The Female Gaze – on Body, Love and Sex: Anaïs Senli

Interview 

The Female Gaze – on Body, Love and Sex: Anaïs Senli

Im Rahmen der von Isabelle Meiffert kuratierten Ausstellung The Female Gaze – On Body, Love, and Sex, stellen wir Euch wöchtentlich eine der Künstlerinnen vor. Das Berliner Spin-Off der Ausstel-lung, The Female Gaze – On Body, Love, and Sex II – zeigt neue Arbeiten und hat einen leicht verän-derten Fokus. Die Ausstellung ist noch bis zum 17. Juni, in der Studiogalerie vom Haus am Lützowplatz zu sehen. Heute haben wir mit Anaïs Senli für Euch gesprochen.

Anaïs Senli

Anaïs Senli, Porträt: (c) Silvia Foz

Anaïs Senli  (*1980 Barcelona, lebt und arbeitet in Berlin) studierte Philosophie an der Universidad de Artes de Barcelona (Diplom) und erhielt ihren Meisterschüler bei Prof. Bernd Koberling sowie einen M. A. in ‚Kunst im Kontext’ an der UdK Berlin. Ihre Arbeiten wurden in zahlreichen Ausstellungen, vor allem in Spanien und Deutschland gezeigt, u. a. in  der Vertretung der katalanischen Regierung in Berlin. Senli arbeitet medienübergreifend mit Zeichnung, Malerei und Videoinstallationen und hat einen besonderen Fokus auf Gender und Ökologie.

Fire Point, 2018: 3 installation views, Kunstraum Kreuzberg/Bethanien, (c) Eric Tschernow.

Fire Point, 2018: 3 installation views, Kunstraum Kreuzberg/Bethanien, (c) Eric Tschernow.

Bis vor kurzem widmeten sich deine Arbeiten vor allem der Ökologie, also der wechselseitigen Beziehung zwischen Lebewesen und Natur. Mit viel Fingerspitzengefühl hast du dabei Leinwände, Installationen und Fotografien mit verschlungenen Kunstgebilden hergestellt, die einen deutlichen Bezug zu realen Umweltphänomenen aufweisen und gleichzeitig nicht von dieser Welt zu sein scheinen. Wie siehst du die Welt und welche Theorie liegt dem zugrunde?

 In letzter Zeit lese ich viele Theorien, die besagen, dass es nicht nur eine einzige Weltanschauung oder ein Weltbild gibt, sondern viele. Ich denke, wie die Ökofeministin und Wissenschaftsphilosophin Donna Haraway, dass wir uns in einem Moment der „urgency“ befinden, in dem wir uns gemeinsame Überlebensstrategien (Haraway spricht von „collective survival strategies“) überlegen müssen, um den prekären Zeiten des Klimawandels zu begegnen. 

Das heißt, wir müssen umdenken und aktiv bleiben, um katastrophische und deterministische Diskurse zu überwinden.

Fire Point, 2018: 3 installation views, Kunstraum Kreuzberg/Bethanien, (c) Eric Tschernow.

Fire Point, 2018: 3 installation views, Kunstraum Kreuzberg/Bethanien, (c) Eric Tschernow.

Dabei sind der spekulative Feminismus, aber auch Science-Fiction interessante Ressourcen, die uns neben den Wissenschaften ermöglichen, über den altertümliche Dualismus zwischen Natur und Kultur hinauszugehen und andere mögliche Welten zu erdenken, wo der Mensch nicht immer im Mittelpunkt steht.

„Natur“ ist ein menschlicher Begriff, der eine komplexe kulturelle Geschichte hat und der bei verschiedenen Personengruppen unterschiedliche Vorstellungen hervorruft. Der Umweltwissenschaftler William Cronon behauptet zum Beispiel, dass die Dinge, Kreaturen und Landschaften, die wir als „natürlich“ bezeichnen weit davon entfernt sind, in einem von der Menschheit isolierten Reich zu existieren, sondern stattdessen zutiefst mit den Worten, Bildern und Vorstellungen verknüpft sind, die wir benutzen um sie zu beschreiben.

Fire Point, 2018: 3 installation views, Kunstraum Kreuzberg/Bethanien, (c) Eric Tschernow.

Fire Point, 2018: 3 installation views, Kunstraum Kreuzberg/Bethanien, (c) Eric Tschernow.

Deswegen finde ich u.a. die Begriffe Kapitalozän und Chthuluzän, die die gegenwärtige geologische Epoche beschreiben, sehr spannend, da einerseits die strukturelle ökologische Verantwortung der finanziellen Eliten und des Kapitalismus deutlich gemacht und anderseits von den komplexen Netzwerken und Verbindungen gesprochen wird, die alle Lebewesen und Entitäten dieser Welt betreffen.

I am always alert, 2018, Installationsansicht, „The Female Gaze - On Body, Love and Sex“ II Haus am Lützowplatz, (c) Anaïs Senli

I am always alert, 2018, Installationsansicht, „The Female Gaze – On Body, Love and Sex“ II Haus am Lützowplatz, (c) Anaïs Senli

Bei deinen aktuellen Arbeiten, die in Erfurt und Berlin zu sehen waren und sind, handelt es sich um Interviews mit einzelnen Frauen, über deren Beziehung zu ihren Körpern, den Kampf mit Rollenkonformität, Schönheitsidealen, ihre Ängste, Wünsche und letztlich Identität. Die Besucher können durch die von dir genutzten Medien Projektion, Videoinstallation, Ton und andere Materialien in die Welt der jeweiligen Frau eintauchen. Was hat dich zu dieser Reihe inspiriert und was ist das Ziel dieser Erforschung?

I am always alert, 2018, Installationsansicht, „The Female Gaze - On Body, Love and Sex“ II Haus am Lützowplatz, (c) Anaïs Senli

I am always alert, 2018, Installationsansicht, „The Female Gaze – On Body, Love and Sex“ II Haus am Lützowplatz, (c) Anaïs Senli

Mit diesen beiden Projekten habe ich eine Reihe von Arbeiten angefangen, im deren Rahmen ich untersuchen möchte, wie bestimmte Frauen Bezug zu ihrem Körper aufbauen. Ich finde es spannend, dass momentan soviel über Feminismus gesprochen wird und zum Glück gibt es heutzutage viele Theorien und Bücher, die die sogenannte „Weiblichkeit“ und die Rolle der Frau in der Gesellschaft hinterfragen.

Trotzdem ist unsere Gesellschaft immer noch sehr von patriarchalen Werten geprägt und mich interessiert, wie solche kulturellen Konstruktionen unseren Alltag beeinflussen.

Deserting Landscape, 2016: 1 Screenshoot and 2 Installation views, Vessel Room, (c) Anaïs Senli

Deserting Landscape, 2016: 1 Screenshoot and 2 Installation views, Vessel Room, (c) Anaïs Senli

Ich habe mit einer Frau gearbeitet, die sich nicht mit Monogamie und romantischer Liebe identifizieren kann und mit einer anderen, die große Angst davor hat, alt und krank zu werden. Gleichzeitig finde ich es sehr schwierig, ein „objektives“ Bild von diesen Frauen zu vermitteln und aus diesem Grund habe ich ihre Geschichten jeweils auf ganz fragmentierte Art und Weise gezeigt. BesucherInnen sind eingeladen, einzutauchen und über ihre Erfahrung selbst eine Narrative dazu zu entwickeln, wer diese Frauen sind.

Selfie Sculpture, I am always alert, 2018, Installationsansicht, „The Female Gaze - On Body, Love and Sex“ II Haus am Lützowplatz, (c) Anaïs Senli

Selfie Sculpture, I am always alert, 2018, Installationsansicht, „The Female Gaze – On Body, Love and Sex“ II Haus am Lützowplatz, (c) Anaïs Senli

 Was ist für dich Gender?

Ich denke, Gender ist ein sehr komplexer Begriff, der auf einer kulturellen Konstruktion basiert. Wenn man mit bestimmten Geschlechtsorganen geboren wurde, wird man auf eine bestimmte Art und Weise sozialisiert – was wiederum Lebensgefühl, Wahrnehmung und Verhalten bedingt und den Zugang zu gesellschaftlichen Strukturen begrenzt. Auf einer ganz persönlichen Ebene ist Gender für mich eine offene Frage, von der ich mir gut vorstellen kann, sie nie ganz beantworten zu können. Und das stört mich nicht im geringsten, denn in dieser Ungewissheit steckt auch eine Offenheit, die mir viel Spielraum gibt.

I am not like you, 2018, Installtionsansicht, The Female Gaze - On Body, Love and Sex“, Kunsthaus Erfurt, (c) Marcel Krummrich

I am not like you, 2018, Installtionsansicht, The Female Gaze – On Body, Love and Sex“, Kunsthaus Erfurt, (c) Marcel Krummrich

Kannst du uns einen Ausblick auf dein nächstes Projekt geben?

 Momentan arbeite ich an einem Projekt in einem berlinischen Bezirk, der laut einer Studie zum Thema Umweltgerechtigkeit vor ein paar Jahren, sehr stark von 5 Risikofaktoren der Belastung und Verschmutzung betroffen ist. Das Projekt wird im Juli in der nGbK präsentiert und zwar im Rahmen der von Berlin Coven kuratierten Sammelausstellung „Lucky“, die sich mit Privilegien beschäftigt.

The Female Gaze – on Body, Love and Sex

HAUS AM LÜTZOWPLATZ BERLIN

Ausstellung: 5. Mai–17. Juni 2018

Ort: Studiogalerie – Haus am Lützowplatz, Lützowplatz 9, Berlin

Öffnungszeiten: Dienstag – Sonntag, 11 – 18 Uhr

http://www.hal-berlin.de/ausstellung/kuratiert-von-isabelle-meiffert/

Author: Achan Malonda für ARTBerlin