Wir besuchen Armin Boehm in seinem Atelier in Berlin Mitte, um noch kurz vor dem anstehenden Gallery Weekend eine Führung mit dem Künstler durch seine neue Werkserie zu bekommen. Boehms Atelier liegt mitten auf der Schönhauser Allee zwischen Viv Frischemarkt und White Trash, klingelnden Fahrradfahrern und hupenden Autos in einem gründerzeitlichen Bau.
Es steht viel an für Armin Boehm in den nächsten Wochen: Gallery Weekend Berlin, Frieze New York, Art Hongkong, KAI 10 Düsseldorf, Art Basel und im Sommer Peter Kilchmann in Zürich, das macht sich auch im Atelier bemerkbar. Überall stehen großflächige Arbeiten mit einer Mischtechnik aus gestreuten Pigmenten, Sand, Textilien und Ölfarbe. Boehm verfolgt in seiner Kunst keinen didaktischen Ansatz, er sagt oder zeigt uns nicht was richtig oder falsch ist, was wir zu tun oder zu lassen haben, und doch verändert seine Kunst etwas in uns und bringt uns immer wieder dazu die Wirklichkeit zu Hinterfragen und so steigen wir gleich ganz fundamental grundsätzlich ein.
ARMIN, WAS MACHT GUTE KUNST MIT UNS?
In der Modernen Kunst hat die Kunst glücklicherweise keine Aufgabe mehr – sie ist frei. Sie soll uns nicht belehren oder erziehen, aber sie hat die Möglichkeit etwas in uns zu verändern.
Gute Kunst schafft es in unsere Persönlichkeits- und Bewußtseinsstruktur einzudringen.
Sie trifft uns in einer Schicht, die mit der Sprache des Alltags nicht in Verbindung steht. Dafür ist der Weg zu einem guten Bild schwerer geworden. Mit dieser Freiheit und mit der Schwierigkeit des Schaffensprozesses muss man als Künstler eben umgehen.
WIE GEHST DU SELBST DAMIT UM?
Als Künstler lebt man in einem extremen Wachzustand. Das schließt die aktuelle Tagespolitik, Trends, wissenschaftliche Erkenntnisse usw. mit ein. Was daraus entsteht ist eine Art Momentaufnahme, die ich mit unterschiedlichsten Mitteln in ein Bild übersetze. Ich interessiere mich beim Malen weder für die Zukunft noch für die Vergangenheit.
Ich lebe dann ganz punktuell, wie ein Tier.
Was ich aber in diesem Moment mache, passiert mit der mir größtmöglichen Intensität.
IST DAS DEIN ANSPRUCH AN DICH ALS KÜNSTLER UND AN DEINE MALEREI?
Für Künstler ist es wichtig wach zu sein, aufmerksam, sie sollten die Dinge nicht romantisieren, sondern sich viel eher zu einer wirklich realistischen Weltsicht hinreißen lassen, träumen können die anderen. Alles, was um mich herum existiert, kann meine Material sein. Dazu zählt auch meine eigenes Ich.
Was daraus entsteht, muss mich zufrieden stellen, ich bin sehr kritisch und reflektiere hart, denn nur so geht es weiter.
WIE SIEHST DU UNSERE GENERATION UND GESELLSCHAFT MOMENTAN?
Es ist manchmal ganz interessant sich über die Generationen Gedanken zu machen und Parallelen zu anderen Generationen und den jeweiligen Künstlern zu ziehen. Ich selber bin sehr fasziniert von der Generation der Expressionisten um 1910 rum. Der Großteil dieser Leute wurde ja nicht alt, sie starben im Weltkrieg, den sie begeistert begrüßten. Sie wussten, dass das alte System aus dem sie entstammten keine Zukunft mehr hatte und zum Untergang verdammt war. Mit ihrer Kriegsbegeisterung drückten sie eine radikale Sehnsucht nach Erneuerung aus.
Ich weiß nicht, ob meine Generation zu solchen Gefühlen überhaupt noch in der Lage ist, weil die Ich-Besessenheit innerhalb der demokratisch kapitalistischen Systeme viel zu groß ist.
Alle wollen irgendeine persönliche Erleuchtung, ein IPhone, einen Urlaub, eine Segelyacht usw… Man erwartet vielleicht eine große gesellschaftliche Veränderung, einen Zusammenbruch, irgendetwas Spektakuläres aber vielleicht wird es auch einfach so weitergehen, ganz langsam, schleppend und zäh wie ein Wachkoma. Es gibt keinen kollektiven Ausweg, daran habe ich noch nie geglaubt.
WAS IST IN DEINER NEUEN BILDSERIE ANDERS ALS BEI DEN RIOTS, IN DENEN DU DICH MIT UNRUHEN IN GROßSTÄDTEN, URBANER ARCHITEKTUR UND DER FARBE SCHWARZ AUSEINANDER SETZT?
Ich arbeite an der neuen Serie mit verschiedenen Architekturfragmenten und Figuren. Dabei suche ich mir Orte aus dem Berliner Stadtleben, die ich persönlich kenne. Im Gegensatz zu den Riots, die angelehnt an bestimmte Orte und soziale Unruhen waren, entstehen die neuen Bilder sehr viel subjektiver aus meiner eigenen Wahrnehmung.
UND DU VERWENDEST NOCH MEHR MATERIALIEN…
Es ist ein ganz freies Spiel mit Formen und Farben. Technisch gesehen, mache ich zuerst eine grobe Skizze der architektonischen Formen. An einer Stelle der Architektur beginne ich dann mit einer dichten Kollage aus farbigen Stoffresten, die ich gesammelt habe. Die Kollage bildet den Grundbaustein aus dem dann die etwas fragmentiert wirkenden Figuren entstehen.
Kollage und Malerei müssen sich aber am Ende auf dem gleichen Niveau begegnen.
EIGENTLICH MÖCHTE MAN DEINEN NEUEN MATERIALBILDER GAR NICHT RAHMEN, SONDERN ZUR BERÜHRUNG FREIGEBEN. SCHAFFT DIE HAPTIK EINE STÄRKERE VERBINDUNG ZU UNS ALS „NUR“ MALEREI ?
Für mich hat Malerei auch etwas mit Haptik zu tun.
Meine Bilder verweigern sich der JPEG-Mobilität im Internet. Man muss sie direkt sehen.
Es ging mir auch in früheren Arbeiten um die Schaffung einer Bildtextur, die meiner Meinung nach den Betrachter psychologisch direkter anspricht, als eine glatt gemalte „leckere“ Bildoberfläche. Der haptische Sinn stand ja in der Hierarchie der Sinne immer ziemlich weit unten, das änderte sich beim Denken der Informellen Maler. Das Informelle der 50er Jahre haben mich schon immer interessiert.
ARTberlin besucht mit Berliner Künstlern jene Orte in Berlin, die für sie selbst, ihre Kunst und die Stadt stehen.
Text: Michaela Aue
Fotos: Tatjana Bilger