Ai Weiwei in Berlin – ohne Ai Weiwei

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Ai Weiwei in Berlin – ohne Ai Weiwei

Ai Weiwei zeigt im Martin-Gropius-Bau „Evidence“. Der chinesische Künstler beweist wieder einmal, dass er ein Meister der politischen Konzeptkunst ist.

 Ai Weiwei: Hocker

Ai Weiwei – 6000 Hocker für Kunst und Politik

Es ist ein Titel wie aus dem amerikanischen Serienfernsehen. „You´ve got some evidence?“ wird der ermittelnde Polizist vom Staatsanwalt gefragt, wenn es gilt, die Übeltäter festzunageln. Ai Weiwei hat Evidence – und er setzt sie als Künstler ein. Im Lichthof eine Installation aus 6000 Hockern, ein Thema, das Ai Weiwei schon mehrfach bespielt hat, unter anderem auch auf der letzten Venedig Biennale im deutschen Pavillon. Der Hocker, der früher in keinem Haus fehlte, und heute auf dem Müll landet, ist Sinnbild für den Verlust von Individualität und Handwerkskunst im modernen kommunistischen China.  Ai Weiwei thematisiert Korruption und Umweltsünden, das Versagen der Regierung beim großen Erdbeben 2008. In einer Arbeit überzieht er antike Vasen mit den Lacken moderner Luxusautos – ein Beispiel für seine Kritik an der modernen Gesellschaft in China. 150 Fahrräder in der Eingangshalle erinnern an einen jungen Mann, der nach einem unfairen Gerichtsverfahren zum Tode verurteilt wurde.

Ai Weiwei – Unfreiheit als künstlerisches Thema

Zu sehen ist auch ein Nachbau der Zelle, in der Ai Weiwei 81 Tage lang wegen absurder Vorwürfe festgehalten wurde.  Bis heute hat der Künstler keinen Pass und kann sich auch innerhalb Chinas nicht ohne Überwachung bewegen. Der Direktor des Martin-Gropius-Baus und Kurator Gereon Sievernich:

Er kann in keinem chinesischen Museum ausstellen, es werden Hunderte Museen gebaut, aber er darf nirgends ausstellen. Außerdem wird er bis in seine privaten Räume hinein mit Kameras und Mikrofonen überwacht. Wenn er unterwegs ist, begleiten ihn Geheimagenten. Was für ein Aufwand für einen Künstler!

Ai Weiwei verarbeitet diese Situation in seiner Kunst, es sind politische Statements, mit dem Mittel der Übertreibung und Ironie. Im Eingangsbereich sind Nachbildungen der Überwachungskameras zu sehen – aus Marmor. Warum eigentlich hält die chinesische Regierung Ai Weiwei fest, läßt aber seine Kunst reisen? Gereon Sievernich:

Die Regierung in Chinas geht offenbar davon aus, das die Chinesen von einer Ausstellung im Ausland nichts mitbekommen. Das erscheint mir allerdings im Zeitalter der modernen Medien fraglich.

Sicher ist richtig, dass die chinesische Regierung so wenig wie möglich öffentliche Aufmerksamkeit und damit verbundene Regimekritik im eigenen Land will. Deswegen keine Ausstellung in China und Total-Überwachung des Künstlers. Aber dass die Kunst reisen darf, erscheint mir durchaus logisch: Das bringt Einnahmen und damit Steuern. Nur mal so eine Vermutung. Und ansonsten vertraut die chinesische Führung auf die weitgehende Abschottung durch die grosse Firewall, die die Inhalte im chinesischen Internet zensiert.    

Ai Weiwei – Unterstützung in Deutschland

Gerade in Deutschland setzen sich viele für Ai Weiwei ein. Seine Unterstützer fordern, dass er einen Reisepass erhält, zum Beispiel auch, um an der Akademie der Künste in Berlin, in der er Mitglied ist, zur Jahresversammlung zu kommen, oder um bei der Universität der Künste, wo er einen Lehrauftrag hat, Vorlesungen halten zu dürfen. Die Bundesregierung bezeugt ihre Solidarität, aber hält sich sonst zurück, auch Ende März, als der chinesische Staatspräsident Berlin besuchte, konnte ihm keine Reise-Erlaubnis für Ai Weiwei  abgerungen werden. Aber vielleicht geschieht ja ein Wunder, Ai Weiwei in einer Video-Botschaft

Ich weiß, dass ich in Deutschland eine Menge Unterstützer habe und viele meine politischen und  künstlerischen Ansichten teilen. Ich hoffe sehr, dass ich doch noch selber zu meiner Ausstellung kommen kann und mich direkt mit dem deutschen Publikum austauschen darf.

Filmpremiere & Ausstellung im Martin-Gropius-Bau

Die wirklich großartige Ausstellung „Evidence“ ist bis zum 7. Juli zu sehen. Am 4. April hat auch der neue Film „Ai Weiwei – The Fake Case“ Deutschlandpremiere, am 8. Mai läuft er regulär an. Der Film begleitet den Künstler in seinem Alltag nach der Entlassung aus dem Gefängnis. Vor dem Martin-Gropius Bau ist ein Fahrrad verschraubt, solange Ai Weiwei keinen Pass hat, können dort als symbolische Solidaritätsbekundung Blumen abgelegt werden. Je mehr Leute Blumen mitbringen, desto stärker das Signal. Und noch etwas: ich fände es toll, wenn jemand mal die „ungefähr“ 6000 Hocker im Lichthof nachzählen würde!   

Ai Weiwei „Evidence“
3. April bis 7. Juli 2014
Martin-Gropius Bau // Niederkirchner Strasse 7 // 10963 Berlin
Öffnungszeiten: Mi – Mo 10 – 19 Uhr // www.gropiusbau.de

Film „Ai Weiwei – the Fake Case“ // Delphi Filmpalast am Zoo