Andreas Mühe: Walter Frentz I, 2012. VG Bildkunst Bonn 2013
Andreas Mühe: Ausgezeichnet bei den LeadAwards
Jetzt reicht es mir langsam
sagt er zu mir. Wir stehen vor den Deichtorhallen in Hamburg. Verleihung der LeadAwards. Andreas Mühe wird später auch einen bekommen. Für seine Strecke mit Rammstein im SZ-Magazin. Ich nicke. „Ist ganz schön viel“, sage ich. Die Ausstellung bei Carlier Gebauer. Die Ausstellung in der Ehemaligen Jüdischen Mädchenschule. Vier verschiedene Cover bei Monopol. Die Interviews. Portfolios. Und jetzt noch der Booklaunch. Andreas freut sich darauf. Das Buch bedeutet ihm viel. Nicht nur, weil eine Arbeit zu Ende gebracht wurde. Sondern weil das Projekt im Ganzen vorliegt. Mit allen Verweisen. Mit Texten, die klären. Deutungsmuster. Die Kunst braucht sie. Manche Menschen irritieren seine Bilder. Andreas Mühe weiß das. Er möchte nicht missverstanden werden. Es ist eine Balance. Er tariert sie aus.
Der Mythos vom Mythos ist, was die Diktatur ausstrahlt,“ sagt er. Und: „Es geht darum, wie ich das sehe.
Andreas Mühe weiß, dass er sich auf eines verlassen kann: seine Perfektion. Seine Detailgenauigkeit. Die Recherche. Er weiß alles über den Hitler-Fotografen Walter Frentz – die Basis seiner Arbeit zum Obersalzberg. Er weiß, wie man Licht setzt – er hat bei Ali Kepenek und Anatol Kotte assistiert, 13 Jahre ist das her. Die Berechnung des Raumes. Mensch klein, Landschaft groß. Das Erhabene. Man darf nicht untergehen. Vor der Macht der Geschichte einknicken.
Wahnsinn, was das Rad bewegt. Die vielen Geister.
Das Spiel mit der Macht. Die Ästhetik. Ja, er hat die Kanzlerin fotografiert. Ja, er war mit ihr in den USA. Aber da war er auch mit Rammstein. Ist mit ihnen Bus gefahren. Hat die Mitglieder der Band in die Natur gestellt. Nackt.
Andreas Mühe: Deutsche Gemütlichkeit, nackte Nazis und Würde
In der Zeitschrift Interview unterhalten sich der Fotograf Andreas Mühe und der Musiker Till Lindemann. Über die deutsche Gemütlichkeit. Über karierte Tischdecken, Kaffee und Kuchen. Die deutsche Seele in Reinkultur. Andreas Mühe beschreibt sein Thema der letzten Jahre: Wie verhält sich der Körper im Raum. Wie verbinden sich Landschaft und Haltung. Till Lindemann kommt auf das Göttergleiche und den Größenwahn der Nazis zu sprechen. Die Illustration der Mächtigkeit. Die Frage ist:
Kann ein nackter Mann Erhabenheit ausstrahlen?
Wir sind im Studio von Andreas. Er sitzt in Strickjacke an dem großen Arbeitstisch. Er telefoniert. Organisiert gerade eine neue Fotoproduktion. In der Ferne simmert die Stadt. Hier ist Konzentration. Helligkeit. Ein Rückzugsort. Bilder hängen an der Wand, Printrollen liegen im Regal, Equipment steht herum. Andreas klappt den Laptop auf. In sieben Ordnern sind die Bilder vom Obersalzberg abgelegt. Pissing – Was passiert, wenn ein Mann in der Landschaft steht. Selbstportraits – in leichter Rücklage, wann ist man Nazi? Uniform – Beobachtungen zu verkrampften Haltungen, man muss sich das wie bei einem Männerballett vorstellen. Nackt – die gleichen Bilder wie eben, nur nackt, was ändert sich. Terrasse – auch Tische und Stühle können nackt sein, sind ihrer Umgebung beraubt. Landschaften – klassische Blicke, berühmte Sichtachsen. Köpfe – Freunde und Bekannte und die Frage, was ist Würde?
Andreas Mühe: li: Selbstbildnis I / re: Der General, 2011. VG Bildkunst Bonn 2013
Andreas Mühe: Der Ausstellungsprofi
Auf dem Dinner nach seiner Ausstellungseröffnung bei Carlier Gebauer bedankt sich Andreas bei seinem Team. Dass sie das mit ihm ausgestanden hätten. Wunderbare Menschen. Er bedankt sich bei F.C. Gundlach. Der den Weg aus Hamburg hierher fand. Sein Mentor und Förderer. Er bedankt sich bei seinem Galeristen. Der hatte vorher über die Entdeckung einer verwandten Seele gesprochen. Weil sie beiden aus Sachsen kämen. Andreas ist in Karl-Marx-Stadt geboren. Das betont er gern. Ich erinnere mich noch an die Ausstellung bei Camera Work 2010. Als F.C. Gundlach die Laudatio hielt. Als er über die Konsequenz im Werk von Andreas sprach. Den Mut. Die Größe. Da war Andreas gerade mal 30. Wir standen im Kreis um die beiden, Andreas wirkte sehr jung, die Bilder sehr mächtig. Ein Jahr später, 2011, kam schon die erste museale Ausstellung. In der Kunsthalle Rostock. Ein Riesenerfolg. Uwe Neumann, der Leiter, schwärmt noch heute davon. Andreas, der Porträtsessions mit den Besuchern machte. Der zum Opening lauter Freunde aus Berlin da hatte. Zum Gallery Weekend letztes Jahr präsentierte Andreas dann Polaroids der Obersalzberg-Serie. Die Straße vor der kleinen Galerie war voll von Menschen. Andreas lachte, scherzte, trank Bier. Und dann kürzlich: Die Serie A.M. in der Ehemaligen Jüdischen Mädchenschule. Eine Strecke, abgedruckt in Monopol, auf dem Cover der Button mit: „Guck mal, Mutti. Eine Reise durch die Heimat. Hinter Panzerglas. Fotografiert von Andreas Mühe.“ Auf der Zugspitze, am Rhein, auf Rügen. Vor Stammheim, der Villa Hügel, der Loreley. Im Hamburger Hafen, auf Sylt und, klar, in Karl-Marx-Stadt.
Heimat ist mehr ein Gefühl als ein Ort,
sagt der Fotograf dazu.
Die Gäste feiern im Garten des Pauly Saals. Matthias Döpfner und andere Kunstfreunde schauen vorbei. Andreas trägt einen Anzug, den seine Frau für ihn ausgesucht hat.
Ich liebe Entertainment, hatte er mir im Studio erzählt, aber nur alle sechs Wochen.
Andreas Mühe: ABC und Obersalzberg, Distanz Verlag
Auf seiner offiziellen Facebook-Seite postet Andreas meist nur Bilder. Und ein paar Kernsätze. Zu der A.M. Serie, von der viele denken, dass er wirklich mit Angela Merkel unterwegs war, schreibt er:
Der Betrachter ist verantwortlich für das, was in seinem Kopf passiert, nicht der Photograph.
Das schönste Bild (16. August) zeigt ihn an der Druckerpresse mit Uta Grosenick, der Geschäftsführerin des Distanz Verlages:
+++Es ist angedruckt+++Nur noch wenige Tage bis zur Erscheinung+++
Distanz hatte auch sein erstes Buch veröffentlicht: „ABC“. Erschienen zur Ausstellung in Rostock, herausgegeben von Ingo Taubhorn, Kurator der Deichtorhallen, der die Schau in Rostock kuratierte. In seinem Text schreibt er:
Mühes Bilder loten den Spielraum zwischen fertigem Film und noch offener Produktion, traumartiger Zuspitzung und kruder Realität, gewinnender Kontrolle und realer Unwägbarkeit aus.
Porträts von Angela Merkel (der echten), Egon Krenz, Paul Maenz. Das Arbeitszimmer von Konrad Adenauer. Die Belegschaft vom Grill Royal. Eine Modeproduktion vor dem ehemaligen Kraft-durch-Freude-Bad Prora auf Rügen. Ein Empfang in der italienischen Botschaft. Es sind ruhige Bilder. Blau und grün die vorherrschenden Farben. Immer eine Spur dunkler, als man es erwarten würde. Das Schwarz, das sich wegduckt. Das Schwawrz, das aber auch erdet. Die Dramaturgie des Lichts. Andreas Mühe weiß, wie man printet. Er hat eine Ausbildung zum Laboranten gemacht. Bei PPS und Pixelgrain. Bei Pixelgrain in der Rosentraße hing lang ein Abzug von Angela Merkel im Wald an der Wand. Die Bücher „ABC“ und „Obersalzberg“ sind sich auch optisch ähnlich. Die Schrift, die Komposition, die Anmutung. Zu beiden hat der Verlag eine Edition herausgebracht, zu „ABC“ einen Barytabzug mit einem Jungen auf dem Sprungbrett einer verlassenen Badeanstalt („Springer“, aus der Serie Olympisches Dorf, 2009), zu „Obersalzberg“ einen Pigmentprint mit einem Selbstporträt in Uniform auf dem Gipfel, während die Sonne durch die Beine scheint („Selbstbildnis II“, 2013). Bilder mit einer starken Aura. Emotionale Bilder.
Der Weg geht übers Machen, nicht über den Kopf.
Andreas Mühe: „Obersalzberg“, dt/engl., 208 Seiten, Distanz, 44 Euro. Neben dem Buch bietet der Verlag eine Edition in limitierter Auflage (15) an. Nähere Informationen unter kugler@distanz.de / www.distanz.de
Interview: Nadine Barth