Wolfgang Tillmans: „Lutz and Alex sitting in the trees“, 1992, Courtesy Galerie Buchholz, Köln/Berlin ©Wolfgang Tillmans, ©Kunstsammlung NRW
Wolfgang Tillmans: Fotograf der Jugend
Jugend ist, wenn man nicht an das Morgen denkt. Jugend ist ein Moment, ein Überschwang, eine unkonkrete Idee dessen, was sein kann und in der etablierten Welt gerade deswegen nicht stattfinden kann – oder nicht stattfinden darf. Jugend ist Rebellion, ist ein Stinkefinger, ist Energie und Verletzlichkeit zugleich. Jugend ist Sehnsucht nach Nähe, der Wunsch, einen Menschen zu spüren, ihm nah zu sein, auch in seiner Nacktheit zu akzeptieren.
Das Jahr hatte mit „Bohemian Rhapsody“ von Queen begonnen und würde mit Whitney Houstons „I will always love you“ enden – zumindest in den brititschen Singlecharts. In den Clubs läuft neben den pychedelischen Klangteppichen à la Aphex Twin guter solider Vocal House, den die Def Mix Legenden Frankie Knuckles und David Morales servieren. Auf der London Fashion Week gibt Alexander McQueen sein Debut, Vivienne Westwood rockt nach wie vor die Szene, und ein junger Fotograf aus Remscheid beginnt, für das Kultmagazin i-D zu fotografieren.
Wir schreiben das Jahr 1992.
Wolfgang Tillmans ist mit seinem Studium in Bournemouth fertig und hängt in London ab. Er weiß schon ziemlich genau, was er will, hatte in Hamburg ein paar Ausstellungen (Café Gnosa, Front, PPS Galerie), die Schnittstelle zwischen Mode, Kunst und Installation fasziniert ihn. Seine Freunde denken ähnlich, sind Designer oder Künstler, leben, lieben, feiern. Er fotografiert sie auf Parties, im Bett, in der Natur. Er fotografiert Essensreste in WGs, eine Ratte, die im Gulli verschwindet, die blutjunge Kate Moss. Manches inszeniert er, anderes dokumentiert er. Manches wird veröffentlicht, anderes landet in Kisten und wird erst später „gesampelt“.
„Lutz und Alex“ sind der Modedesigner Lutz Huelle und die Objektkünstlerin Alexandra Bircken.
Das Bild „Lutz and Alex sitting in the trees“ zeigt zwei junge Menschen, die auf den Ästen eines Baumes sitzen, eingerahmt von grünen Blättern. Das Mädchen Alex schaut in die Kamera, der Junge Lutz blickt schräg nach unten. Beide haben einen Mantel übergelegt, Alex eine Art Parka, Lutz einen roten Regenmantel. Darunter sind sie nackt. Man kann das Foto lustig finden, seltsam oder ganz normal. Warum sollen Menschen nicht nackt in Bäumen sitzen? Anders gefragt: Hat Tillmans seine Freunde nebenbei aufgenommen, vielleicht während eines Picknicks? Oder hat er sie da hochgeschickt? Hat er ihnen gesagt, wie sie zu sitzen haben? Was sie zu tragen haben? Die Kleidungsstücke sind von dem Jungdesigner Lutz Huelle selbst, der heute sein Label „Lutz“ erfolgreich in Paris vertreibt. Eigentlich handelt es sich nämlich um ein Modeshooting, erschienen ist es als Teil einer größeren Geschichte in der i-D (es gibt auch ein Side-Shot, in dem Lutz und Alex nackt den Baum hochklettern und das z.B. letztens in der Sammlung Boros gezeigt wurde). In den 1990er Jahren ging es in der i-D wie in anderen Trendmagazinen darum, Lebenswelten zu zeigen. Mode als Haltung, als Abbild des Zeitgeistes, der die Hochkultur mit Subkulturellem ärgert, Mode, die Barrieren einreißt, leichtfüßig. Für Tillmans eine folgerichtige Entwicklung, die sich in seinem Werk widerspiegelt:
Von komplett inszeniert bis komplett dokumentarisch – die Grenzen sind fließend. Ich bringe sie zusammen, ohne Unterscheidungen zu machen, so dass Lutz und Alex sitzend erscheinen, als säßen die da einfach so. Aber in Wirklichkeit, wenn man darüber nachdenkt, kann das ja nicht sein. Eigentlich sind es Utopien, die ich real erscheinen lassen wollte.
Wolfgang-Tillmans: Cover Fantastic Man; spring / summer 2010 ©Alasdair McLellan.
Wolfgang Tillmans: Seismograph der Emotionen
Wenn Wolfgang Tillmans zwischen seinen Bildern steht, so wie im K21 in Düsseldorf, blaues Sweatshirt, weißes T-Shirt darunter, und Sätze sagt wie
Ich kann die Welt auch nicht erklären,
dann ist das eine wundervoll charmante Untertreibung seiner Kreativität, in der es immer darum ging, seiner Umwelt die Welt durch seine Sicht ein wenig näher zu bringen, sie zu berühren: „Touch people in some way“ nennt er es schon in einem frühen Videobeitrag von 1996. Es geht um eine Aufmerksamkeit den Dingen gegenüber, den Menschen, den Situationen: „Being visually aware“. Wie ein Seismograph empfängt Tillmans die Schwingungen um ihn herum, die er mit den Mitteln der Kunst für andere erfahrbar macht. In einem aktuellen arte-Beitrag spricht er vom „Evidenzcharakter“ seiner Werke:
Mein Tun ist ein Nachdenken über die dreidimensionale Welt. Meine Arbeit ist ein Übersetzen ins Zweidimensionale.
Und über den Stempel, er sei Chronist der Jugend, nur weil er „Bilder vom Dabeisein“ geliefert habe, weil er schließlich mal selbst jung war und, ja, eben „dabei“ war:
Aber das habe ich nie fotografiert mit dem Gefühl, ich bin Chronist davon, sondern eher mit dem Gefühl, das will ich verbreiten, darüber will ich sprechen, das will ich zeigen. Ich sehe mich immer als Verstärker – amplifier.
Wolfgang Tillmans große Werkschau im K21 in Düsseldorf
Zu den „Bildern, die authentisch waren in ihrem Denken über die Zeit“ gesellen sich in Düsseldorf all die neuen Serien, die nach dem Turner-Prize-Ritterschlag von 2000 entstanden sind: Die Abstraktionen aus der Dunkelkammer, die Experimente mit einem alten Fotokopierer, die Stilleben mit verwelkten Blumen. Das Baumbild mit Lutz und Alex hängt ganz selbstverständlich dabei, ebenso frühe Selbstporträts, die Tillmans als Teenager gezeichnet hat und die noch nie ausgestellt waren.
Am Abend vor der offiziellen Eröffnung gibt es eine exklusive Preview, bei der ein Held „seiner“, Wolfgang Tillmans, Jugend auftritt: Marc Almond, einst Frontmann der Popgruppe Soft Cell, und er singt wirklich „Tainted Love“. Almond ist in regenbogenfarben-changierendes Licht getaucht und trägt einen Anzug, während Tilmans im T-Shirt strahlend den Synth-Pop-Klängen lauscht.
Und die Besucher der Preview versuchen zu verstehen, was Tillmans ausmacht, warum er denkt und fühlt wie er denkt und fühlt, bzw. gedacht und gefühlt hat damals, als sie BWL und Jura studiert haben und maximal im Checker’s waren (wo immerhin Claudia Schiffer entdeckt wurde), und recken ihre Hälse und die Blackberrys, und ihre Namensschildchen wippen im Takt. Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein, singen Tocotronic, aber das ist eine andere Geschichte.
Ausstellung: Wolfgang Tillmans „Freischwimmer – 13 x Mittwochabends“, bis 7. Juli 2013, Kunstsammlung Nordrhein Westfalen, K21 Ständehaus Düsseldorf, www.kunstsammlung.de
Text: Nadine Barth
Nadine Barth stellt in ihrer Fotografiekolumne auf ARTberlin jeweils ein Hauptwerk von Fotografie-Ikonen vor. Künstler, denen sie oft selbst begegnet ist. In der Serie bereits erschienen sind u.a. Künstler wie Arnold Newman, Dorothea Lange, Stephen Shore, Hiroshi Sugimoto, F.C. Gundlach, Philip-Lorca di Corcia, Barbara Klemm, Andreas Feininger, Joel Sternfeld, Herb Ritts. Diane Arbus, Eliott Erwitt sowie Steve McCurry.