MIT GIOVANNI CASTELL IN DEN BAD GASTEINER BERGEN
Als der Fotograf Giovanni Castell in Bad Gastein auf die New Yorker Künstlerin Linda Troeller trifft, wo die beiden Workshops im Rahmen des sommer.frische.kunst Festivals leiten, muss der physische Größenunterschied ins Auge fallen. Giovanni misst an die zwei Meter und überragt damit die zierliche Linda deutlich. Auch sonst haben die beiden inhaltlich in ihrem künstlerischen Werk wenig gemeinsam, was es umso spannender macht, da beide eingewilligt haben, sich gegenseitig für unsere Interviews zu fotografieren.
1962 in München geboren, hat Castell lange Zeit als Mode- Design- und Produktfotograf gearbeitet bis er Ende der 80er Jahre beschloss, sich der Kunstfotografie zu widmen. Heute findet man seine Werke in Privatsammlungen, Galerien und Kunsthäusern in Berlin, Hamburg, Wien und Bozen.
Ich wusste schon früh, was ich geschmacklich will. Trotzdem habe ich mit Auftragsfotografie begonnen, um mich zu ernähren. Ich habe viel Werbung fotografiert und hier wirklich alles vom Bier bis Schmuck. Viele Leute behaupten ja, dass man Werbung und Kunst doch gar nicht zusammen machen kann. Ich finde es ziemlich altmodisch gedacht, das heute noch so radikal voneinander zu trennen.
Bevor wir Giovanni an diesem Nachmittag persönlich kennenlernen dürfen, nennen wir ihn heimlich den dunklen Lord der Fotografie – seine Arbeiten spielen oftmals mit der Kehrseite von Licht und wirken intensiv düster. Als wir ihm im Hotel Regina zum Interview treffen, wird schnell klar, dass wir uns getäuscht haben. Vor uns steht ein äußerst sympathischer, sehr klar agierender und charmanter Autodidakt.
DIE FOTOGRAFIE HAT DIE REALITÄT GETÖTET
Giovanni, erzähl, wie bist du nach Bad Gastein gekommen?
Ich habe vor 20 Jahren in Mailand, wo ich studiert habe, Ike Ikrath kennengelernt, der heute das Miramonte macht. In dem Pavillon in Bad Gastein hatte ich 2003 eine Ausstellung. Dort ist übrigens jetzt gerade eine Arbeit von Miriam Jonas zu sehen, die ich für die beste Künstlerin in dieser Kunstsaison hier halte. Mit Abstand. Das nächste Kunstwerk, das ich mir kaufe, wird von ihr sein.
Dein Workshop auf dem Bad Gastein Kunstfestival hat die Frage gestellt, wie man richtig sehen lernen kann in der Fotografie. Können wir das nicht mehr?
In meinen Augen hat die Fotografie die Realität nach und nach getötet. Sie hat sie verschwinden lassen, da wir sobald man uns ein Stichwort wie z.B. Irland hinwirft, sofort nach Fotos googeln, bevor wir uns überhaupt die Realität anschauen können. Ich versuche die Leute dazu zu bringen, wieder bewusst zu schauen, teilweise auch erst mal zu zeichnen. Es ist natürlich auch ein Experiment für den eigenen Blick, das man nicht nur so rumhuscht und schnell ein Foto macht. Ich glaube, nur wenn du genau hinsiehst und hinhörst, kannst du deinen eigenen Stil finden.
Gab es bei dir so einen Schlüsselmoment, wo du gesagt hast jetzt gehe ich den Schritt vom Fotografen zum Künstler?
Ein Schlüsselmoment war, als meine damalige Freundin, die auch Künstlerin ist, Nina Venus. Sie hat mich da wirklich sehr stark beeinflusst und war eine Art Mentor für mich.
Du hast Fotografie aber nicht Kunst studiert und dir die Kunstfotografie selber beigebracht. Inwieweit hat dein autodidaktischer Ansatz deine Arbeit als Künstler beeinflusst?
Ich fühle mich total frei dadurch. Ich war einmal in einer Baselitz Klasse zu Gast, da hatten sie alle einen kahlrasierten Kopf und haben versucht wie Baselitz zu malen. Es fängt ja schon im Kunstunterricht an, dass den Kindern gesagt wird, so und so muss das sein – oder – wie malst du denn? So eine Kunstschule hat ja auch eine Art Alibifunktion.
ENDZEITSTIMMUNG UND SAMPLING MALEREI
Deine Arbeiten tragen viel Dunkelheit in sich, du erscheinst uns gar nicht so. Ist diese ein Teil des Künstlers Castell?
Nein, überhaupt nicht, ich fühle mich eher heiter, aber ich mag die Dunkelheit. Sie hat etwas sehr Malerisches. Bei der Arbeit mit den Boxern („Freefight“) habe ich vom Licht her ein bisschen bei Caravaggio geklaut und es modelliert. Bei den „Nachtblumen“, meiner ersten erfolgreichen Serie, bekommen die Motive, die tagsüber völlig banal aussehen durch den schwarzen Hintergrund plötzlich eine tiefere Bedeutung. Blumen sind ja sowieso ziemlich schwierig zu fotografieren, das geht ganz schnell ins Kitschige über.
Aber da ist schon eine beklemmende Tiefe, die sich in deinen Bildern manifestiert…
Ja, es geht mir schon um das Thema. Das erste Bild aus der Serie Aporie, die angststarre Frau vor der Explosion, das fühlt sich für mich an wie das neue Biedermeier. Wir leben heute in so einer saturierten Welt in der viele ahnen und spüren, dass da eine Art Unheil ist und wir uns verändern müssen. Dafür steht dieses Bild, deshalb habe ich es „Aporie“ genannt.
Deine Arbeiten, vor allem „Aporie“ und „Freefight“, erinnern mich persönlich an den US-amerikanischen Fotografen Gregory Crewdson (Crewdson inszeniert seine Fotos mit einem Aufwand, der sonst nur für Hollywood-Filme betrieben wird).
Gregory Crewdson …. ist mir natürlich klar der Vergleich, aber der ist mir zu pathetisch. Der Crewdson hat ja einen riesigen technischen Aufwand beim Fotografieren, darauf verzichte ich und konzentriere mich voll auf das was mir mein Inneres bringt. Wenn ich fotografiere, fühlt sich das für mich wie Malerei an.
Für deine Aporie Serie hast du eine neue Technik entwickelt, die in meinen Augen diese schwer greifbare aber unbedingte Tiefe erst ermöglicht…
Ja genau, ich nenne es „Sampling – Malerei “ – die Neuverarbeitung von meinen Fotoarbeiten, Renderings und Fundstücken aus dem Internet. Hergeleitet habe ich es aus dem Sampeln von Musikstücken. Ich mische die Fotografie mit Dingen, die ich aus dem Internet ziehe. Ich kann von allen Perspektiven aus im Rechner fotografieren. Das ist dann als ob du zur Staffelei gehst und malst und über verschiedene Schichten zum finalen Werk kommst. An manchen Bildern wie dem Hochausbild habe ich drei Monate gearbeitet, wie an einem modernen „Schinken“. Das habe ich bisher auf keiner Kunstmesse gesehen und ich bin auch ein bisschen stolz darauf.
Alle Arbeiten und den Kontakt zu Giovanni Castell auf seiner Webseite: http://giovannicastell.de/
Interview: Esther Harrison // Portraifotos: Linda Troeller