Bei Corinne Wasmuht im großen Atelier in Berlin
Corinne Wasmuht, eine der wichtigsten deutschen Malerinnen, hält die Welt kurz an und bändigt die Bilderflut mit Ölfarben auf Holz. Die Malerin bekommt den Käthe-Kollwitz-Preis 2014 der Akademie der Künste in Berlin verliehen. Eine Ausstellung gibt bis zum 10. August einen Überblick über ihr Werk.
Etwas zu spät kommt Corinne Wasmuht in ihr Atelier geeilt, einen Freund hatte sie gebeten, uns die Tür zur öffnen. So haben wir etwas Zeit, uns im neuen Atelier umzuschauen: Eingepackte Bilder, Farbtöpfe, angemischte Farben, ein Schreibtisch mit Computer und Scanner – alle Arbeiten plant die Künstlerin seit einigen Jahren auch elektronisch – und eine neue, sehr große Arbeit an der Wand. Fast vierhundert Quadratmeter am Tempelhofer Ufer in Berlin hat die 1964 geborene Künstlerin im vergangenen Winter bezogen. Neonröhren, immer zwei nebeneinander, eine bläulich, eine gelblich, simulieren in den zwei großen Räumen das Tageslicht. Corinne Wasmuht arbeitet gerne vom Abend in die Nacht hinein, das gleichbleibende Licht, das sie braucht, liefern die Neonröhren. Nach fünfzehn Minuten ist sie da, in Karohemd und Jeans, freundlich und bestimmt, noch etwas angestrengt von den Vorbereitungen ihrer Ausstellung in der Akademie der Künste.
Jetzt, einen Tag vor der Eröffnung, gibt es noch Probleme mit der Beleuchtung. Der Elektriker müsse noch einmal los, Röhren kaufen, sagt Corinne Wasmuht und hofft, morgen ihre großformatigen Bilder im richtigen Licht zeigen zu können. Im Atelier steht ein Modell der Hängung, die Bilder im Kleinstformat mit Nadeln an Styroporwände gepinnt. Corinne Wasmuht ist akribisch in der Planung ihrer Bilder und den Vorbereitungen ihrer Ausstellungen. Die Genauigkeit, die Sorgfalt, die Beschäftigung mit der Farbe, das ganze Darübernachdenken – all das sieht man den Arbeiten an. Und die Beleuchtung ist wichtig, denn Wasmuhts Bilder strahlen von Innen heraus, wenn das Licht die Farben reflektiert. Bis zu 180 Schichten Ölfarbe arbeitet die Künstlerin übereinander: Die Werke zeigen in zahlreichen Facetten Fragmente unserer urbanen Umgebung. Die panoramaartigen Bilder mit ihren vielen perspektivischen Verzerrungen bieten dem Betrachter eine Fülle von Informationen. Bis zu acht Monate arbeitet Wasmuht an einem Bild. An der großen Wand hängt die neuste Arbeit, noch im Entstehungsprozess.
Corinne Wasmuht erklärt, wie sie arbeitet, dabei abklebt und durch das Ablösen kleinster Klebestreifen eine Verpixelung entstehen lässt, Ölfarben aufträgt und lasiert, um dann eine andere Farbe aufzutragen, die die erste noch durchscheinen lässt. Das Motiv: Auf der linken Seite der Flughafen Charles de Gaulle, in der Mitte die neue Bilbliothèque Nationale de France in Paris und rechts ein Raum des Baseler Flughafens.
Corinne Wasmuth: Meine Malerei ist der Weg zu den möglichen Antworten.
Artberlin: Frau Wasmuht, Sie sind in Deutschland geboren und in Argentinien aufgewachsen – welche Mannschaft war Ihr Favorit?
CW: Auf meinem Handy klebt die argentinische Flagge – und für Argentinien schlägt auch beim Fußball mein Herz.
A: In Argentinien haben Sie auch angefangen zu malen….
CW: Ja, ich hatte schon immer den Drang, zu malen. In unserer Nachbarschaft in Buenos Aires wohnte ein bekannter argentinischer Künstler, Kenneth Kemble. Dieser Künstler ist der einzige, von dem ich wirklich etwas über Malerei gelernt habe. Mit neunzehn Jahren bin ich nach Düsseldorf gegangen, um mich an der Kunstakademie zu bewerben. Es war meine erste Anlaufstelle in Deutschland. Erst später habe ich gecheckt, dass ich an der wichtigsten Kunsthochschule Deutschlands gelandet war.
A: Und Sie waren eine der Jüngsten in ihrem Jahrgang an der Kunstakademie, lernten unter anderem bei Tony Cragg und Günther Uecker. Hat die wilde Malerei in den 80er Jahren Sie beeinflusst?
CW: In Argentinien wurde die Kunstausbildung sehr akademisch aufgefasst und in Deutschland war ich dann von der damals angesagten wilden Malerei erstmal total geflasht. Schnell merkte ich aber, die meisten Studenten an der Kunstakademie klecksten ähnlich akademisch nach Schema F. Ich habe mich hingesetzt und überlegt: Was bringt mich weiter? Was will ich überhaupt? Was soll ein Bild erfüllen? Was ist überhaupt Malerei?
A: Was sind die Antworten auf diese Fragen? Was wollen Sie? Was sollen Ihre Bilder erfüllen? Und was ist für Sie Malerei?
CW: Meine Malerei ist der Weg zu den möglichen Antworten. Ich bin immer noch auf der Suche.
Die Künstlerin in der Akademie der Künste
A: Die Ausstellung in der Akademie der Künste zeigt Ihre künstlerische Entwicklung. Welches Bild aus den Anfängen hat für Sie besondere Bedeutung?
CW: Das Feuerbild. Ich war fünfundzwanzig Jahre alt, als ich es gemalt habe. Es war ein Experiment. Eigentlich malt man Feuer mit abstrakten Farbflächen und Farbschlieren und jeder assoziiert damit Feuer. Eine Malereidiskussion, die sich auf Virtuosität beschränkt, hat mich nicht interessiert. Ich wollte Feuer so darstellen, wie es wirklich ist und machte zuerst Fotos mit kurzer Belichtungszeit von realem Feuer. Diese Fotos fügte ich in eine geometrische, sich spiegelnde Struktur ein, um das Flackern des Feuers zu simulieren. Mich interessierte die Stofflichkeit des Feuers und ein geometrisches Muster erschien mir als Gegensatz zum amorphen Feuer passend.
A: Wie sind Sie von diesem Feuerbild zu den großformatigen Raumbildern gekommen?
CW: Der Raum war aus heutiger Sicht schon im Feuerbild enthalten. Die geometrischen Strukturen meiner frühen Bilder auf denen Motive aus der Mikrobiologie, Flora und Fauna dargestellt waren, führten mich allmählich zu der Darstellung von Räumen. Das erste Räumebild erinnert mit seinen unzähligen Linien noch an Muskelgewebe und die zellartige Struktur an eine Bienenwabe. Mittlerweile beschäftige ich mich aber zunehmend mit Landschaften.
A: Wo sehen Sie Ihre Bilder am liebsten?
CW: In institutionellen Sammlungen, da ich sicher sein kann, dass sich dort nicht nur Restauratoren gut um meine Bilder kümmern.
A: Es gibt nur 80 Arbeiten von Ihnen. Ist das ein Problem?
CW: Es ist schade, weil ich deswegen so weniger Ausstellungen machen kann. In der aktuellen Ausstellung in der Akademie der Künste in Berlin fehlen zum Beispiel wichtige Bilder. Viele Bilder befinden sich in den USA, für Ausstellungen in Europa ist der Transport zu teuer. Andere Bilder wiederum befinden sich in Museen wie das Kunstmuseum Bonn oder das Städel Museum und werden dort gerade ausgestellt.
A: Früher haben Sie viel mit ausgeschnittenen Fotos gearbeitet, heute arbeiten Sie auch am Computer. Die Bilder planen Sie lange, machen Fotos und Vorzeichnungen, dann arbeiten Sie bis zu acht Monate an einem Bild.
CW: Ja, das ist eine lange Zeit. Andererseits wundert sich niemand, wenn ein Autor ein Jahr an einem Buch schreibt. Ich plane die Bilder, mache viele Fotos zum Thema und dann entstehen Skizzen. Anschließend beginne ich zu malen. Meine Bilder entstehen im Kopf.
Die Menschen auf meinen Bildern sind mit Geister- oder Schattenwesen zu vergleichen.
A: Wie sind die Menschen in Ihre Bilder gekommen?
CW: Die Menschen auf meinen Bildern sind mit Geister- oder Schattenwesen zu vergleichen. Vielleicht sind sie so da rein gekommen. Sie wirbeln jedenfalls den Raum auf meinen Bildern noch zusätzlich durcheinander.
A: Können Sie etwas mit dem Begriff Simultanität anfangen?
CW: Ja… weil meine Bilder alles gleichzeitig zeigen.
A: Und Transzendenz?
CW: Neee. Oder: Doch auch. Ja. (lacht)
A: Sind Ihre Bilder die Auflösung des Realen?
CW: Nein, auf den Bildern existiert eine eigene Realität. Da ist nichts aufgelöst.
A: Mit Ihren großformatigen Arbeiten in Öl schaffen Sie virtuell-anmutende Realitäten. Woher kommt Ihr Blick für das Simultane und die Multiperspektive?
CW: Als ich das erwähnte Feuerbild 1989 malte, wusste ich nicht, dass an anderen Orten Spiele- bzw. Computer-Entwickler sich ebenfalls mit Simultanität, virtuellen Parallelwelten, Verschachtelungen, Rendering und Ähnlichem beschäftigten. Das lag sozusagen in der Luft. Schließlich ist meine Generation mit ähnlichen visuellen Eindrücken, Erfahrungen und Phantasien wie zum Beispiel der ersten Mondlandung, heute archaisch anmutenden Filmen wie „2001“ von Stanley Kubrick, neuen Farbfernsehern und Comics aufgewachsen.
A: Der Blick der Betrachter hat sich in den letzten Jahrzehnten geändert.
CW: Ja, die ältere Generation hielt meine Bilder anfangs für überladen. Meine Studenten sehen das heute ganz anders. Die Wahrnehmung verändert sich von Generation zu Generation. Auf meine Studenten wirken meine Bilder wahrscheinlich fast schon archaisch. Ich sage zu ihnen: „Ich mache die Kunst von heute, ihr macht die Kunst von morgen“.
Aktuelle Ausstellung in der Akademie der Künste
Bis zum 10. August 2014, Di-So 11-19 Uhr
Eintritt 4/6 Euro
Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, 10557 Berlin.
Text und Interview: Nina Fischer-Keese // Fotos: Graeme Vaughan
Corinne Wasmuht: Kurze Biographie
1964 geboren in Dortmund, lebt und arbeitet in Berlin und Karlsruhe. 1983-1992 Studium an der Kunstakademie Düsseldorf. Seit 2006 Professur an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe.
Der mit 12.000 Euro dotierte Käthe-Kollwitz-Preis wird seit 1960 jährlich an einen bildenden Künstler vergeben. Der Preis wie auch die dazugehörige Ausstellung und die Publikation werden seit 1992 mitfinanziert von der Kreissparkasse Köln. Preisträger der letzten Jahre waren Douglas Gordon (2012), Janet Cardiff & George Bures Miller (2011) und Mona Hatoum (2010).