PHOTO ESPANA: ES IST HEIß
Da wehen sie wieder, die gelben Flaggen mit dem Logo der Photo Espana, PHE, diesmal mit einer 14 für 2014 dahinter: PHE14. Ich war schon einmal da, vor vier Jahren, folgte damals den PHE10-Schildern, die an Galerien und Museen hingen. Auch jetzt ist die PHE wieder organisiert von La Fábrica, einer privaten Initiative, die auch Bücher und Magazine publiziert, ein Café betreibt und sogar Blumen verkauft. Diesmal bin ich als Fotobuchbeauftragte von Hatje Cantz zu den Portfolio-Reviews eingeladen, soll mir anschauen, was der spanische Nachwuchs so macht. Drei Tage lang in Mappen blättern, abends zu Openings gehen, dazwischen Madrid inhalieren.
Es ist heiß. Die Stadtluft, südländisch-würzig-weich, schiebt sich gemächlich durch die breiten Straßen, Mittagspause, es wird geshoppt, es wird gegessen, gestern wurde die Abdankung von Juan Carlos I bekannt gegeben. Vor dem Hotel de las Letras stehen wir herum, etwa 20 Leute aus der internationalen Fotoszene, Kuratoren, Editor, von UK bis USA, aus Deutschland ist außer mir noch Ann-Christin von C/O Berlin dabei. Wir fahren mit dem klimatisierten Bus raus ins Centro de Arte nach Alcobendas, einem neuen modernen Ausstellungsort mit viel Beton und großer Außenterrasse. Der Seminarraum hat Fenster in allen Farben, die Schilder mit unseren Namen stehen schon auf den Tischen. Im 20-Minuten-Takt geht es los, ich surfe durch die Bilder und Geschichten der Fotografen, über 900 hatten sich beworben, 115 dürfen nun ihre Arbeiten zeigen, je 7 Reviewern. Die erste präsentiert eine Serie über Elfen in Island, erzählt mir von Steinen, die ihre Energie abgeben und die man dann wieder in die Natur zurücklegt. Beseelte Landschaft. Der Blick, der das Dazwischen sucht. Lachen ohne Angst. Auf ihrem Notizbuch steht: „The earth is only a little dust under your feet.“
Weiter geht es mit düsteren Masken, Schlachtfeldern in Afrika, Privat-Clubs von Minnesota bis Madrid. Ein Essay über die Angst. Luft, die Schrecken transportiert. Schlaflieder. Der Fotograf lebt in Berlin, ich sage, wir hätten uns ja auch dort treffen können, er meint, hier jedenfalls wäre er meiner ungeteilten Aufmerksamkeit sicher. 20 Minuten Intensität. Ratschläge. Hoffnungen. Ein Projekt über Haare ist einfacher zu verstehen, eine Geschichte über Eigenheiten, Vorurteile, Normen und Taktilität. Tiere, ihr weiches Fell, Büschel und Stoppel, und die Zartheit den eigenen Werken gegenüber. Zum Abschluss des ersten Tages noch ein Diplomat, der in der lettischen Botschaft arbeitet und tagsüber Passfotos macht. Fotografie als Hobby. Familienporträts und Landschaften auf Baryt.
Dann sind wir wieder im Bus, fahren zurück in die Stadt, sind uns einig, dass die Qualität trotz einiger Ausnahmen sehr hoch ist, haben Visitenkarten gesammelt, Projektvorschläge notiert.
FOTOGRAFIE OPENINGS UND FASHION BLOGGER EVENTS
Im Circulo de Bellas Artes dann eine Ausstellungseröffnung, Dokumentarfotografie einer Gruppe namens „La Palangana“, die sich 1959 gegründet hat. Bilder von Kirchgängern, Beerdingunsprozessionen, sterbende Stiere, eine Braut zwischen Hühnern, Silvesterparties mit Konfetti, ein Picknick vor einem kleinen Auto im Wald. „Sad Spacious Spain“ hat der spanische Lyriker Blaes de Otero diese Art der Fotografie genannt, eine humanistische Herangehensweise, die den Samen für die „Madrider Schule“ legte.
Im oberen Stockwerk in der Schau „2.0“ geht es um Fotografie im digitalen Zeitalter, um falsche Starschnappschüsse, Bildschirmhintergründe als Installation, Gesichtserkennungssoftware, aufgepixelte Stadtpanoramen, bis nur Rechtecke übrigbleiben. Die Frage, was mit Back-Up-Copies passiert, mit den Speichermedien unseres digitalen Gedächtnisses, beantwortet Diego Collado mit monochromen Flächen im Holzrahmen, die darunter liegende Bilder „geschluckt“ haben oder dabei sind zu schlucken. Manchmal sieht man noch einen Streifen, einen halben Kopf vor einer Wand, darunter die Fläche hellgrau. Weg. Empty. Gelöscht.
Auf dem Weg zur Dachterrasse stolpere ich in ein Fashion-Blogger-Event. Es ist von dem Modemagazin S der Tageszeitung El País organsiert. Stände von Superdry, DKNY, Havaianas, Vero Moda, Kleiderständer, Lookbooks, Flyer. Chicas in kurzen Kleidchen fotografieren sich gegenseitig, posten fleißig, zeigen sich ihre Goodie-Bags. Es gibt Seagram’s Gin und Estrella Bier, die Hot Dogs heißen Perrito Olé, und die DJane trägt ein Leoparden-Blüschen. Ich sitze auf der Bühne und entspanne meine Augen im Zwielicht der Fashion nach den Stunden voller Bilder.
DIE ERÖFFNUNG DER PHOTO ESPANA
Am nächsten Tag geht es gleich vormittags mit Mode weiter, die Grand Dame der amerikanischen Fashion Photography, Lillian Bassmann (1917-2012) hat eine kleine Ausstellung im Flagshipstore von Loewe. Loewe ist ein spanisches Label, bekannt ist für seine Lederwaren, hat aber auch eine Designkollektion. Berührende Schwarz-Weiß-Bilder aus den 1960er Jahren, aus Harper’s Bazaar, Prints, teils in der Dunkelkammer mit dem Pinsel bearbeitet, wunderschöne Frauengesichter. Ich erinnere mich an die große Ausstellung in Hamburg, Lillian Bassmann und ihr Ehemann Paul Himmel, auch Fotograf, kuratiert von Ingo Taubhorn. Ich schicke Ingo also eine SMS, dass ich hier bin, er grüßt aus Mallorca zurück. An der Wand der Ausstellung ein Zitat von Lillian:
My contribution has been to photograph fashion with a woman’s eye for a woman’s intimate feeling“. An einer anderen: „When I photograph, I project what I’m not. What I would like to be.
Die offizielle Eröffnung der Photo Espana findet zwischendurch statt, im Park, Real Jardín Botanico, der zuständige Minister hält eine Ansprache, man drängt sich zwischen Dokumentarfotografie der 1970er Jahre und zeitgenössischer Arbeiten von Fotografinnen zum Thema Erinnerung, anschließend gibt es Limonade und Bier unter Bäumen. Nach einer weiteren Porftolio-Sichtung grüßen am Abend wilde Collagen in der Ausstellung „P2P – Contemporary Practice in Spanish Photograph“. In bester Dada-Manier haben die jungen Künstler die Wände in Beschlag genommen, Fotografie löst sich auf, wird zu Schnipseln, Holzstückcken auf dem Boden, Fotokopien, Montagen mit Mix Media. Videoscreens, Wortklauberei: Crisis, Europa, Sociedad, Paz, Patria, Unidad, Familia, Terrorismo, Mundo, Amor.
Ein Teil unserer Gruppe zieht weiter zur Ausstellung spanischer Fotobücher zwischen 1905 und 1977, sorgsam kuratiert, in dem fantastischen Centro de Arte Reina Sofia. Dort werde ich, als ich am letzten Tag noch Zeit habe, das Foto mit dem Picknick vor Auto im Wald wieder entdecken und mir den Namen merken: Es ist Francisco Ontanón, die Serie ist zwischen 1963 und 1967 entstanden und heißt „Vivir en Madrid“. Auch die präzise Reihe spanischer Avantgardarchitektur von 1925 bis 1965 im Museo Ico schaue ich mir an, der Kurator, Inaki Bergera, war einer der Fotografen, die sich am dritten Tag der Porfolios vorstellte. Und im Goethe-Institut begegnen mir die Arbeiten von Julian Röder, mit dem ich gerade für Hatje Cantz ein Buch mache, das im Juli erscheint: World Wide Order.
NOCH MEHR ZUM EMPFEHLEN
Was ich nicht gesehen habe: Die Sputnik-Schau, die sehr witzig sein soll, Fotos des osteuropäischen Kollektivs, das schon viele Preise gewonnen hat. Was ich auch nicht gesehen habe: Die Ausstellung mit 10 lateinamerikanischen Künstlern in der Casa de América. Und gefühlt noch dutzend weitere, die sich sicher gelohnt hätten. Über 100 Ausstellungen mit 440 Fotografen sind es insgesamt, die meisten laufen den ganzen Sommer über, auch die Städte Cuenca, Getafe und Zaragoza sind Teil der diesjährigen Photo Espana.
Mittlerweile ist der Himmel von einem leuchtendhellen Nachtblau, ein paar Sterne blitzen auf. Ich laufe durch die Straßen, 28 Grad warm, Chueca, das Madrid des Almodovar, Gesetz der Begierde, die Neonröhre einer Tapas-Bar, die gegen die grob verputzten Wände strahlt. Poster vom Stierkampf, der Kalender mit den Terminen – Corrida de Toros. Ein Vino Tino, dann gehe ich weiter, da vorn ist wieder ein gelbes PHE14-Schild, drinnen gibt es Cava und Serrano Schinken, warm und fettig, eine seltsame Fotoserie mit Kindern in Masken, die Weichheit des Abends trägt mich, Viertel um Viertel, die Stimmen schlagen hoch, Paare gehen verliebt die Straße lang, Mopeds surren vorbei. Wohin? Egal – nur nicht nach Haus.
Text: Nadine Barth