August Sander: Drei Bauern auf dem Weg zum Tanz
Da stehen sie, die drei, wie beiläufig im Gehen erwischt, ein kurzer Moment des Innenhaltens, dem Betrachter zugewandt, drei Männer in Anzügen mit breitkrempigen Hüten, die Spazierstöcke fest in der Hand. Ihre Blicke sind intensiv, fast herausfordernd, frech, sie wissen, wer sie sind, was sie wollen, der linke hat eine brennende Zigarette im Mund, es sieht nach Vergnügen, Lebenslust aus, und ja, wie später herauskommen wird, die drei sind auf dem Weg zu einer Tanzveranstaltung, im Westerwald, im Jahr 1914. Das Bild hat August Sander „Jungbauern“ genannt, in englischen Listen wird es als „Young Farmers, Westerwald“ verzeichnet, es ist wohl sein bekanntestes Foto neben dem Bäcker in seiner Backstube. Bauern? Bäcker? August Sander (1876-1964), hatte sich nichts Geringeres vorgenommen als eine Bestandsaufnahme der Gesellschaft, er wollte die unterschiedlichen Typen zeigen, und das Kriterium, das er anlegte, waren die Berufe.
„Menschen des 20. Jahrhunderts“
Klar, August Sander hatte schon viele Menschen fotografiert, bevor er sein Konzept für die „Menschen des 20. Jahrhunderts“ festlegte, er betrieb in Köln ein Porträtstudio („Lichtbildwerkstatt August Sander, Köln-Lindenthal“), zog parallel über die Dörfer, um Familienfotos zu machen, man kannte ihn, buchte ihn, bestellte Abzüge für die Liebsten. Doch August Sander reichte dies nicht, genauso häufig war er mit freien Arbeiten beschäftigt, und Mitte der 1920er Jahre legte er sein Konzept für die „Menschen des 20. Jahrhunderts“ fest. Gruppe I nannte er „Der Bauer“, Gruppe II „Der Handwerker“, es folgten „Die Frau“, „Die Stände“, „Die Künstler“, „Die Großstadt“ – und Gruppe VII schließlich hieß „Die letzten Menschen“. Hier versammelte er die Randgruppen der Gesellschaft, Irre, Kranke, auch Sterbende. August Sander ging es darum, die Heterogenität der einzelnen Gesellschaftsgruppen darzustellen, Gemeinsames gegen Individuelles zu stellen, Vergleiche zu ziehen: So sind die Aufnahmen jeweils streng komponiert und die Figuren in der Bildmitte positioniert. August Sander nutzte am liebsten natürliches Licht, und wenn es ging, bezog er die Umgebung mit ein, zeigte den Alltag.
August Sander – Vorbild für die sachliche Dokumentarfotografie
Schon 1927 wurden die ersten 100 Fotos aus den „Menschen des 20. Jahrhunderts“ gezeigt, im Kölnischen Kunstverein, im Rahmen einer Gruppenausstellung. Zwei Jahre später erschien das Buch „Antlitz der Zeit“ mit 60 Porträts und einem Vorwort des Schriftstellers Alfred Döblin. Es sollte eigentlich ein Vorgeschmack auf eine Gesamtpublikation werden, 1936 allerdings wurde es beschlagnahmt, erst 1962 konnte mit dem Buch „Deutschenspiegel“ ein größerer Querschnitt gezeigt werden. Zu dem Zeitpunkt hatte längst die Rezeption des Werks von August Sander begonnen, vor allem in den USA bezogen sich die Vertreter der sachlichen Dokumenarfotografie explizit auf August Sander, allen voran Walker Evans. Die Leiterin der Photographischen Sammlung der SK Stiftung Kultur in Köln, in der zur Zeit über 350 Fotografien von August Sander gezeigt werden und die den Nachlass verwalten, zieht die Linie von August Sander über Diane Arbus und Richard Avedon sogar bis in die heutige Zeit zu Rinejke Dijkstra oder Judith Joy Ross, bei denen sie die „Maxime wie Sachlichkeit, Genauigkeit, Einfühlung und methodische Stringenz“ wiedererkennt (Gabriele Conrath-Scholl, Einführung zum Ausstellungsprojekt).
Die wahre Geschichte der „Jungbauern“
Vor ein paar Tagen erschien im Feuilleton der FAZ ein Artikel, der das Rästel um die „Jungbauern“ löste. Lange wusste man nämlich nicht, wer die abgebildeten Männer waren – eine Spurensuche ergab, dass es sich gar nicht um Bauern handelte, sondern um Bergleute. August Sander hatte an dem Tag einen Auftrag der Familie Krieger in Dünnebusch bei Hamm angenommen, zwei Stunden mit dem Zug von Köln entfernt, dann zu Fuß weiter, den Berg hoch. Er kannte sich gut im Westerwald aus, verstand auch den „Wäller Dialekt“, war allgemein angesehen. Einer der drei Abgebildeten war der älteste Sohn der Familie Krieger, Otto Krieger, die andern beiden seine Freunde, die Brüder Ewald und August Klein. Alle arbeiteten bei der Eisenerzgrube St. Andreas im benachbarten Bitzen, zwei unter Tage, August Klein im Büro. Ewald Klein erzählte 1976 dem Westwälder Lokalblatt, wie es zu der Aufnahme gekommen war:
Es war an einem Samstagnachmittag, als wir von Dünebusch nach Halscheid gingen. Wir wollten zum Tanz. Da ist uns der August Sander begegnet. Den kannten wir damals alle, der hatte nämlich überall in der Gegend fotografiert. Und der kam auch immer in die Wirtschaft von meinem Vetter in Dünebusch. Na jedenfalls, als er uns kommen sah, da hat er gesagt, er wollte uns mal fotografieren, und da haben wir uns so dahingestellt.
August Sander hatte damals nur notiert, welche Fotoapparate er bei seinen Streifzügen durch den Westerwald dabeihatte: eine Reisekamera 13/8, Marke „Globus“, ein „Heliar“-Objektiv von Voigtländer, ein „Tessar“ von Zeiss, ein „Dagor“ von Goerz. Erst später, bei Drucklegung zum „Antlitz der Zeit“, 1929, gab er dem Bild den Titel „Jungbauern“. Warum – man weiß es nicht. Richard Powers jedenfalls, berühmter US-Schriftsteller ließ sich von dem Bild zu einem Roman inspirieren: „Three Farmers on Their Way to a Dance“ (1985). Die deutsche Ausgabe erschien unter dem Titel: „Drei Bauern auf dem Weg zum Tanz“ (S.Fischer).
AUSSTELLUNG IN KÖLN
„August Sander: Meisterwerke und Entdeckungen“
Photographische Sammlung/SK Stiftung Kultur, Köln
bis 3. August 2014, www.sk-kultur.de
TEXT: Nadine Barth
FOTOS:
August Sander: Jungbauern, 1914, © Die Photographische Sammlung/SK Stiftung Kultur – August Sander Archiv, Köln, VG-Bild-Kunst, Bonn, 2014
Porträt August Sander, 1925