Der Wohnort Gottes – ein neues Film-Projekt in Äthiopien
Die Bibel wollte von mir gelesen werden
Gerade erst ist Brigitte Maria Mayer zurück, nach mehreren Jahren im Ausland. Mit ihrem bodenlangen Kleid, den Sandalen und dem weissen Schal scheint sie wie aus der Gegenwart gefallen – eine biblische Figur aus der Zeit Christi. In Äthiopien sollte ein Bibel-Film gedreht werden. Schon seit 2009 arbeitet Brigitte Maria Mayer akribisch an diesem Projekt, liest intensiv das Alte und das Neue Testament, recherchiert, entwickelt Szenen, sucht Drehorte, castet Schauspieler, schneidert Kostüme. Doch kurz vor Drehbeginn war dann alles aus. Die orthodoxe Kirche in Äthiopien sperrte sich plötzlich gegen das Projekt.
Ende August im letzten Jahr war ein Tag, an dem ich wusste: Ich habe verloren. Ich habe noch nie ein Projekt verloren. Das war ein Gefühl der Ohnmacht, andere hatten Macht über mich. Aber nach drei Tagen habe ich entschieden, der Film wird in Deutschland gemacht.
In ihrem Loft hängen mehrere Kleiderständer mit Kostümen, die vor Ort gefertigt worden waren. Doch viel von der Ausrüstung hängt noch in Äthiopien fest, sie wurde am Flughafen ohne Angaben von Gründen konfisziert. Andere würden da vielleicht aufgeben, nicht so Brigitte Maria Mayer. An der Wand hängen Fotos von neuen Drehorten in der Umgebung. Die Künstlerin hat einen Blick für Räume.
Der Text kommt bei meinen Projekten erst an zweiter Stelle, zuerst ist immer das Bild da. Der Raum, das ist es, was mich interessiert.
Anatomie Titus – Fall of Rome. Mythen der Menschheit
Das Schaffen von Räumen und Bildern ist ihr grossartig gelungen in der 2009 fertig gestellten einstündigen Video-Installation Anatomie Titus – Fall of Rome. Basierend auf dem gleichnamigen Stück ihren verstorbenen Mannes, des Dramatikers Heiner Müller – der seinerseits das Shakespeare Drama modern adaptiert hatte – erzählt das Werk glanzvoll von Gewalt und Macht, von Mythen, Aufstieg und Fall in Geschichte und Gegenwart. Ein Globalisierungs-Fresko haben Kritiker diese auf drei Bildschirmen parallel präsentierte Menschheits-Geschichte genannt. Gestern – Heute – Morgen. Die Themen der Menschheit gleichen sich, und Brigitte Maria Mayer kann diese Themen in Bilder umsetzen.
Kain und Abel und die Vertreibung aus dem Paradies
Die biblischen Themen beschäftigen Brigitte Maria Mayer nicht erst seit ihrem Filmprojekt „Der Wohnort Gottes“.
Ich komme aus Regensburg, bin katholisch erzogen worden. In manchen Ereignissen poppt etwas auf, da sehe ich etwas. Unserer säkularen Gesellschaft fehlt heute das Oben, der Ort, wo man etwas abgeben kann. Der Kapitalismus optimiert die materiellen Dinge, aber er entleert die Menschen.
Kain und Abel, das uralte Thema des Brudermordes, zwei Männer, die nackt vor einem kahlen, grauen Haus ringen. Die Vertreibung aus dem Paradies, Adam und Eva vor der Wolke der einstürzenden Türme des World Trade Center. Brigitte Maria Mayer hat für viele spirituelle Themen eine ganz eigene Bildersprache gefunden, die Menschheitsthemen in die Gegenwart übersetzt. Ihre Bilder haben etwas Mystisches und immer berückend Schönes.
Brigitte Maria Mayer: Gedanken zur Gegenwart
In einem kleinen Stichwort-Fragespiel bitten wir Brigitte Maria Mayer, zu sagen, was ihr spontan in den Sinn kommt:
Gewalt: Körperliche Gewalt ist nicht die einzige. Eine andere Form der Gewalt ist die Erniedrigung – zu besichtigen zum Beispiel in gewissen Fernsehsendungen. Wer gewinnen will, ohne dem Verlierer sein Gesicht zu lassen, ist auf Vernichtung aus.
Armut: ist Ausschluss, kommt gleich hinter Gewalt. Armut ist die Amputation von Teilnahme in der Gesellschaft.Gerechtigkeit: noch wichtiger als Freiheit, sehr, sehr schwer zu verwirklichen. Wir leben in einer Welt, wo Geld keine Werte produziert und der Lohn für Arbeit immer weniger wird.
Kunstmarkt: hat Exzesse, ist zum Teil ein Millionärsrummel. Andererseits: in Deutschland gibt es öffentliches Geld für Kunst, das ist phantastisch. Und diese ganze Piraten-Diskussion über Freiheit und Abschaffung der Urheber-Rechte, da bin ich als Künstler total dagegen.
In den nächsten Monaten will Brigitte Maria Mayer mit Hochdruck an ihrem Filmprojekt „Der Wohnort Gottes“ arbeiten. Sie weiss die Vorzüge unseres Systems durchaus zu schätzen, Freiheit der Presse, ein funktionierender Rechtsstaat. Aber wahrscheinlich wird es sie irgendwann doch wieder in die Ferne ziehen.
In Asien und Afrika ist viel mehr Bewegung. Die Gesellschaft ist jung, will kämpfen, etwas erreichen. Und die Generationen kümmern sich umeinander. In Äthiopien gibt es zu Beispiel keine Altenheime. Da bleibt den Familien gar nichts anderes übrig. Hier in Europa ist alles viel zu sehr über Erfolg und Geld definiert.
Brigitte Maria Mayer steckt sich noch eine letzte Zigarette an, wir plaudern schon seit über zwei Stunden. Diese Künstlerin steckt so voller Gedanken und Ideen, dass sie trotz ihrer zarten und zerbrechlich wirkenden Gestalt wie ein Riese wirkt. Ein Riese, der noch eine ganze Reihe von Bergen bewegen will.
Fotos: Tatjana Bilger