Das Schweigen der Lämmer
Liebe Mia, seit dem wir das letzte Mal mit Dir gesprochen haben, im Rahmen deiner Ausstellung im Senckenberg Museum in Frankfurt, ist einiges passiert. Vieles hast du in deiner Arbeit quasi vorhergesehen, bzw. sichtbar gemacht, wie geht es Dir damit?
Meine Arbeit hinterfragt körperliche Identität als gesellschaftlichen Prozess. Ich fühle mich wie ein Seismograph und reagiere auf äußere Stimmungen in der Gesellschaft genauso wie auf innerliche, persönliche. Zeitgeist ist ja immer wie der Wind, der dir um die Nase weht. Er kann sehr sanft sein und dann haut er dich um….Der Umbruch, den wir momentan erleben war irgendwie vorhersehbar.
Apokalypse Now im La-LaLand
Wir hatten lange Frieden in Europa und lebten irgendwie noch immer Freiheits-hoffend im La-Laland, obwohl die Probleme wie Diskriminierung, Diktatoren, Egomanie, Terror, Refugees etc. sich latent vorangekündigt habe.
Leti mille repente viae
Schnell führen tausende Wege in den Tod
Künstlerisch sind eben jene für mich relevant – z.B. eine Figur aus der griechischen Mythologie in Form einer Dermoplastik eines Pegasus lebendig werden zu lassen und damit Flüchtlingsrouten entlang Europas Aussengrenzen zu bereisen, lange bevor das Thema medial aufgenommen wrde, um sich mit der Metapher des „Hybrid“ auseinander zusetzen. Dann die beiden Pole aus Liebe und Hass als das Faustische in uns zu stilisieren und wieder in den menschlichen Mittelpunkt zu stellen oder wie eben jetzt bei MEMENTO MORI der Dialog mit dem Tod – nicht nur des Ecce Homo (den ich gerade aus Fliegenpräparaten angefertigt habe) sondern auch von Mutter Natur.
….In der Ausstellung gibt es zwei Arbeiten auf Metall mit weissem Neon: auf der einen schwebt meine eigene Herzlinie über einer Familie aus Skeletten.
Memento Mori beschäftigt sich mit einer ich nenne es mal End-Zeit, der Mensch schafft sich selbst ab, digitalisiert die Individualität weg, mal ganz abgesehen vom Klimawandel und den andauernden Kriegen.
Ja. Die Ausstellung im Senckenberg Museum mit der Performance Athropocene, wo ich als Artefakt in einer Glasvitrine zwischen längst ausgestorbenen Dinosauriern in einer der Glasvitrinen ausgestellt war und während der Aktion über digitale Verbindungen mit den Besuchern kommunizierte, war die Auseinandersetzung mit der Frage, ob sich der Mensch am Ende durch sich selbst und seinen Einfluss auf die Erde selbst zerstört. MEMENTO MORI (lat. ‚Gedenke zu sterben‘) ist ein Symbol der Vanitas, der Vergänglichkeit, und bezieht sich nicht auf einen Totenkult oder für die Romantik typische Ewigkeitssehnsucht. Für mich bedeutet es: Ich reflektiere angesichts meiner Sterblichkeit, also über das, was NACH dem anthropozentrischen Zeitalter kommen wird.
Quod sumus, hoc eritis. Fuimos quandoque, quod estis.
Was wir sind, werdet ihr sein. Was ihr seid, waren wir einst.
Auf dem anderen halte ich ein Baby auf dem Arm (Eine Hommage an meine Performance Muttertier in der Apotheke der Anomalien im Senckenberg Museum in FFM) und über uns steht das Pamphlet: What we are you will be – what you are we were! Was wir sind, das werdet ihr – was ihr seid, das waren wir! Die Serie entstand letztes Jahr in der Sektion für klinisch funktionelle Anatomie Innsbruck (Thesaurus Anatomicus), einer unglaublichen Sammlung deformierter Skelette. Es war eine Offenbarung dort zu arbeiten.
Ich kam dem Tod sehr nahe…
Wenn ich mir die Fülle deiner Arbeit ansehe, hat das schon fast etwas manisches, eine Extrem Reaktion auf das Außen?
Hm, Manie, was ja in der Übersetzung zwischen Wut und Wahnsinn wandelt ist meiner Meinung nach für jede künstlerische Arbeit notwendig. Getrieben, hingebungsvoll, passioniert – egal wie du es nennen willst – müssen wir schon sein und schlafen, essen, ausgehen – blende ich in extremen Schaffensperioden eben einfach aus – noch geht es.
Vos qui transitis…
Ihr, die ihr vorübergeht.
Interessant ist deine Frage ob meine Kunst als Reaktion auf äußere Umstände zu verstehen ist? Würde in der Umkehrung bedeuten, wenn es weniger turbulent auf der Welt zuginge – ich weniger Imput hätte – würde ich weniger erschaffen? Ich denke die Impulse wären gleichstark – es wären nur andere Motivationen….Ich kann auch außerhalb der gesellschaftlichen Strukturen die Schnittstelle zwischen Schönheit und Schrecken finden – das ist es ja vielmehr, was mich interessiert: Die Ambivalenz des Seins, Dialektik, der Bruch im System, die Hybris, Faust…
Am Anfang war das Wort.
Daher komme ich, ich nehme es mit, es umgibt mich und letztes Jahr habe ich mir bei einer Live-Perfromance während der Art Basel Miami mein Anagram LOVE HATE als weisse Brandings auf die Pulsadern tätowieren lassen. Talking agianst the pain!
Für die Berliner Ausstellung bei Friedmann-Hahn bzw. das Sotheby´s Event in meinem Atelier hatte ich just die Möglichkeit in einem der deutschen Schmetterlingshäuser eine Performance zu machen, wo ich ganz alleine von diesen fragilen Insekten umgeben war, die nur zwischen 3 und 10 Tage alt werden. Daher der Titel: 7 Days Left! Das war eine so leise, stille Zeit aber eine meiner anstrengenden Performances – die Konzentration und Körperbeherrschung zu bewahren, bis sich möglichst viele Tiere auf den Tanz mit mir und meiner Haut einlassen würden.
Am Ende liefen mir Tränen und Schweiss über das Gesicht und die Schmetterlinge tranken davon. Es ist eines meiner Lieblingsarbeiten von MEMENTO MORI: Sind wir, ist er nicht. Ist er, sind wir nicht!
Glaubst du, das du als Performance- und Konzept Künstlerin etwas bewegen kannst, und wenn ja, was würdest du dir wünschen als Reaktion? Ist das überhaupt klar aussprechbar in dieser diffusen Masse von Eindrücken, Menschen, Leidenschaften und Wünschen die uns umgeben?
Ich bin die Frau der Aktion, weniger der Reaktion. Auto-aggressiv und ambivalent muss es schon sein….Über die letzte Dekade habe ich viele Schutzraum-Metaphern und deren Antithese ausgelotet:
Grenzgebiete, meine Haut, Zäune, Schild und Schwert, Polizei-und Schutzschilder, ein Gefängnisbett, Zwangsjacken, eine Gasmaske, den Inkubator oder Engelsflügel, wovon Rilke sagt: „every angel is terror!“. Ich bin auf dem Hollywood-Sign in L.A. „gelandet“, wurde wegen Guerilla-Performances während meiner Sturm und Drang Zeit in Moskau oder auf der Art Basel abgeführt und habe für die Arbeit BREATHING NOTHING 24h in einer Isolationszelle verbracht. Im Senckenberg Museum beispielsweise hatten Jugendliche unter 18 Jahren nur in Begleitung der Eltern Zutritt.
Mein Schaffen war und ist immer dominanter als mein Leben. Und es polarisiert.
Ich habe viel Hass erfahren aber auch Ermutigung. Entweder mag man meine Arbeiten, dann sagen sie dir etwas bzw. machen etwas mit dir – oder die Leute sind verstört und wenden sich bewusst ab.
Wer etwas nettes über sein Sofa hängen will, ist sowieso falsch bei mir.
Frauen auf künstlerischen Bildern werden meist von Männern inszeniert – einige wenige Ausnahmen sind Cindy Sherman, Marina Abramovic oder Tracy Emin. Dass eine Frau ALLES macht – konzipiert, sinniert, agiert, dabei schockiert und rebelliert, schliesslich manufakturiert und am Ende selber monetarisiert – ist eher die Ausnahme in einem Markt mit männlichem Monopol. In Museen hängen immer noch mehr Werke von Männern, sie sind medial exponierter, verdienen mehr und werden stärker von männlichen Sammlern protegiert. Unter den Top 30 der lebenden Künstler weltweit sind keine fünf Frauen! Das MUSS sich ändern! We need many more „Madonnas“ of art!
Das Wissen um die Sterblichkeit zieht sich durch all Deine Arbeiten und auch Performances. Weisst du noch wo dieses Key Element seinen Anfang fand für Dich?
Ich wäre nach der Geburt fast gestorben – ich mache kein Geheimnis daraus aber mehr gibt es dazu auch nicht zu sagen. Leben und Tod, Licht und Schatten, Liebe und Hass, Schönheit und Hässlichkeit, Gesundheit und Krankheit oder Wahrheit und Lüge sind keinesfalls Plattitüden, sondern antagonistische Pole. Die Antithese aus zwei Extremen, die sich bedingen und abstossen.
Ein prägendes Erlebnis für mich, war im Jahr 2008 eine Reise nach Tansania, zur 100-Jahr-Feier der Mission in Mbaga, die mein Urgroßvater 1908 gegründet hatte.
Das Thema Schutzräume hat mich von Anfang an gefesselt – woher kommen wir, wohin gehen wir, was gibt uns Geborgenheit, was ist unsere Sehnsucht, was treibt uns an, wovor haben wir Angst. Meine erste Performance fand sogar in Afrika statt. Die Himba tragen keine Kleidung. Ihr einziger Schutz – und gleichzeitig ihr spiritueller Schutzraum – ist ihre Haut, die sie mit einem Gemisch aus Blut, Erde und Ziegenmilch einreiben. Ich wurde von „Old Mother“ damit eingerieben und als „rote Frau“ in das Herz des Stammes integriert. Ich habe mich völlig darauf eingelassen – es war die Momentaufnahme eines Gefühls, und das ist für mich Performance. Als ich wieder zurück in Deutschland war, wusste ich, jetzt gibt es keinen anderen Weg.
Man könnte Memento Mori fast schon als Retrospektive deines Schaffens bezeichnen. Wie fühlt sich das an?
Dann könnten wir mich ja bei der Eröffnung „live“ sterben lassen – the last Performance.
Im Ernst, was schon besonders an dieser Ausstellung ist, dass die Galerie Friedmann-Hahn einen fast 150 Seitigen Katalog für mich gemacht hat: 10 Years of Work!
Mit allen signifikanten Arbeiten von 2006 bis 2016 – es war wie eine Schwangerschaft mit dem Herausgabedatum als Geburt.
Ist man jemals fertig und wie geht es in deiner Arbeit weiter?
Ich sehe vor jeder Performance das fertige Bild lange bevor das Werk vollbracht ist. Es findet mich. Ich muss es nur noch umsetzen. Es hört nie auf. Für mich gibt es keine Trennung zwischen Leben und Kunst:
I´m art says my heart
I´m a born idea
that´s why I´m here!
Memento Mori
Mia Florentine Weiss
30. März bis 30. April 2017
Galerie Friedmann-Hahn | Wielandstr. 14 | 10629 Berlin
www.galeriefriedmann-hahn.com
Photo Credits: Mia Florentine Weiss & Martin Peterdamm