Kafka im Deutschen Theater – Großartig!

Theaterkritik 

Kafka im Deutschen Theater – Großartig!

Kriegenburg inszeniert Kafkas „Der Käfig ging einen Vogel suchen“ als Groteske am Rande des Schreckens im Deutschen Theater Berlin. Kafka pur! Hingehen.

Ein Käfig ging einen Vogel suchen

Vier identische Zimmer übereinander getürmt, immer schräger, immer abrutschgefährdeter die Böden, verloren, einsam, isoliert darin Herr Blumberg in 7-facher Multiplizierung, bebrillt, streng gescheitelt, im grauen Anzug eine Mischung zwischen maskenhaft geschnitzter Marionette mit Elaste-Plaste Beweglichkeit.

Großartig präsentiert Andreas Kriegenburg Kafkas wirre Ideenwelt im Deutschen Theater Berlin. Dass hier das absurd Abgründige im Mittelpunkt steht, signalisiert schon der Titel. Kafkas Aphorismus „Ein Käfig ging einen Vogel suchen“ trifft ins Schwarze kafkaesker Isolationsphobie. Kafkas Texte „Der Bau“ und „Blumberg, ein älterer Junggeselle“  verschmelzen und werden zur Erzählklammer für collagierte kürzere Texte, die in illustrierten Metaphern das menschliche Unvermögen gescheiterten Miteinanders beleuchten und in der Vorsicht das Risiko des Lebens befördern. Das ist witzig und klug konzipiert und inszeniert.

Deutsches Theater: Kafka

Der Sonderling Blumberg personifiziert das Tier im „Bau“. Mit Aktentasche bewaffnet mutiert er zum metaphorischen Initiator des „Baus“. Er spintisiert sich eine völlig nach außen gesicherte Welt im Unterbau der Erde und deklamiert mit zunehmender Besessenheit in 7-facher Dynamisierung und endlosen Wiederholungsschleifen die Baufortschritte seines heimlichen Sicherheitsbunkers.

Kriegenburgs kaleidoskopartige Auffächerung der sprachlichen Ebenen ist famos.

Nele Rosetz als hippe Moderatorin im sexy Kostüm mit quirligen Schößchen ironisiert mit nicht minder schnellem psychotischen Erzählduktus  aus der Außenperspektive die Nöte des Herrn Blumberg. Der bzw. seine Alter Egos verspinnen sich immer mehr in ihre Phobien. Eine Psychose, die erotische,  spaltet sich ab, dupliziert sich durch die Zwillingsschauspielerinnen  Lisa Quarg und Laura Goldfarb  und gewinnt eine rasante Eigendynamik. In bonbonfarbenen Kleidchen (Kostüme Andrea Schraad) mit Schleifchen im Haar verwandeln sich die Schauspielerinnen in zwei durchtriebene Mädchen. Als  erotische „Erscheinungen“  reizen sie Herrn Blumberg zu pädophilen Phantasien, jagen ihn wie Kobolde bis zur Paranoia, kaum da, wieder verschwunden im Labyrinth der Zimmer und Türen, die in ihrer bildhaften Magie den Film „Wenn die Gondeln Trauer tragen“ assoziieren lassen.

Deutsches Theater: Kafka

Doch zunächst und zwischendurch formiert sich das Leben des Herrn Blumberg als Slapstick-Comedy des ganz gewöhnlichen Wahnsinns, zwischen Arbeitstrott und einsamen Abendessen. „Entschlüsse“ zu fassen ist seine Sache nicht. Jede Bewegung wird zur Qual,  An- und Ausziehen, Kommen und Gehen, Essen und Trinken zum Chaos „Alltäglicher Verwirrung“ , durch großartiges Timing und  famose Eloquenz von Elias Arens, Moritz Grove, Bernd Moss, Jörg Pose und Natali Seelig zwischen grotesken Ulknummer und tiefgründigen Satire vereinsamten Lebensstils bestens verortet.  Sie hyperventilieren. In treibender Sing-Sang-Intonation  agieren sie als Comedian Harmonists in Einzelzellen, verknoten sich beim Krawattenbinden zum gefesselten Standbild einer Witzfigur und rutschen statt zur „Gemeinschaft“ ins „Unglücklichsein“, aus dem auch „Der plötzliche Spaziergang“ mit dem angedachten Besuch eines Freundes nicht erlöst.

Das ist Kafka pur, wie man ihn von der Rezeption kennt.

Doch Kriegenburg geht durch die Textauswahl einen Schritt weiter, inszeniert mit „Schakalen und Arabern“ eine kafkaeske Metaphorik, die in der derzeitigen politischen Situation wie ein Alptraum rassistische Klischees ins Bewusstsein holt. Wenn die  Schakale auf die aus dem Norden warten, weil „dort der Verstand (ist), der Hier unter den Arabern nicht zu finden ist“ und Kriegenburg noch die verquere Erotik im Kettenkarussell fliegender, beinfreier Muslima darauf setzt, Kafkas Philosophie  „Kommunikation ist nicht möglich“ herauskristallisiert und mit Kafkas Einsicht  aus dem  „Alten Blatt“, das Vaterland nicht verteidigen zu können, woran „wir“ letztendlich zugrunde gehen, eröffnen sich die Untiefen der Irritation, die in einem abrupten Blackout enden und das Lachen in Schrecken wandeln. Raffiniert! „Der Käfig ging einen Vogel suchen“ entpuppt sich als Gehirn kafkaesker Spießbürgerlichkeit, die die Möglichkeiten der Freiheit einfach wegsperrt.

Text: Michaela Schabel / Fotos Arno Declair

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