HAMBURG? Ja, Hamburg, ihr habt richtig gehört. Manche Dinge ergeben sich wie selbstverständlich wie unsere Reihe zur Kunstszene in Hamburg. Mit Melanie Schehl und Mosch Khanedani hat ARTberlin zwei faszinierende Redakteurinnen in der schönen Stadt, die ihr sorgfältig auswählende Auge auf das Kunstgeschehen in Hamburg richten werden. Und vielleicht wird aus der Hamburg Reihe ein eigens Ressort. Das entscheidet ihr. Hier kommt jedenfalls unser erster Hamburg Post:
Kunstverein Harburger Bahnhof
Die Tür zum Kunstverein Harburger Bahnhof liegt oberhalb von Gleis 3 + 4, versteckt. Der Raum dahinter, der ehemalige Wartesaal für Reisende 1. Klasse, atmet noch immer verschwenderisches Privileg: Unter der historischen Kassettendecke, hallenhoch, erstrecken sich 350 Quadratmeter Ausstellungsfläche, unterteilt nur durch das Geräusch ein- und ausfahrender Züge. Im Sommer 2011 sind die beiden Kuratorinnen Isabelle Busch und Franziska Solte angetreten, diesen Raum für noch nicht-etablierte Hamburger Künstler und Positionen von außerhalb zu öffnen.
Heute, knapp ein Jahr später, haben sie uns zur Eröffnung der neuen Ausstellung des 34-jährigen Adrian Lohmüller eingeladen. And To Make You Toe The Line weckt die Assoziation zu einer Parkanlage, die im urbanen Raum einen bewusst konstruierten und geometrisch abgesteckten Freiraum darstellt. Sie wird flankiert durch die Video-Installation Speaker’s Corner, angelehnt an die gleichnamige Rednerecke im Londoner Hydepark, von der 1855 die öffentlichen Unruhen der englischen Arbeiterklasse ausgebrochen sind. Ich drehe mich um und treffe auf den Künstler.
Ein Interview mit Adrian Lohmüller auf grünem Rasen
Adrian, was hast Du als Erstes gedacht als Du den Raum gesehen hast?
Mich hat das Offene daran enorm interessiert, das hat mich auch an Hamburg als Ort gereizt.
Du gehst mit Deinen Arbeiten sehr an die Substanz des Raums. Was ist Dein Ansatzpunkt?
Mein Bezug dazu ist der Mensch, wie er sich in seiner Umgebung bewegt, wie sich die Architektur mit dem Menschen verbindet, beziehungsweise, das Verhältnis, das ein Mensch zu seiner Umgebung hat. Ich habe in den USA studiert, viele Arbeiten gehen dort vom Fußgänger aus, also vom kleinsten Individuum in der Stadt. Fußgänger kommen dort hintenan und das macht sich in der städtischen Architektur überall bemerkbar.
In den USA sind Autos wichtiger…
Ja, absolut. Ich habe mich dort mit einem Highway beschäftigt, der in die Stadt hineinführt und zwischen zwei Low-Income-Housing-Nachbarschaften liegt, Poppleton und Heritage Crossing, wie die eine Nachbarschaft kurioserweise heisst. Er ist stark befahren und ziemlich gefährlich zu überqueren, aber mir ist ein Trampelpfad aufgefallen, der über den Mittelstreifen ging. Man sah dort ganze Familien mit Kinderwagen den Highway überqueren. Irgendwann stand dort ein Zaun, das war die Lösung der Stadt. Zwei Tage später war ein körpergroßes Loch im Zaun. Irgendwann war der Zaun wieder weg, aber eine Brücke kam nie.
Eine Art Verweigerung der Stadt, den offensichtlichen Bedarf wahrzunehmen?
Genau. Zur gleichen Zeit ist in Washington D.C. ein Fußgänger in einer ähnlichen Situation überfahren worden. Da habe ich eine Arbeit gemacht, die hieß MOPA The Maryland Office of Public Apology. Ich habe eine offizielle Entschuldigung als Emaille-Schild drucken lassen und die Leute an diesem Highway animiert, sich bei der Stadt zu beschweren über die Abwesenheit einer Fußgängerbrücke. Es geht um eine kleine Revolution bei diesem Trampelpfad, der eigentlich aus einer Notwendigkeit entsteht, denn die Menschen gehen eben nicht drei Meilen, um über die nächste Brücke zu gehen. Damit ist die Arbeit hier im Kunstverein ein Stück weit verbunden.
Es werden sich hier Pfade bilden, es sind bisher keine vorgegeben. Man bewegt sich ohne irgendwelche Vorschriften.
Dort hinten haben Besucher eine Picknickdecke ausgebreitet, daneben liegt ein Skateboard…
Ja. (lacht.) So habe ich mir das vorgestellt.
Der Künstler Adrian Lohmüller
Adrian Lohmüller, Jahrgang 1977, hatte bereits sehr prominente Auftritte u. a. bei der Berlin Biennale 2010 mit seiner Arbeit in einem Kreuzberger Haus, das er mit einem komplexen Rohrsystem durchzog sowie in der letzten von John Bock kuratierten Ausstellung in der Temporären Kunsthalle Berlin, wo er sich durch das Fundament der Ausstellungshalle bis in die märkische Erde grub. Er verbrachte fünf Jahre am Maryland Institute College of Art (MICA) in den USA und lebt in Berlin und New York.
Die Ausstellung im Kunstverein Harburger Bahnhof
Die Ausstellung von Adrian Lohmüller. And To Make You Toe The Line läuft noch bis zum 29. Juli 2012
Kunstverein Harburger Bahnhof
Im Harburger Bahnhof, über Gleis 3 & 4
Hannoversche Strasse 85, Hamburg
In den nächsten Tagen folgt das Interview mit den Kuratorinnen des Kunstverein Harburger Bahnhof: Isabelle Busch und Franziska Solte.
Text & Fotos: Melanie Schehl.
Foto ganz oben: Adrian Lohmüller. And To Make You Toe The Line (2012). Gras, Erde, 16,04 x 23,03 m. Kunstverein Harburger Bahnhof, Hamburg. Courtesy: Adrian Lohmüller und Sommer & Kohl, Berlin. Foto: Jens Franke