George Widener: Sundays Crash © George Widener. Foto: Bernhard-Schau
George Widener: Jules Verne Karten 2.0 ?
Als ich die Arbeiten von George Widener das erste Mal sah, war ich sofort fasziniert. Sie hatten eine für mich im ersten Moment unerklärlich starke Anziehung. ohne dass ich sagen konnte warum. Ich betrachtete die Bilder und fühlte mich wie im Hirn von Jules Verne.
Würde man eine Karte von Jules Vernes Gedanken und Hirnströmen zeichen, so dachte ich mir, würde das so aussehen: Zahlenkolonnen verschmelzen zu, jedenfalls für mich merkwürdig beruhigenden, Landschaften, Karten und Formen. Und sie tun dies immer in logischer, warmer Harmonie., obwohl sich manche Werktitel auf negative Ereignisse beziehen, wie z.B. „Sunday Crash“ oder „Friday Disasters“.
Damals wusste ich noch nicht, wer die Person hinter diesem für mich völlig unerwarteten und absolut funktionierenden Ausdruck von Kunst war.
George Widener: I was born © George Widener. Foto: Bernhard-Schau
Wer ist George Widener?
Stell Dir vor, du bist ein hochbegabter Savant mit Asperger Syndrom.
Dann siehst du Bilder, wenn zu Zahlen anblickst. Egal ob du Geld zählst, deine Finger oder dir die Börsenzahlen durchliest. Jedenfalls ist das so bei George Widener.
Er, dem Zahlen immer näher waren als Menschen, erfuhr erst sehr spät warum das so ist. Davor hatte er nicht viel zu lachen, wuchs nach dem frühen Tod seines Vaters bei Verwandten auf, hatte ein unberechenbares Temperament und war dabei immer fasziniert von Zahlen und Katastrophen. Mit 17 Jahren ging er zur Air Force, wo seine mathematische und technische Hochbegabung erkannt wird. Dennoch, oder gerade deswegen, kapselt er sich privat ab. Eine Hochbegabung ersetzt keine zwischenmenschlichen Interaktionen, im Gegenteil sie bildet eine eigene Realität die nur von einer Person verstanden und betreten werden kann. Er lebt teilweise sogar auf der Straße. Erst mit Ende 30 kommt die erlösende Diagnose. Asperger Syndrom. Kein Freak. Kein Verrückter. Es gibt einen Namen dafür.
George Widener: Birthdaymap © George Widener. Foto: Bernhard-Schau
Zahlen sind Bilder sind Mathematik sind Schönheit!
George Widener malt seit seiner Kindheit Zahlenkolonnen, geschichtsträchtige Daten, mathematische Allegorien in kleine Notizbücher, die er in seinem Rucksack mit sich rumträgt. Es dauert viele Jahre bis er sie jemanden zeigt.
Seine erste Ausstellung als Künstler bekommt er im Jahr 2000.
Zufall?
Mittlerweile lassen sich Muster in seinem Werk erkennen. So ist zum Beispiel Reisen ein Thema. Mit oder ohne Geld, Georg Widener ist immer viel gereist. Vor allem Schiffe symbolisieren für ihn Dynamik. Diese Beweglichkeit haben Zahlen auch für ihn, sagt er in einem Interview. Sie wirbeln, drehen, bewegen sich. Sie sind lebendig.
Wenn George Widener Zahlen sieht, sieht er Bilder.
Das lässt sich in seinem Hirn messen. Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen.
Nicht weiter verwunderlich, dass er an eine Zukunft glaubt in der es künstliche Intelligenz geben wird. In der Roboter, Maschinen-Menschen und Supercomputer ein Bewusstsein haben. George Widener sieht sich in der Lage für diese Wesen Kunst zu erschaffen. Ein Vermittler und Wandler zwischen künstlicher und menschlicher Intelligenz.
Das Lieblings-Zitat von George Widener lautet:
Ich hoffe, Maschinen werden ihre Eltern lieben.
Georg Widener macht „Outsider Art“ – wirklich?
George Wideners Arbeiten laufen unter der sogenannten Kategorie „Outsider Art“. Will heißen, wir bewegen uns jenseits der üblichen Grenzen im Kunstbereich. Dies ist meiner Meinung nach ein Widerspruch an sich. Ist Kunst nicht grenzenlos?
Ich bekomme schlechte Laune, wenn ich darüber nachdenke das Kunst von „Behinderten“ oder psychisch beeinträchtigten Menschen erstens in eine Schublade gesteckt und das dann auch noch mit dem Namen „Outsider Art“. Sollte nicht gerade in der Kunst ohne Schranken agiert, gedacht und betrachtet, Inklusion praktiziert werden? Wenn nicht in diesem Feld wo denn dann? Nun immerhin bietet sie für „besondere“ Menschen heutzutage eine Möglichkeit sich ausdrücken, die Einzigartigkeit ihrer Person in unsere normalen Gesichter zu schleudern. Früher wären sie in psychatrischen Kliniken weggesperrt worden. Immerhin, das ist ein Fortschritt.
Ich bin fasziniert
Mich ziehen die Arbeiten George Wideners unwiderstehlich an. Jetzt weiss ich auch warum. Sie katapultieren mich in das Gehirn, den Geist eines einzigartigen Künstlers und Menschen.
Stell dir vor wie deine Karten, Landschaften aussehen würden. Wie würdest du Zahlen übersetzen? Und welche Ziffern spielen in deinem Leben eine Rolle? Auf welchem Material würdest du dein persönliches Bild festhalten, welchen Rhythmus hat dein Leben, bestimmt durch die Zahlen deines Geburtsdatums? Wie würde das dann in Form einer Zeichnung aussehen? Think about it!
Was für eine Dimension! Ohne George Widener hätten wir keine Chance ihre Schönheit und Klarheit zu erkennen. Denn jede Zahl birgt im Endeffekt ihr eigenes Bild. Der Großteil der Menschheit kann sie nur nicht sehen. Das heißt aber nicht dass sie nicht existieren.
George Widener: Secret Universe IV // Hamburger Bahnhof
Opening 24. Januar 20 Uhr // Laufzeit 25. Januar bis 16. Juni 2013
Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin
Invalidenstr. 50-51 // 10557 Berlin
Text: Esther Harrison