„Terror“ verändert Prinzipien
Darf man Leben gegen Leben abwägen? Darf man 164 Menschen töten, um 70000 Menschen zu retten? Ein Schöffengericht hat nach der Verhandlung auf der Bühne zu entscheiden. Die Theaterbesucher werden zu Schöffen.
Angeklagt ist Lars Koch, Kampfpilot. Um 70000 Fußballfans in der Münchner Arena vor einem Terroranschlag zu retten, schoss er eine Boing mit 164 Fluggästen inklusive Terroristen ab.
Mit „Terror“, seinem ersten Theaterstück, gelingt Ferdinand von Schirach der absolute Clou. Brillant konstruiert und formuliert bringt er eine der dringlichsten moralischen Fragestellungen unserer Zeit ins Bewusstsein. Hebelt der Terrorismus unsere Prinzipien aus? Wird die Würde des Menschen antastbar, wenn Menschen von Terroristen als Waffe missbraucht werden? Sind von Menschen geschaffene Prinzipien unumstößlich? Stehen Prinzipien höher als die Lebenswirklichkeit?
Ferdinand von Schirach macht es sich und dem Publikum nicht leicht.
Er recherchiert mit der Akribie eines Juristen, bringt alle Argumente ins Spiel, auch die beiden diesbezüglichen Urteile des Bundesverfassungsgerichts, manifestiert durch dokumentarische Beispiele aus der Vergangenheit die Argumentation von Staatsanwältin und Verteidigerin und vergrößert durch zwei Zeugen den Fokus auf die zu verhandelnde moralische Problematik. Lauterbach dokumentiert, dass er den Nicht-Schieß-Befehl von höchster Stelle zweimal weiterleitete, aber er muss auch zugeben, die Alternativlösung die Räumung des Fußballstadions nicht in Erwägung gezogen zu haben, weil man sich politisch auf das Pflichtbewusstsein des Kampffliegers verließ. Opferwitwe Meiser, als einzige in Knallorange im Einheitsgrau der Bühne, bringt die emotionale Ohnmacht des einzelnen betroffenen Bürgers mit ein.
Eine Pattsituation? Ferdinand von Schirach formuliert im Originaltext zwei mögliche Plädoyers. Adäquat zur simulierten Gerichtsverhandlung und angekündigten Urteilsfindung durch das Publikum, nach einer kurzen Pause jeweils am gewählten Türeingang gemessen, wird nur die Begründung für „unschuldig“ verlesen. Zur Verwunderung wird Lars Koch nur mit einer knappen Mehrheit freigesprochen, obwohl er sich überhaupt nichts zuschulden hat kommen lassen. Weder persönliche Vorteile noch persönliche Racheakte, lediglich sein gesellschaftliches Verantwortungsgefühl motivieren seine Tat. Wird ein Mensch wie Koch als Mörder verurteilt, liquidieren wir unsere eigene Elite und machen uns immer abhängiger vom Terrorismus.
Der Text ist hervorragend, nicht die Inszenierung.
Regelrecht ärgerlich sind die Videoinstallationen (Daniela Hengst). Mit technischen Effekten unterlegt mit Musiksound, zunehmend durch surreale Versatzstücke angereichert wird der Ernst der Gerichtsverhandlung durch die glatte und platte Ästhetisierung digitaler Spielwelten bagatellisiert und gleichzeitig Thilo Reuthers gelungene Bühnenreduktion in monumentalen Grau zwischen dokumentarischen Absturzszenarien untergraben.
Unter der Regie von Hasko Weber wirkt die schauspielerische Umsetzung stellenweise ausgesprochen dilettantisch. Almud Zilcher spielt die Vorsitzende des Gerichts in einer lächerlichen Mischung zwischen Betulichkeit und Eitelkeit, indem sie technische Unwissenheit überspielt, gelangweilt oder unpassend scharf reagiert und jegliche Souveränität vermissen lässt. Völlig unprofessionell wirkt Aylin Esener als Verteidigerin in ständig freundlich lächelnder Manier, garniert mit etlichen Versprechern. Lediglich Franziska Machens entwickelt adäquaten Biss als Verteidigerin. Sie den Zeugen Lauterbach berühren und dann noch einen kindlichen Mini-Tobsuchtsanfall spielen zu lassen, ist nur noch abstrus. Lauterbach selbst spiegelt durch Helmut Mooshammers gekonnte Ambivalenz zwischen fachlicher Souveränität und unreflektierten Gehorsam die allzu bekannte deutsche Seite aus vergangenen Zeiten.
Schade, denn Timo Weisschnur überzeugt durch seine stille, reflektierte Art sehr als Angeklagter. Zunächst im schmuddeligen Unterhemd wie ein Underdog unter Anklage wandelt sich seine Rolle mit dem übergezogenen weißen Hemd in einen klugen, sympathischen jungen Mann, dessen Handeln immer mehr als absolut integer zu bewerten ist. Er hört zu, insbesondere der Opferwitwe Meiser, von Lisa Hrdina sehr klar gespielt. Er kommentiert nichts. „Alles ist gesagt.“
Mit unpassender Moderationsfreundlichkeit liest die Vorsitzende das Plädoyer für „unschuldig“ vor. Ferdinand von Schirachs Rede, ein Exkurs ausgehend von Attentat in Paris bei Charlie Hebdo über Tucholskys „Was darf Satire?“ über Duchamps bis Beuys Kunstbegriff wird einfach ausgespart genauso wie sein Fazit: „Wir leben in keiner perfekten Welt, aber dennoch in einer besseren als in früheren Jahrhunderten“.
Text: Michaela Schabel // Fotos: Arno Declair
Weitere Termine
18.03. 2016 & 24.03. 2016
14.04.2016 & 26.04.2016