Gibt es einen inhaltlichen oder visuellen roten Faden im Programm der Berlinale Shorts 2018?
Gemeinsam ist den Filmen, dass sie Haltung beziehen und sich in den gesellschaftlichen Diskurs einbringen.
Empathie ist ein großes Thema.
Einem abstrakten Film eine Empathie für einen Protagonisten oder eine Protagonistin anheim zu legen ist nicht einfach, weniger schwierig ist es jedoch, in einem Film wie IMPERIAL VALLEY den genauen Blick auf die Verhältnisse zu bemerken. Das IMPERIAL VALLEY mit großflächigen Anbaugebieten für Obst und Gemüse liegt im Südwesten der USA. Lukas Marxt schafft hier durch einen simplen Drohnenflug überwältigende Bilder. In der Abstraktion der Abbildung wird die Absurdität der Verhältnisse noch deutlicher.
Umwelt, Lebens- und Möglichkeitsräume werden in vielen Filmen verhandelt. Gleich zwei Filme konzentrieren sich auf die Lebensumstände von Tieren und interessanterweise sind beide, sowohl LE TIGRE DE TASMANIE von Vergine Keaton als auch BLAU von David Jansen, Animationsfilme. In BLAU reisen wir mit einer Walkuh und ihrem Kalb durch die unendlichen Weiten der Ozeane. Klingt nach Idylle, ist es aber nicht. In SOLAR WALK von Réka Bucsi hingegen folgen wir Individuen und ihren Kreationen im All – als Reflektionsraum für das eigene Handeln und die Frage nach der Wahrnehmung.
Was zeichnet die Kuration der diesjährigen Berlinale Shorts aus?
Die Gesamtheit der Auswahl erzählt von der großen Bandbreite der Sehnsüchte, die uns umgeben und leiten, von den Fragen, denen wir uns gesellschaftlich stellen müssen.
Es sind mutige, wilde Filme.
Die Filmemacherinnen und Filmemacher des Wettbewerbs bieten in ihren Werken Strategien der Selbstermächtigung an und nicht zu vergessen: wir gedenken im Jahr 2018 dem 50-jährigen Jubiläum der 68er-Bewegung. Die Berlinale Shorts machen den Aufschlag mit einem aufregenden Sonderprogramm: „1968 – Rote Fahnen für alle“ verbindet unterschiedliche ästhetische Positionen – z.B. Expanded Cinema, Experimentalfilm und Essayfilm. Die Filme haben bis heute nicht an Relevanz verloren.
Erzähl uns bitte kurz, worum es in den Filmen des Sonderprogramms „1968 – Rote Fahnen für alle“ geht und vor allem, welchen Diskurs ihr bei den Zuschauern anstoßen wollt.
Wir wünschen uns eine Abbildung von Diversität und möchten ermöglichen, viele am Diskurs teilhaben zu lassen: gehört werden, gesehen werden mit einer eigenen Vision. Im Sonderprogramm „1968 – Rote Fahnen für alle“ kommt dieser Aspekt sehr zum Tragen. Zum ersten Mal wird in einem Programm zu 1968 keine einzige Demonstration gezeigt, wohl aber Filme, die das Umfeld, in dem 1968 passierte, einfangen – die Stimmung, die alles umgab.
Was wollen wir jetzt damit anstoßen? Die Lust, etwas zu bewegen, die Lust, sich zu vergewissern:
Wie hätte ich gehandelt? Wie kann ich heute handeln?
Es gibt genug zu tun.
Das Sonderprogramm ist der Versuch, die Vielfalt der Auseinandersetzungen, die 1968 passierten, zu zeigen.
Christiane Gehner fragt in PROGRAMMHINWEISE nach den Geschlechterrollen. Ula Stöckl deckt in ANTI’GON’E‘ die Struktur der Machtverhältnisse auf. In NA UND…? von Marquard Bohm und Helmut Herbst ist der oft beschriebene Muff unter den Talaren im Haus der Familie Bohm in Hamburg greifbar. VALIE EXPORT, Claudia von Alemann, Ula Stöckl, Peter Nestler, Wilhelm und Birgit Hein etc. haben zeitlose Kunstwerke geschaffen.
68. Internationale Filmfestspiele Berlin |15. – 25.02.2018
Infos zum Berlinale Shorts Programm 2018
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