In sechs Ländern wird Homosexualität immer noch mit der Todesstrafe belangt.
Homosexuell zu sein ist nach wie vor ein Stigma, eine Abnormität. Aufklärungsarbeit ist wichtig. Die Ausstellung „Homosexulität_en“ im Berliner Historischen Museum, gefördert von der Kulturstiftung des Bundes und der Länder will den Blick weiten, ein Bewusstsein schaffen, dass Körperlichkeit ganz unterschiedliche Fassetten hat.
Über 715 Exponate, 30 künstlerische Positionen und zehn Medien- und Hörstationen kann sich der Besucher umfassend über dieses lange als absolut geltendes Tabuthema informieren. In zehn Kapiteln werden unterschiedlichste Aspekte angesprochen, eingebettet in den sozio-historischen Hintergrund der vergangenen 150 Jahre.
Portrait Claire Waldoff, Gemälde, um 1930 Emil Orlik © Deutsches Historisches Museum, Berlin
Zwischen subjektiven Erleben und wissenschaftlicher Forschung
Subjektive Zeitzeugenberichte über „The First Time“ ihrer Homosexualität, prominenten Lebensläufe, Beispiele aus der Kunst, insbesondere der Malerei und der dokumentarischen Alltagsfotografie belegen, dass es Homosexulität_en als „Das 2. Geschlecht“.
„Der Geist ist androgyn“ konstatierte Meret Openheim (1913-1985). Heaser Cassils 6-monatige Performance (1975), in der er sich zehn Kilo Muskeln antrainierte, oszilliert zwischen männlichen und weiblichen Attributen und vermittelt damit genau das Anliegen der Ausstellung: eine kritische Reflexion der eigenen Klischees und ein Bewusstsein für neue Lebensformen „Mann oder Frau, man weiß nicht so genau“.
Gleichzeitig zeigt die Ausstellung, wie Homosexuelle gerade durch die Wissenschaften zu leiden hatten. Die „Constitutio Criminalis Carolina“ bestrafte schon im 16. Jahrhundert gleichgeschlechtliche Liebe mit dem Feuertod. Mediziner diagnostizierten bis ins 20. Jahrhundert Homosexualität als krankhafte Anormalität, die zu heilen galt.
Advertisement: Homage to Benglis, part of the larger body of work CUTS: A Traditional Sculpture, 2011 A six month durational performance; Image courtesy of Heather Cassils and Ronald Feldman Fine Arts © Heather Cassils and Robin Black 2011
Ein ABC der Homosexulität_en
„Wildes Wissen von A – Z“, von der Act-up-Bewegung bis zur Zensur, belegt durch Texte, Zeitungsartikel, Comics, Videos, auf Homosexualität_en. Ernste und amüsante Facetten leuchten auf, u.a. ein Live-Mitschnitt der kabarettistischen Schwulentheatergruppe „Brühwarm“, die Razzien der Stasi oder „Achmad“, der Aufklärungsversuch jüdischer Frauen, Religion und Sexualität zusammenzubringen.
Buchcover: Kurt Hiller, § 175: Die Schmach des Jahrhunderts, 1922 Paul Steegmann Verlag, Hannover, Streitschrift für die Abschaffung des § 175 und damit zur Entkriminalisierung von homosexuellen Männern © Deutsches Historisches Museum, Berlin
Lauschangriff auf Anderssein
„Zwischen Schimpf und Schande“, exzellent in einem roten Gang präsentiert, hört man bedrohliches Stimmengetuschel, dessen aggressive Wucht man erst in den schwarzen Höreinbuchtungen wahrnehmen kann. Hasspredigten schlimmster Art, die die Homophobie kriminalisieren und noch 2012 Ausrottungsparolen die Diskriminierung anheizten.
Zwei wandgroße Weltkarten dokumentieren einmal mehr sexuelle Intoleranz in den einzelnen Staaten und durch den „Rosa Winkel“ wird Diskriminierung und Ausrottung der Homosexuellen in den KZs der Nazi-Diktatur erinnert, wofür erst 1984 durch das Mahnmal „Totgeschlagen – totgeschwiegen“ ein bewusste Aufarbeitung erfolgte.
Mit dieser Ausstellung rückt das Deutsch Historische Museum ein Tabuthema in den Mittelpunkt des Interesses. Es könnte ein Beginn sein, die Schimpfwörter lesbisch, gay/schwul, bisexuell, transidentifiziert, intersexuell und queer auf einer sachlich argumentativen Ebene zu verorten und Akzeptanz für andere Lebensformen zu schaffen.
Ausstellungsinfos: Homosexulität_en
Laufzeit: bis 1. Dezember 2015
mit interessanten Vortragsangeboten, kostenlosen Führungen, auch für Schulklassen
Ort: Deutsches Historisches Museum
Öffnungszeiten: täglich von 10 bis 18 Uhr
Text: Michaela Schabel