Berlinale: Wie man sich einrichtet, so lebt man
Der Regisseur Hans-Christian Schmid versteht es, stimmungsvoll familiäre Sittengeschichten („Requiem“) in der Provinz anzusiedeln, und hat sich offenbar ein Beispiel genommen an Filmen wie Tom Fords Drama „A Single Man“, in dem es sich mindestens so viel um ein stilvolles Haus des Frank-Lloyd-Wright-Schülers John Lautner dreht, wie um die Todessehnsucht des Hauptdarstellers. Die momentane Beliebtheit der Zurschaustellung des Wohnens mag auch eine Inspiration gewesen sein.
Und weil man Freunde von Freunden am liebsten auf Charles und Ray Eames’ Lounge Chair samt Ottomane Platz nehmen lässt, findet sich die Ikone aktueller Bürgerlichkeitssehnsucht natürlich auch im weiß geklinkerten und schwarz verschieferten Flachbau. Zur architektonischen und dekorativen Innerlichkeit gehören noch der integrierte Car-Port für den Renault-4-Youngtimer der depressiven Mutter, das kleine Jugendzimmer mit Ausblick in den Vorgarten, die offene Küche, weil sie sich so gut für Gespräche eignet, obwohl viel zu selten welche stattgefunden haben, wie der Zuschauer bald merkt, die omnipräsente Textiltapete und der Gestaltungswille des situierten Self-made-Vaters, der auch etwaige Einrichtungsfragen des Sprösslings nicht dem Zufall überlässt.
Der Mutter geht, nach dem sie nach 30 Jahren Dauermedikation die Tranquilizer nicht mehr schlucken will, auf, dass sie genauso nur ein Gegenstand der Inneneinrichtung war. Mit diesem Schritt des psychischen Möbelrückens kommt eine Eigendynamik in der Familie in Gang, die ins Drama, aber nicht in die Katastrophe führt. Am Ende fehlt jemand, aber alles geht seinen Gang, auf ein Sofa mehr oder weniger kommt es nun wirklich nicht an. Und die Musik von The Notwist passt auch dazu.
Teaser auf Youtube:
Berlinale Wettbewerb: Was bleibt
Deutschland 2012, Regie: Hans-Christian Schmid, Darsteller: Lars Eidinger, Corinna Harfouch, Sebastian Zimmler, Ernst Stötzner, Picco von Groote
Läuft auf der Berlinale im Wettbewerb: Donnerstag, 16. Februar, 20:30 Uhr, Haus der Berliner Festspiele
Text: Marcus Woeller
Fotos: „Was Bleibt“, Gerald von Foris © 23/5 Filmproduktion GmbH
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