Seit Januar diesen Jahres kann man die SAVVY Contemporary im Silent Quartier im Wedding besuchen, nachdem diese aus Neukölln hierher umgezogen war. Aktuell läuft die dritte Ausstellung in den neuen Räumen die in einem Teil der Kellerräume des ehemaligen Krematoriums liegen.
Ein denkbar idealer Rahmen für die aktuelle Ausstellung „The Incantation of the Disquieting Muse: Von Göttlichem, Supra-Realitäten oder der Austreibung von Hexerei“ – welche wieder den anspruchsvollen Ansatz der SAVVY Contemporary, und in diesem Fall den drei Kuratoren Bonaventure Soh Bejeng Ndikung, Elena Agudio, Nathalie Mba Bikoro und einer intensiven Kombination aus Vorträgen, Ausstellung und Live Performances beeinhaltet, immer mit dem Ziel einen Dialog zwischen westlicher und nicht-westlicher Kunst zu fördern.
When i say „this world“ I include, of course, such feelings as fear and despair and barrenness, as well as domestic love and delight in nature. These darker emotions may well put on the mask of quite unwordly things, such as ghosts or trolls or antique gods.
Sylvia Plath – The Disquieting Muse 1963
Künstler und Künstlerinnen wurden eingeladen über die „Austreibung von Hexerei im Ritual“, „Hexerei als Epistemologie“, „Zombiefizierungsökonomien“ und „Supra-Realitäten und Soziopolitiken“ nachzudenken, bzw. diese in eine greif und erfahrbare Form zu bringen. Es soll untersucht werden inwiefern sich Phänomene und Praktiken von Hexerei in kulturellen, ökonomischen, religiösen und wissenschaftlichen Bereichen innerhalb und außerhalb Afrikas manifestieren, so lese ich in der ausliegenden Information. Das muss man erstmal als solches sacken lassen.
Vorweg sei gesagt wir sprechen hier von einer auf alle Sinne einwirkenden Schau, die durch ihre exakte Kuration in Kombination mit den Räumlichkeiten eine feinstoffliche, transzendente und nötige Energie aufbaut die dieses weite, extrem faszinierende und ungewöhnliche Thema auch für sich beansprucht. Die Kombination der mixed Media Installationen, Fotografien, Installationen und Video Arbeiten schafft eine Art Portal die es uns möglich macht nahe zu kommen, in einen echten Dialog zu treten auch wenn wir vermeindlich die Sprache nicht sprechen, was natürlich nicht stimmt, denn der Hexenglaube ist ein paneuropäischer Volksglaube dessen Wurzeln sich in den vorchristlichen Götterglauben zurückverfolgen lassen und nachwievor nicht nur in afrikanischen Kulturkreisen verbreitet ist. Es gibt hier also sehr starke Parallelen die sich nur durch die kulturspezifischen Eigenarten und Auswüchse unterscheiden, aber dadurch getrennt voneinander eingeordnet und wahrgenommen werden.
Savvy Contemporary schlägt hier fantastisch aufgebaut durch insgesamt 17 Arbeiten von Künstlern aus Haiti, Brasilien, den Niederlanden, Flensburg, Südafrika, Angola, UK oder Algier eine Brücke zwischen den Welten und zwar nicht nur geografisch, sondern auch zwischen dem was wir als Realität wahrnehmen und dem was wir nur erahnen, normalerweise nicht benennen können.
Eingerahmt wird die Ausstellung von zwei Video Installationen die beide für sich in ihren Bestandteilen, visuellen Aufbau und Wirkung absolut einzigartig sind. Eingebettet in die labyrintische U-Form der Räume, mal komplett unrenoviert gelassen mit rauhen Wänden, kahlen Rohren und mit goldener Rettungsdecke abgehängten Decken, die im starken Kontrast zu den glatten und weiss gestrichenen Räumen stehen, noch komplett mit den Alkoven in denen damals wohl die Urnen untergebracht waren und die erstaunlich gut in das neue Szenario passen und nicht nur den jeweiligen Raum für die gezeigten Arbeiten erweitern, sondern auch das innere Auge loslaufen lassen.
Die erste Video Installation „Chapters“ ein digitalisierter 16mm Film gedreht in Zypern, von der auch dort geborenen Künstlerin Haris Epaminonda ist mit einer Klanginstallation des britischen Duos „Part Wild Horses Mane Both Sides“ unterlegt und lässt mich erstmal fast vollautomatisch auf die ausgelegten Strohmatten und Kissen sinken und lange, lange sitzenbleiben. Viele Assoziationen, Bilder, Gefühle. Ich sitze ganz dicht neben dem Diaprojektor und Lautsprecher, die visuelle und akustische Stimulation lässt mein Hirn auf angenehme Weise vibrieren ohne es bewusst zu nutzen oder reagieren zu lassen. Loslassen.
Die Tonvase neben mir scheint unendliche Tiefen zu haben, die Realität des Raumes kollidiert vor meinen Augen und verschwindet und ich lasse mich weiter zurück in die Zeit fallen.
Später erfahre ich das diese Arbeit eigentlich die Ausstellung beschließt und ich sozusagen am Ende angefangen habe, ein Effekt den ich nicht missen möchte.
Es wird auch genau diese Arbeit sein die meinen zweiten Besuch der Ausstellung beschliesst. Denn als ich eigentlich aufbrechen möchte, eigentlich habe ich ja alles gesehen und „erlebt“ so denke ich, fängt es sintflutartig an zu regnen, der Himmel ist so dunkel das die Bäume in Minuten zu schwarzen Umrissen werden, es donnert und blitzt. Es soll das Unwetter sein das ganz Berlin unter Wasser setzt. Wie ferngesteuert lande ich wieder vor „Chapters“ und lasse mich in diese visuelle und akustisch hypnotische Arbeit hineinsinken.
Vor den Fenstern stürzt und prasselt der Regen sintflutartig in den Boden, die Dämmerung bricht nicht nur draußen herein, das „Tock Tock“ das an ein riesiges Uhrwerk erinnert aus den Lautsprechern der Soundinstallation lässt mich immer tiefer in den Schatten meines Verstandes hineinsinken, und schliesslich mit offenen Augen in eine Trance fallen, eine Nebenwelt betreten, einen Raum in meinem Geist der zwischen dem vermeintlichen was wir Realität nennen und einer anderen Wahrheit liegt. Einen Raum der für die meisten von uns sonst verschlossen ist.
Der Savvy Contemporary ist es meisterhaft gelungen eine Brücke in diesen Raum zu bauen, der nicht nur betreten sondern wahrhaftig erlebt werden kann.
GANZ GROßES KINO!
THE INCANTATION OF THE DISQUIETING MUSE
Donnerstag bis Sonntag, 14 Uhr bis 19 Uhr – noch bis zum 7. August 2016
Eingang Plantagenstraße 31 | 13347 Berlin
www.SAVVY-contemporary.com