Das Pegasus-Projekt von Mia Florentine Weiss reist nach Hause
Manche Geschichten und vor allem die Relevanz von Ergebnissen lassen sich nur nach einer gewissen Zeit erfassen, werden erst dann voll erfahr- und greifbar. So auch die „Endstation“ des Pegasus-Projektes der Künstlerin Mia Florentine Weiss – das Ende einer jahrelangen Performance und Erforschungsreise mit der sie die Flüchtlingsrouten am Rande Europas dokumentiert hat.
Die Finissage am 31. Januar 2016 zur dazugehörigen Einzelausstellung „Der Nabel der Welt – Umbilicus Mundi“ findet ihren Abschluss in Form einer Performance von Weiss im Naturmuseum Senckenberg in Frankfurt.
Wir berichteten im letzten Jahr über das Pegasus-Projekt im Rahmen der Berlin Art Week und führten ein bewegendes Interview mit Mia Florentine Weiss. Hier ein kurzer Rückblick:
Mia Florentine Weiss setzt sich seit über zehn Jahren mit der Frage nach unserem Schutzraum auseinander.
Mit ihrem Pegasus-Projekt hat sie die Flüchtlingsrouten am Rande Europas dokumentiert. Dafür reiste sie um die ganze Welt und befragte Menschen wo sie sich geborgen fühlen. Eine der Stationen war unter anderen die Biennale in Venedig, zu der Weiss und ihr Pegasus mit Unterstützung von Pro Asyl über die Wege der Flüchtlingsrouten reiste. Am 12. November 2015 war die Pegasus-Skulptur ins Senckenberg Naturmuseum zurückgekehrt, wo die Reise des Pegasus seinen Anfang genommen hatte, um dort im Rahmen der ersten musealen Einzelausstellung von Mia Florentine Weiss gezeigt zu werden.
Gefühlt sehr viel Zeit ist seit unserem letzten Gespräch auf der Kunstmesse Positions und dem Besuch der Ausstellungseröffnung in Frankfurt vergangen. Aus der Flüchtlingskrise ist längst eine Regierungskrise geworden. Eine ultimative Zerreißprobe für unsere Gesellschaft. Die Grenzen im wahrsten und jeden Sinne des Wortes verschwimmen, es herrschen Vorurteile, Angst, Verwirrung, Ohnmacht in den Köpfen. Unsere Realität hat sich verändert und mittlerweile hat jeder begriffen, dass wir vor einer der größten menschlichen und politischen Herausforderung stehen. Es geht um alles. Wer sind wir, können wir nebeneinander leben ohne uns auszurotten und zu vernichten? Gibt es eine Lösung für uns alle? Eine historische Situation, denn die Welt vor unseren Haustüren hat sich verändert.
Passend dazu leuchtet vor dem Senckenberg Museum die Love/Hate Skulptur von Weiss, und gibt uns in dieser Nacht ein bisschen Wärme. Die herrschaftlichen Treppen und hell erleuchteten Glaskästen bestimmen das Bild, ich gehe langsam die Stufen hinauf, vorbei an ausgestopften Bären, Gorillas, erhasche einen Blick auf gigantische Dinosaurier-Skelette die den sehr passenden Rahmen bilden für die Thematik. Denn das Senckenberg erforscht das “System Erde”. Dazu untersuchen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowohl die Gegenwart als auch die Vergangenheit und erstellen Projektionen für die Zukunft.
Nur wer das System versteht, kann dafür sorgen, dass es als Lebensgrundlage erhalten bleibt.
Die Zusammensetzung der verschiedenen Arbeiten von Weiss, ist eine Mischung aus digitalen Momentaufnahmen, collagenhaften Bildern, gesammelten Artefakten und Performance Fragmenten. Entstanden auf der ganzen Welt, ergibt sich in der Kombination mit Stücken aus dem Archiv und Keller des Senckenberg Museums, eine Kaleidoskop-artige Sammlung immer neuer Konstellationen und Szenarien. Die dabei entstehende Erfahrung beim Betrachter ist zwar immer subjektiv, verschwindet aber wenn man nicht aufpasst genauso schnell wieder in ein kollektives verdrängtes Unterbewusstsein. Wie ein Stein der in einen sumpfigen See fällt, und nur ganz kurz sichtbar ist. Was spielt er für eine Rolle wenn wir ihn nicht mehr sehen?
Was haben diese Flüchtlinge mit meinem Leben zu tun?
Die von Weiss geführte Reise gibt den roten Faden der Ausstellung, aber auch ein parallel gestreutes Gefühl von Kleinteiligkeit und Weite vor. Alles gehört zusammen, ergibt und bestimmt das große Ganze.
Immer wieder gebunden und verbunden, durch die mystische Symbolik und der tatsächlichen Installation des Pegasus, der hoch über den Flügeltreppen der Eingangshalle des Museums schwebt.
Die Platzierung der Ausstellung selbst, wie in einem Mutterschoß, umzingelt von an den Wänden hängenden, riesigen ausgestopften Haien lässt uns erstmal lange stehen bleiben und abdriften. Auf die Haie starrend muss ich an eine Passage aus Ulrike Steierwalds Abhandlung „Leiden an der Geschichte“ zur Geschichtsauffassung der Moderne in den Texten Joseph Roths denken:
Das Leben rollt aus dem Tode ab, der nicht sein Ende, sondern seine Form ist. Die traditionelle Metapher vom „Mutterschoß der Natur“ bekommt im System dieser Flucht- und Rückkehrtriebe eine neue Lesart. Die „Ordnung des Weges“ steht im Mittelpunkt mythischer Erzählstrukturen: Sie stellt die Spannung zwischen der Ordnung der Natur und der Ordnung des Menschen als fundamentale Tauschbeziehung auf der Schwelle zwischen Leben und Tod dar.
Mark Gisbourne über die Ausstellung
Der renommierte Kurator, Autor und Kritiker Mark Gisbourne fesselt uns mit seiner fantastischen Rede zum Inhalt der Ausstellung und dem Ansatz den Mia Florentine Weiss hier verfolgt hat und gibt der Ausstellung das Gewicht und die Relevanz die sie verdient hat. Hier ein kleiner Auszug:
Der Mythos verbirgt nichts und stellt nichts zur Schau. Er deformiert. Der Mythos ist weder eine Lüge noch ein Geständnis. Er ist eine Abwandlung“, bemerkte einst Roland Barthes. Gleichermaßen äußerte sich der berühmte Nachkriegs-Anthropologe Claude Lévi-Strauss, der meinte: „Ich fordere daher nicht zu zeigen, wie Menschen in Mythen denken, aber wie Mythen im Verstand von Menschen arbeiten, ohne dass sie sich über diese Tatsache im Klaren sind“. Eine Ausstellung wie diese, eingebettet in die mythische Thematik Der Nabel der Welt—Umbilicus Mundi zeigt diese naheliegende Wahrheit. Sie steht für eine Wandlung, wenn nicht für einen Wechsel der Form, ein Attribut, eine Zeit, eine Stimmung, eine Beschwörung oder eine Betonung. Erweitert um die ergebnisoffene Grammatik einer visuellen Kultur sowie Ausdruck, Schaffung von Bildern und die Abbildung visueller Ideen finden wir einen fortwährenden Zustand einer gedachten Abwandlung – eine offene Zone unbestimmter Möglichkeiten. In dieser Ausstellung verschmilzt Mia Florentine Weiss Realität und Mythos, sie versucht, den aktuellen und den metaphorischen Nabel als unsere wahre Natur zu zeigen, das Ziel, eines bedeutsamen individuellen Lebens und einer universellen, heute notwendigen Menschlichkeit.
Wir ziehen uns zurück und wandern durch das nächtliche Museum. Folgen einer Treppe in einen nur leicht erleuchteten tiefer gelegten seltsam Ruhe ausstrahlenden Raum, der für mich auch wie eine Art Schoß fungiert und stehe ganz allein inmitten riesiger Saurierskelette.
Ich bin ganz still. Wie lange gab es die Dinosaurier auf dieser Welt und wieviel länger, bzw. kürzer haben wir hier auf dieser Erde existiert? Wie lange wird diese kleine Unregelmässigkeit Mensch noch die Natur systematisch ausbeuten, in einer Welt in der wir uns konsequent wie die Lemminge von allen gesunden Symbiosen trennen, und sie durch digitale Nabelschnüre ersetzen? Die Ausstellung der Nabel der Welt ist der Versuch etwas festzuhalten, zu zeigen und gleichzeitig auch wieder ab und zurückzugeben an uns alle. Wie dieser kurze, geradezu instinktive Friedensmoment, hier nachts im Museum. Ein Museumswärter eilt auf mich zu, bittet mich den Raum zu verlassen, ich fühle mich wie ein Kind, das beim Naschen erwischt wurde.
Ich möchte mich nicht mehr zurück in den Besucherschwarm einreihen, alles Sinnvolle wurde gesagt und gefühlt. Lieber raus in die Frankfurter Nacht um der bestrickenden Eindringlichkeit, dieses seltsam vertraute Gefühl von Vergangenheit, das mich im Museum umgeben hat noch nachzuspüren. Die Schatten der ausgestopften Tiere und Skelette und dieses „Nachts im Museum Gefühl“ begleitet mich noch tagelang.
Ein besonderer Ort für eine besondere Ausstellung.
Über die Erfahrung im Senckenberg zu arbeiten sagt uns Mia im Gespräch:
In der Kunst – ob darstellend oder bildend – entsteht durch die enorme Intensität des kreativen Prozesses auch schnell eine Intimität, die sich ein bisschen wie Familie anfühlt. Ich habe das im letzten Jahr und bis heute beinahe täglich erlebt, als ich diese erste museale Ausstellung im Senckenberg vorbereitet habe sowie jetzt die Finissage und Abschluss-Performance dazu. Wenn ich durch das Museums-Portal eintrete fühle ich mich, als komme ich nach Hause.
Ihre interatkive Performance zur Finissage am 31.1.16 hat das Thema: ANTHROPOZÄN – die Benennung einer neuen geochronologischen, irdischen Epoche. Sie soll den Zeitabschnitt umfassen, in dem der Mensch zu einem der wichtigsten Einflussfaktoren auf die biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse auf der Erde geworden ist. An dieser Schnittstelle befinden wir uns – wir als Homo Sapiens und Das Museum mit ihrem Forschungsauftrag der Biodiversität!
Finissage „Der Nabel der Welt – Umbilicus Mundi“
Datum: 31.01.2016
Ort: Senckenberg Museum, Frankfurt am Main
Interaktive Performance by Mia Florentine Weiss: 15.00 – 18.00 Uhr
Forschungsinstitut und Naturmuseum // Senckenberganlage 25, 60325 Frankfurt