56. Biennale Venedig : All The World’s Futures
Das im Titel der Biennale – All The World’s Futures – angekündigte Ziel, ein globales Zukunftsbild zu zeigen, mag auf den ersten Blick utopisch erscheinen. Doch bald wird klar, dass dieses Motto vor allem eine treffende Bezeichnung dafür ist, womit sich die Kunst ohnehin beschäftigt, – mit Reflexionen zwischen Heute und Morgen.
Der Weg vom Festland zu den Lagunen-Inseln Venedigs führt über einen schmalen Streifen im Meer. Unser Zug legt die fünf Kilometer lange Ponte dell Libertà, die Brücke der Freiheit, zurück, ohne die Geschwindigkeit zu verringern. Wir haben nur wenige Minuten, um die kostbare Aussicht zu genießen und uns auf den Freisinn mit jahrhundertelanger Tradition einzustellen. Angesichts der imposanten historischen Größe der Stadt scheinen sogar die 120 Jahre der Biennale-Geschichte bescheiden. Ungebrochen beeindruckend bleibt allerdings die Internationalität der Biennale Venedig: Die diesjährige versammelt 89 Länderpräsentationen und 136 Künstler in der Internationalen Ausstellung und lässt damit Landesgrenzen vergessen.
Dafür beschäftigen sich aber die Künstler mit dem Begriff der Grenze sehr wohl und in verschiedenen Kontexten.
Im deutschen Pavillon wird über die Gewalt der Bilder nachgedacht…
… und mit der Grenze zwischen Realität und Virtualität experimentiert. Die Videoarbeit von Hito Steyerl versetzt den Betrachter in eine digitale Parallelwelt und spielt mit unserer Wahrnehmung und Interpretation der visuellen Reize.
Der israelische Pavillon untersucht die räumliche Grenze zwischen Innen und Außen, während der Landesbeitrag von Kosovo das Phänomen des Grenzstreifens zu einzelnen Gitterteilen abstrahiert.
Im australischen Pavillon geht es ernsthaft zu.
Fiona Hall widmet sich den akuten Problemen der Menschheit wie Krieg, Geldgier oder Umweltverschmutzung. “Madness, badness and sadness”, die die Welt beherrschen, wiedergibt sie in ihren Installationen – die von der Decke herunterhängenden Puppen, die aus einzelnen Nähten der Militäruniformen bestehen, symbolisieren die Absurdität der Menschenopfer in Waffenkonflikten.
Über das Geld denkt ebenso das Künstlerkollektiv BGL nach – aber vielmehr auf eine witzige Art und Weise. Im kanadischen Pavillon, der sich in einen Kleinhändlerladen und später in ein Künstleratelier verwandelt, haben die Künstler ein Labyrinth aus Metallrohre installiert. Die Besucher können eine Euromünze reinwerfen, und schwupp – landet sie in einer durchsichtigen Wand und wird Teil eines Münzenornaments. So wird das Geld zu einem reinen Anschauungsobjekt.
Die Frage nach der Identität gibt Anstöße für weitere Kunstwerke. Herman de Vries, der den niederländischen Pavillon bespielt, wendet sich in dieser Hinsicht komplett der Natur zu und zeigt, wie nah der Mensch an seinem eigentlichen Ursprung heute noch sein kann.
Die Japanerin Chiharu Shiota benutzt den Schlüssel als Symbol für Privatsphäre. Ein dichtes Gewebe aus roten Fäden, von denen jeder einen Schlüssel trägt, beherrscht den Raum und füllt ihn mit persönlichen Geschichten, die das Konzept der Erinnerung verbildlichen. Ihre raumfüllenden Arbeiten stehen im krassen Gegensatz zu ihrem beinahe winzigen Atelier in Berlin. Dort hatten wir sie besucht: Chiharu Shiota – eine Künstlerin zwischen Japan und Berlin.
Künstler Danh Vo untersucht im dänischen Pavillon die Abgründe der menschlichen Natur.
Sakrale Skulpturen wie die Maria der Verkündigung oder die Figur Christi sind hier mit den Teufelssprüchen aus dem klassischen Horrorfilm Der Exorzist benannt. Das Gute und das Böse sind in jeder Arbeit von Danh Vo untrennbar verbunden, und der Wettstreit zwischen diesen zwei Polen kommt mit einem schockartigen Effekt zum Vorschein.
Ungleichheit, Ausbeutung, Gewalt, Kolonialgeschichte, Umweltverschmutzung – die Künstler der diesjährigen Biennale Venedig lassen kein akutes Thema außer Acht. In der gemeinsamen Internationalen Ausstellung begegnen wir den Neonskulpturen von Bruce Nauman und den in den Boden gestochenen Schwertern von Adel Abdessemed.
Monica Bonvicini lässt in Beton gegossene Kettensägen von der Decke baumeln. Wer die Künstlerin nicht kennen sollte, dem haben wir ihre Kernthemen und wichtigsten Artberlin Künstlerprofil zusammen gefasst: Monica Bonvicini.
Mag es an der strahlenden Sonne über Giardini oder an den Bilderbuchansichten Venedigs liegen, die Katastrophenstimmung ist bald gemildert und lässt uns Platz für kontemplatives Nachdenken.
Wie ihr die Biennale Venedig am besten durchreist, haben wir euch in unserem How To Do Venice Biennale aufgeschrieben. Viel Vergnügen.
Text: Oksana Shestaka / Fotos: Alexandra Polyakova