Ein BERLIN ART WEEK Highlight: Der Pegasus von Mia Florentine Weiss
Die BERLIN ART WEEK 2015 ist vorbei und wir sind angenehm satt von den Eindrücken aus all den fantastischen Ausstellungen, Kunstwerken und den Begegnungen mit Künstlern, Sammlern und Kuratoren. Im Rückblick möchten wir mit Euch eines unserer persönlichen Highlights teilen: das Pegasus Projekt der Performance-Künstlerin Mia Florentine Weiss.
Mia Florentine Weiss setzt sich seit über zehn Jahren mit der Frage nach unserem Schutzraum auseinander. Mit ihrem Pegasus-Projekt hat Mia Florentine Weiss die Flüchtlingsrouten am Rande Europas bereist und dokumentiert. Dafür reiste sie um die ganze Welt und befragte Menschen wo sie sich geborgen fühlen. Eine der Stationen war die Biennale in Venedig, zu der Weiss und ihr Pegasus mit Unterstützung von Pro Asyl auf Flüchtlingsrouten reisten. Am 12. November 2015 wird die Pegasus-Skulptur ins Senckenberg Naturmuseum zurückkehren, wo sie ihren Anfang genommen hat und dort ausgestellt werden.
Private Preview des Pegasus Projekts in Berlin
Wir haben die Künstlerin während der BERLIN ART WEEK auf der Kunstmesse Positions am Stand ihrer Kunstagentin Jennny Falckenberg getroffen. Im Gepäck hatten die beiden ihre Arbeiten aus der Pegasus Serie, die neben Arbeiten von Martin Gremse und der Fotokünstlerin Franziska Stünkel (wir berichteten: Junge heiße Kunst in den Bergen) präsentiert wurden. Die aktuelle Flüchtlingssituation und -diskussion hat die Relevanz und auch die Aufmerksamkeit für diese Performance-Arbeit noch mal verdoppelt.
Eine Entwicklung, die zu begrüßen ist, gleichzeitig aber auch einen bitteren Nachgeschmack hinterlässt. Ihr Pegasus wurde deswegen ganz bewusst nicht auf einer Verkaufsveranstaltung wie der Positions gezeigt – sondern einmalig bei einer privaten Preview von Jenny Falckenberg am Vorabend der Messeeröffnung. Dort haben wir Mia Florentine Weiss getroffen und sie nach den bewegendsten Momenten und prägenden Erfahrungen auf ihrer Reise gefragt.
Interview mit Mia Florentine Weiss
Mia, wie konntest du diese extreme Performance und Reise überhaupt umsetzen?
Fakt ist, eine Performance an den Rändern Europas zu überleben ist keine Kunst. Schwerer auszuhalten ist, mit welcher Selbstverständlichkeit dort und vielerorts Schutzlosigkeit hingenommen wird. Daraus dann Kunst zu machen – Bilder zu kreieren und Fragen zu finden – ist eine Verantwortung, der ich mir wohl bewusst bin. Deswegen habe ich mich mit meiner Idee, eine Skulptur entlang der Flüchtlingsrouten zu führen, vor einigen Jahren zunächst an Pro Asyl gewandt, mit denen dann schliesslich Anfang diesen Jahres die Kooperation zu dem Pegasus-Projekt EDGES OF EUROPE zustande gekommen ist. Ziel war es mit dieser interdisziplinären Performance meinem künstlerischen Kontext nach weltweiten Schutzräumen treu zu bleiben, um neue Blickwinkel aus unserem Zeitgeist zu erschliessen, wo sich Kunst und Kultur sowie Politik und Poesie treffen. Niemand von uns war zu diesem Zeitpunkt klar, welches Ausmaß die Flüchtlingsthematik bis heute erreicht hat und noch erreichen wird!
Der Pegasus, als solcher ein Hybrid, ist die Metapher mit der du arbeitest.
Performances sind wie Kinder – jede ist auf ihre Weise individuell und besonders. Nichts ist planbar, es passiert was muss. Wenn wir uns andere Künstlerinnen anschauen wie Cindy Sherman oder Marina Abramovic, so arbeiten sie wie ich es die letzten zehn Jahre auch gemacht habe mit ihrem Körper als Medium. Nun ist bei mir nach einer langen Odyssee bipolarer Performances (Schutzschild, Inkubator, Flügel, Bett, Muttertier etc.), wo ich selbst das Bindeglied dieser künstlerischen Aktion gewesen bin, ein neuer Nukleus entstanden, der auf einmal autark arbeitet: PEGASUS! Pegasus ist eine Illusion, die Jahre lang nur in meiner Vision gelebt hat. Es dass fällt mir immer noch schwer zu glauben, dass ich es tatsächlich geschafft habe, diese Installation fertig zu bauen.
Jetzt wo er Wirklichkeit geworden ist, gehört er zu den Unsterblichen. Das verbindet uns, denn ich wäre nach meiner Geburt eigentlich gestorben, d.h. mein Überleben ist ein Wunder. Mein Grenzgänger, wie ich ihn liebevoll nenne ist erwachsen geworden und performt sich selbst. Ich bin nur noch die Mutter, die zum Abschied winkt….
Wenn man die Flüchtlingsroute ansieht die du mit dem Pegasus bereist hast, die vielen Geschichten, Menschen und Dinge mit denen er aufgeladen wurde, entsteht der Eindruck dass die Flüchtlinge diese Metapher instinktiv verstanden haben.
Ob Frauen, Kinder oder Männer – alt oder jung – egal welche Religion oder Hautfarbe – die Faszination des Pegasus liegt in seiner Andersartigkeit und der daraus resultierenden Authentizität. Das spüren die Menschen. Objekt und Betrachter begegnen sich auf jener Augenhöhe, die so oft fehlt. Der Pegasus ging als abgeschlossenes Kunstwerk auf eine im Beuysschen Sinne offene Reise. Ich hatte viele Jahre auf der ganzen Welt Objekte gesammelt, getauscht, gefunden, etc. die mit einer extra entwickelten Epoxidharzlösung in die Flügel eingegossen wurden – bis dann ein syrischer Flüchtling namens Naart vor mir stand mit seinem letzten Geldschein und einem Ring, welches er beides Pegasus Flügeln mitgeben wollte….wir improvisierten und klebten Naarts Wunsch nach Stabilität und Liebe an einen der Flügel. Wie auf Kommando entstand eine Schlange und ausgerechnet die Menschen, die nichts mehr besitzen, wollten Pegasus etwas mit auf den Weg geben. Die Flüchtlinge samt Pegasus wurden wieder zu Menschen und die Flügel zu einem menschlichen Mosaik vervollständigt.
Das war einer der bewegendsten Momente in meinem Leben.
Du hast uns von der geradezu absurden Situation in der Ägais erzählt, wo Terrorismus und Tourismus aufeinanderprallten. Alleine letztes Wochenende kamen wieder über 40.000 Flüchtlinge in Berlin an. Hat uns die Realität überholt, gibt es überhaupt noch einen „PLACE OF PROTECTION“ für uns?
Gute Frage… Ich habe versucht würdevoll mit einem Thema umzugehen, denn just das Attribut von Würde geht auf jeder Flucht verloren. Der Schatten der Flucht, der auf jedem meiner Arbeiten zu erahnen ist wechselt sich ab mit dem Gefühl von Sehnsucht und Hoffnung, was wir Menschen bis zum letzten Atemzug in unseren Herzen tragen. Was ist der Grund für Flucht? Eine wie auch immer geartete Ungeborgenheit. Dahinter steht der Wunsch nach Geborgenheit, Liebe, Protection.
Das ist hier kein Gutmenschgebabbel, jeder muss nach seinem eigenen kategorischen Imperativ leben.
Ich habe einer syrischen Familie geholfen nach Europa zu kommen und wildfremden Flüchtlingen mein Hotelzimmer überlassen, meine Dusche, Kleidung, essen etc. Für mich ist jeder Mensch ein Flüchtling, der anders ist und dafür verfolgt wird. Vor dem derzeitigen Hintergrund, dass der Mensch die Natur terrorisiert und der weltweite Terrorismus die Menschen tötet fällt mir so richtig grad kein globaler PLACE OF PROTECTION ein, ausser dem in uns selbst, von wo aus wir Protection weitergeben können, an diejenigen die es dringend benötigen! Das Pamphlet zum Pegasus lautet:
The human being born into this world at home on earth always and forever destroyed by his own curse!
Erzähl uns kurz wie es weitergeht und wo und wie du diese Geschichte zu Ende erzählst.
Meine Sonderausstellung DER NABEL DER WELT ist Auftakt des Programms „Kultur trifft Natur“ des Senckenberg Museums in Frankfurt am Main und wird ab Mitte November 2015 mit einer Einzelausstellung für drei Monate geöffnet sein. Dort wird der Pegasus im Foyer unter der Decke hängen und eine symbolische Nabelschnur wird den Besucher durch die Ausstellung führen. Das sind mit der Berlin Art Week zwei wahnsinnige Monate, wo sich alles um die Realisierung der musealen Ausstellung drehen wird.
Egal wie: Ich werde meinen syrischen Flüchtling Naart in seiner neuen Heimat Amsterdam besuchen, wo er politisches Asyl bekommen hat. Vielleicht brauche ich dann die Flügel des Pegasus nicht mehr dorthin zu bringen…. wenn ich Naart in meinem John Lennon T-Shirt gegenüber stehe, was ich ihm damals auf Kos geschenkt habe, ist das Kapitel EDGES OF EUROPE für mich und eine syrische Familie mit einem persönlichen Happy End abgeschlossen – aber die Welt bleibt weiter auf der Flucht! Jeder kann einen Beitrag leisten – einfach machen!
Frei nach Dostojewski: Rette ein Kind, und du rettest die ganze Welt!
Als letztes möchten wir noch dein Fazit wissen, zur diesjährigen Berlin Art Week und der Positions.
Mein Fazit zur Positions Messe: Super(Location)- Kalifragilistic(Publikum)- Expialigetic(Kunst)!
Man dachte dort ich bin Kunst, als ich am Boden an der einzigen Standsteckdose mein Handy aufgeladen habe und dabei mit meinem Sohn Babytalk machte… Ich wurde begutachtet und gefüttert, hatte einen großen, öffentlichen Talk zu einem schweren Thema und viele kleine, intensive Gespräche voller herzlicher Intimität – ein Galleryschwergewicht (Jarmuschek) als netten Nachbarn und einige Künstlerkollegen zum fachsimpeln (wie z.B. Bakterien Bildoberflächen zersetzen…Nice!). Der Haloumi/Burger schmeckt auch noch am dritten Tag und da etwas von mir verkauft wurde, muss ich mein Versprechen einlösen, mir ein Tattoo Aufkleben zu lassen: Jesus on friday! Es soll angeblich zwei Wochen halten – Perfect Timing – da fängt für mich die Art Vienna an!
Mehr zum Project Pegasus findet ihr bei www.mia–florentine–weiss.com
Die nächsten Möglichkeiten das Pegasus Projekt und Mia Florentine Weiss zu sehen:
Viennafair (Wien)
8.- 11.10.15
Stand Artdepot Innsbruck
Senckenberg Museum / Frankfurt am Main
Sonderausstellung „Der Nabel der Welt“ als Auftakt des Programms „Natur trifft Kultur“
Mitte November 2015 bis Februar 2016