Bild: Loredana Nemes @ Markus Kirchgessner
Portraits von Menschen, die aus der Zeit gefallen sind
Loredana Nemes stammt aus Rumänien, sie ist vierzehn Jahre alt, als ihre Eltern aus politischen Gründen das Land verlassen. Herausgerissen aus ihrem Leben dauert es Jahre, bis sie ihre Gefühle von Schmerz und Entwurzelung zulässt. Aber sie fährt nach dem Fall des Eisernen Vorhangs regelmäßig in die alte Heimat, um ihre Familie zu besuchen, seit 2002 mit der Kamera in der Hand. Dabei entstehen liebevolle Moment-Aufnahmen, in denen die Zeit still zu stehen scheint
Ich war fasziniert von der Street Photographie, ich wusste, das will ich unbedingt machen. Also habe oft ewig an einer Stelle gestanden und geguckt, was tut sich da. Eine typische Situation: ich bin vor einem Haus, es zieht mich in einen Innenhof, es fühlt sich gut an, ich bleibe. Im Hof geht eine Treppe hoch, plötzlich kommt eine Frau mit einer Einkaufstüte, ihr Nachbar kommt von oben, sie unterhalten sich. Ein wunderbarer Moment, weil die Beiden sich Zeit nehmen füreinander. Ganz anders als bei uns, in unserer hektischen Gesellschaft, wo jeder immer gleich weiter hastet. Die Fotografie und die Kamera haben mir immer Zeit geschenkt, Zeit für die Details, Zeit, die Welt anzugucken.
Fremde Geständnisse der Liebe und magische Augenblicke in der U-Bahn
Die Fotografin arbeitet zunehmend konzeptionell. In der Serie „Underground“ (2005-2006) ist sie noch ganz Voyeur, dankbar dafür, dass sie schöne Momente mit ihrer Kamera einfangen darf, etwa die Erinnerung an ein älteres Paar, das uns nur durch einen Blick die tiefe Verbundenheit und Liebe, sogar die einstige Verliebtheit der Jugend spüren lässt. In „Über Liebe“ (ab 2006) geht Loredana Nemes neue, performative Wege. Sie baut einen Hintergrundstoff auf, und spricht in einem Hochzeitskleid wildfremde Männer an, ob sie ihr etwas erzählen über die Frau, die sie lieben und dann für ein Foto so tun, als sei sie diese Frau.
Mir schlotterten die Knie, wenn ich die Männer ansprach, immerhin musste ich 35 Mal „verliebt-sein“ spielen. Ich wollte auch etwas darüber erzählen, dass soviel Zufall dabei ist, einem Menschen und der Liebe zu begegnen, soviel Glück. Das Ganze hatte auch einen realen Hintergrund, ich trug das Kleid einer gescheiterten Hochzeit. Indem ich in dieser Serie zur Braut wurde, begab ich mich auf die Spuren des Mysteriums der Liebe, warum sie kommt und bleibt und auch wieder geht.
Experimente mit Nähe und dem Fremdsein
Loredana Nemes erkundet in ihren Projekten auch immer wieder neues Terrain fotografischer Möglichkeiten. In „Blütezeit“ fotografiert sie junge Menschen einer Gruppe einzeln und setzt die so entstandenen Bilder zusammen. Dadurch entstehen Doppelungen, Schärfe-Verschiebungen, neue ästhetische Komponenten. Der Blick der Modelle geht in verschiedene Richtungen, auch das ungewohnt. Wahrscheinlich erfährt man in diesen Bildern mehr über die Beziehungen der Menschen zueinander, als das ein normales Gruppenbild jemals sichtbar machen könnte. „Beyond“ (2011) ist eine ihrer bekanntesten Serien. Darin fotografiert Loredana Nemes, von der Straße aus, in türkischen Cafés in Berlin Neukölln Männer hinter einem Vorhang, einer Scheibe. Die Serie erscheint zufällig zehn Tage, nachdem Thilo Sarrazin sein umstrittenes Buch „Deutschland schafft sich ab“ veröffentlicht hatte.
Alle Medien riefen bei mir an und wollten die Fotos drucken. Ich musste aufpassen, dass mir nicht die Worte im Mund verdreht wurden. Schließlich sollte „Beyond“ nicht dazu benutzt werden, eine Art islamische Parallelwelt in Neukölln zu illustrieren. Ich spielte mit den Erwartungen der Betrachter, wollte zeigen, dass seit 9/11 die Angst in unser Hirn gefräst ist, wir das Fremde als bedrohlich empfinden. Dieses Urteil fällt, bevor wir zu denken anfangen. Ich musste die Männer bitten, bei dieser Inszenierung mitzuspielen und erklärte ihnen: ich will euch so zeigen, wie ich euch sehe, mit der Verhüllung, ich verstehe euch nicht. Zum Teil waren sie vom Ergebnis schockiert, die Reaktion war oft: das bin ich doch gar nicht. Aber ich wollte sagen: so könnten wir dich sehen.
Loredana Nemes bei Podbielski Contemporary
Auch in ihrer aktuellen Serie „Der Auftritt“ bittet sie völlig fremde Menschen vor die Kamera, im Karneval. In ihren Kostümen, mit seltsam ernsten Gesichtern, gewähren sie der Fotografin und damit auch uns einen winzigen Moment den Blick in ihre Seele. Loredana Nemes wird in Berlin von der Galerie Podbielski Contemporary vertreten.
Podbielski Contemporary
Koppenplatz 5 Z 10117 Berlin
www.podbielskicontemporary.com
Alle Fotos: © Loredana Nemes, courtesy Podbielski Contemporary