragen zu stellen. Warum langweilt mich das denn so? Warum denke ich so überheblich und behaupte das so genau zu kennen?
Ist deine Heimat auf dem Land bei Hannover solch ein inspirierender Langeweileort?
Ja! Dort ist die Serie Pferde & Autos entstanden. Ich bin in einem kleinen Ort in der Nähe von Hannover aufgewachsen. Für meine Serie war ich immer wieder dort, um zu fotografieren. Bevor ich damit begann, war das der mit Abstand der langweiligste Ort auf Erden für mich. Doch dann schlichen sich Fragen in meinen Kopf: Ist es nicht legitim auf dem Dorf zu leben? Ein anderes Miteinander, ein anderes Verhältnis zur Natur zu haben? Das war der Beginn der Fotoserie.
Warum der Titel „Pferde und Autos“?
Das hat mehrere Gründe. Zum einen ist die Autoindustrie in Niedersachsen ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Und die berühmten Hannoveraner kommen aus Niedersachsen. Jeder Zweite hat mit Pferden zu tun, besitzt Ställe oder züchtet Pferde. Außerdem sind Pferde und Autos Statussymbole und natürlich Fortbewegungsmittel verschiedener Geschwindigkeit.
Was fasziniert dich an Fotoserien? Es gibt keine einzelnen Arbeiten von dir, richtig?
Ich fotografiere nie Einzelbilder, die alles aussagen und dann fertig sind. Mich faszinieren Bildabfolgen, die eine Geschichte oder verschiedene gleichzeitig erzählen.
Wie kraftvoll die Kombination von Bildern ist, ist vielen nicht klar.
Wenn ich Bilderfolgen in einem Buch abbilde, müssen sie einen bestimmten Rhythmus haben damit es funktioniert. Das beginnt bereits damit, dass die Anordnung der Bilder bestimmte Assoziationen auslösen. Was geschieht zwischen den Bildern? frage ich mich, während ich sie auswähle. Dabei sind auch die weißen Seiten entscheidend, denn durch sie verlieren die Objekte ihre Verbindung und werden zum Teil der Geschichte. Ich finde man hat während des Editierens eine große Macht und auch eine große Verantwortung für die Motive.
Fotobücher siehst du als Teil deiner Kunstwerke. Wie machst du sie dazu?
Für mich ist ein Buch ein eigenes, ganz spezielles Medium. Seine Gestaltung ist nie zufällig. Für das Buch Pferde & Autos nahm ich zum Beispiel einen silbernen Einband. Auch hier suchte ich wieder nach dem Gewöhnlichen, das was jeder kennt. Silber ist die häufigste Autofarbe. Die Bücher der ersten Auflage haben Kapitalbänder in drei unterschiedlichen Farben. Diese Farben beziehen sich auf die Schleifen, die man bei Reitturnieren gewinnt.
Was werden wir von dir als nächstes sehen? Du hast gerade eine neue Serie begonnen…
In meiner neuen Serie „Töchter“, portraitiere ich Frauen. Die Bilder beschäftigen sich mit der Frage nach Herkunft und Familie und dessen individuellem Stellenwert für Biografie und Identität. Welche Entscheidungen treffen wir, was nehmen wir mit und was lassen wir zurück? Wie erzählen wir unsere Geschichte? Durch die Spannung zwischen Ahnung und Wissen, An- und Abwesenheit werden Fragen aufgeworfen, die das Thema beschreiben und den Betrachtenden in die Serie einbeziehen.
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CLARA BAHLSEN: AKTUELLE AUSSTELLUNGEN
Pferde & Autos, Museum Kunst der Westküste, Föhr // Bis 13. Januar 2013
Künstlerische Buchobjekte: Clara Bahlsen, Dana Engfer u.a., Bibliothek der Universität der Künste, 4. Etage, Fasanenstr. 88, Berlin // Bis 16. Februar 2013
Fotos: Juliette Mainx