Was bleibt? Wer bin ich und wer darf ich sein? Was haben wir erlebt? Der Designkalender „Schön, dass du da bist!“ setzt sich mit den Themen Flucht und Ankommen auseinander und wirft dabei viele Fragen auf. Im kreativen Dialog versucht sich der Kalender offen und ehrlich der sogenannten „Flüchtlingsproblematik“ zu nähern und geht gemeinsam mit den Künstlern auf die Suche nach einem gemeinsamen Wir. Neben deutschen Künstlern, sind auch einige mit persönlicher Fluchterfahrung. Die Berliner Künstlerin Jovana Popic kam 2003 aus Serbien nach Deutschland. Auch sie hat ihr Land, unter anderem, wegen der politischen Umstände verlassen.
Jovana, was brachte dich nach Deutschland?
Zunächst einmal weil ich Multimedia studieren wollte. In Belgrad habe ich klassische Malerei studiert, was aber nicht das richtige Medium für mich war. Außerdem fühlte ich mich von der politischen Lage in Serbien gegeißelt. Ich konnte mich dort als Künstlerin nicht wirklich entwickeln. Für mich war das Verlassen Serbiens ein großer Schritt in meiner künstlerischen Entwicklung. Ich denke, dass jeder Künstler reisen und in Bewegung bleiben muss, um sich zu entwickeln. Jeder Künstler hat seinen eigenen, inneren Weg, den er gehen muss.
Warum gerade Berlin?
Berlin war für mich die Stadt der Zukunft. Hier konnte ich zum ersten Mal frei und mit ganzer Leidenschaft an meiner Kunst arbeiten. Berlin hat eine starke Präsenz, gleichzeitig mag ich aber auch die Anonymität der Stadt.
Was ist deine Motivation als Künstlerin zu arbeiten?
Es ist die Möglichkeit Menschen durch ästhetische Erfahrung auf politische und sozial problematische Themen aufmerksam zu machen. Ich war im künstlerischen Prozess irgendwann satt von der Schönheit. Menschen suchen nach einer tiefgründigen, ästhetischen Aussage. Ich bin der festen Überzeugung, dass Kunst eine Möglichkeit bietet, sich mit Dingen auseinanderzusetzen, die durch politische oder soziale Diskussionen unbeachtet oder ungehört bleiben. Durch Kunst kann man Fragen stellen, die sonst nicht gestellt werden.
War dies auch der Antrieb, der dich zu einer Teilnahme am Kalenderprojekt bewegte?
Zum einen war es meine persönliche Vergangenheit. Aufgrund des Bürgerkriegs in Jugoslawien mussten ich und meine Familie unsere Heimat verlassen. Wir sind damals von Kroatien nach Serbien geflohen. Für mich war es also auch eine persönliche Angelegenheit, dieses Projekt zu unterstützen. Außerdem wollte ich damit ein positives Signal setzen. Die vielen Menschen, die hier nach Deutschland kommen brauchen unsere Unterstützung. Ich weiß, dass man allein nicht die Welt retten kann, aber wir können zumindest einen kleinen Teil besser machen. Die Teilnahme am Kalender-Projekt ist so ein kleiner Beitrag.
Was war die Idee hinter dem Video „ The Chronicle“, das als Standbild im Kalender zu sehen ist?
In dem Video ist eine Grundschule im ehemaligen Kriegsgebiet von Kroatien zu sehen. Aufgrund des Krieges ist sie längst verlassen, eine Art Ruine. Mein Vater ging schon in diese Schule, meine Großmutter lebt immer noch dort – nur 100 Meter entfernt. Als Kind habe ich die Schule gut gekannt. Ich wollte dorthin zurückkehren. Meine Idee war es, die imaginäre Klasse zu filmen. Durch den Wind, der im Video zu sehen ist, wirkt das Ganze sehr geisterhaft. Die Abwesenheit der Kinder lässt eine andere Art von Präsenz entstehen. Für mich ist das Video auch ein Symbol meiner eigenen Kindheit.
Im Kalender geht es ja auch um die Suche nach einem „gemeinsamen Wir“. Was stellst du dir darunter vor?
Das ist ein globales Thema. Besonders, weil momentan so viel in der Welt passiert. Heute haben viele Menschen Angst. Die Menschen müssen zusammenhalten. Menschen sind eingeladen, anderen zu helfen. Man sollte Angst durch Handeln überwinden.
Was passiert bei dir als nächstes?
Im Moment konzentriere ich mich auf mein neues Projekt „What do you want to forget?“. Dabei geht es um den Holocaust und darum welche Rolle das Vergessen in unseren Erinnerungen spielt. Eine Frage, die auch für das ehemalige Jugoslawien wichtig ist. Das ganze wird eine Installation werden. Dabei entsteht eine riesige menschliche Wirbelsäule, die mit Lautsprechern ausgestattet ist. Für das Projekt habe ich mit Menschen aus Belgrad und Sarajewo über ihre Erinnerungen an den Holocaust gesprochen. Diese Gespräche werden als der Teil der Installation zu hören sein. Ich möchte einen Raum schaffen, an dem Menschen sich mit dem Vergessen und Erinnern auseinandersetzen. Ein Raum, der Denkimpulse anstößt und wichtige Fragen stellt. Durch die Komplexität des Projektes habe ich mich entschlossen, das Ganze auch über eine Kickstarter-Kampagne mitzufinanzieren.
Mehr über Jovana Popic: www.jovanapopic.com
Hintergründe und Bestellmöglichkeit des Kalenders: www.offfer.de
Kickstarter-Kampagne: What do you want to forget?
https://www.kickstarter.com/projects/1537456770/what-do-you-want-to-forget?lang=de
Author: Linda Pacher