Paris
Paris war kalt. Sehr kalt. Feucht, neblig, windig. Die Heizung auf der Messe funktionierte nicht, alle froren in ihren fürs Opening tief dekolletierten Kleidchen. Versuchten, sich mit dem Champagner des Sponsoren aufzuwärmen. Ein irres Lachen schwebte im Raum. Das Duftgeschenk des anderen Sponsors schwamm derweil im Kübel mit den schmilzenden Eiswürfeln. Einigen VIPs wurde es zu kalt, sie verließen die Paris Photo. Andere machten unbeirrt ihre Geschäfte. In der Lounge flackerte ein Kaminfeuer auf einer Leinwand. Wir froren noch die ganze Nacht, aber, hey, es war Paris. Und das Paris, das am nächsten Tag immer noch kalt war, feucht, neblig und windig, feierte sich dann selbst: Le Beaujolais Nouveau est arrivé. Was sich angekündigt hatte, war mehr als ein Versprechen gewesen. Die Leichtigkeit trug uns durch den Tag. Ein Glas zum Boef Bourguignon, auf der Straße, draußen, unter den Heizstrahlern an der Opera. Überall hingen die Poster mit der schlanken Flasche im knallroten Paillettenkleid und extravaganten Schleifenhut, das die Esmod-Studentin Lucinda Rossat dieses Jahr entwerfen durfte.
Elliott Erwitt: Begegnung auf der Paris Photo
Beschwingt ging ich am Nachmittag auf die Messe zurück, die Heizung schien wieder zu gehen, ich trank einen Café Serré, machte ein paar Termine, und war dann schon fast am Ausgang, als mich Anatol Kotte auf einen älteren Mann aufmerksam machte, der mit seinem Stock die Halle durchquerte – leicht vornübergebeut, aber zielstrebig und interessiert, in beiger, wattierter Jacke, graues Haar, Brille. Schau mal, da ist Elliott Erwitt, sagte Anatol. Wirklich? Ich machte ein Foto mit meinem Handy und lief ihm hinterher. Behutsam legte ich meine Hand auf seine Schulter und sagte ihm, wie sehr ich ihn verehrte. Und dass er der Welt wundervolle Bilder geschenkt hätte. Er lächelte sehr freundlich, bedankte sich und ging zu einer seiner Galerien. Dort holte man ihm einen Stuhl.
Making people laugh is one of the highest achievements you can have.
Das ist sein Lieblingssatz. Der Satz, der sein Schaffen zusammenfasst: Menschen zum Lachen bringen zu können. Ja, eine Gabe, dachte ich. Und erinnerte mich, dass ich die Poster mit seiner Ausstellung in Paris in der Metro gesehen hatte. Am nächsten Tag suchte ich das Museum: Elephant Paname. Es lag in einer Seitenstraße zwischen Opera und Madeleine. Ein vertikaler Banner mit Elliott Erwitt wehte an der Häuserwand. Und innen waren sie dann alle versammelt: die Paare, Passanten, die Hunde, die Kinder. Schnappschüsse, Situationskomik, subtiles Spiel mit unseren Sehgewohnheiten. Eine Schar Mädchen, die einer Schar Gänse folgte, eine Gruppe wartende Frauen unter dem Schild „Lost Persons Area“. Dazwischen Portraits von Che Guevara, John F. und Jackie Kennedy, Marilyn Monroe. Alle schwarz-weiß, prägnant, auf den Punkt. Ein Reigen einfach freundlicher Fotos, so freundlich, wie Elliott Erwitt selbst, der 6 Kinder hat und ca. 8-9 Enkelkinder, der an Hunden liebt, dass sie „menschliche Eigenschaften“ haben und anhänglich sind und nicht „hinterhältig“, und für den es immer noch darum geht, „interessante Motive“ zu finden. Momente der Magie.
Elliott Erwitt: Der Magnum-Fotograf
In Paris fing Elliott Erwitts Reise zur Magie auch an. 1928 wird er hier geboren, als Sohn russisch-jüdischer Eltern. 1939 muss die Familie emigrieren, Elliott studiert in L.A. und New York, jobbt in einem Fotolabor, ist mit der US Army als Fotoassistent in Europa unterwegs, arbeitet für die Standard Oil Company, begegnet Edward Steichen und Robert Capa. Durch sie kommt er zu Magnum, 1953, ein Jahr später wird er bereits Vollmitglied der Agentur. Drei Jahre lang ist er sogar deren Präsident (1966-1969) und später zweimal Vizepräsident. Er veröffentlicht in Live, Look und Holiday und bringt ab den 1970er Jahren ein Buch nach dem anderen heraus. Die heißen „Son of Bich“ oder „To The Dogs“, „Snaps“ oder „Woof“. Später dann „Personal Best“ oder „XXL, Special Edition“. Seine Fotos sind so häufig publiziert, auf Postkarten und Postern, und wurden in Hunderten von Ausstellungen auf der ganzen Welt gezeigt, von Kyoto bis nach Oberhausen, dass man meinen könnte, der Kunstmarkt hätte sich von ihm abgewendet. Bei Sotheby’s jedoch wurde am Freitag während der Paris Photo eines seiner Lieblingsbilder, der Kuss im Rückspiegel, California, 1955, für 6.250 Euro verkauft und erzielte sogar mehr als taxiert. Ach ja, und 6 der 128 Galerien der Paris Photo hatten ihn auch in ihrem Programm. Zurück zu Elliott Erwitts Paris-Foto von 1989, dem 100. Jubiläum der Errichtung des Eiffelturms:
Paris: Stadt der Liebe
Wenn man an Paris denkt, fällt einem sofort der Eiffelturm ein, Liebende, die sich küssen, am besten beides zusammen auf dem Bild. Dass Elliott Erwitt einen Moment findet, in dem nicht nur deren Schirm vom Wind hochgeweht wird, sondern auch noch einen, in dem ein Mann mit einem (intakten) Schirm über eine Pfütze springt, mit weit ausgestreckten Beinen, elegant wie ein Turner, er sich sozusagen über die Liebenden erhebt, man dennoch den Eiffelturm im Hintergrund sich abzeichnen sieht – wow. Besser geht’s nicht. Witziger nicht. Charmanter nicht. Auch wenn Paris als Stadt der Liebe natürlich überbewertet ist und durch zu hohe Erwartungen ständig auch ein Ort von Enttäuschungen wird – es bleibt der Inbegriff an Romantik. Elliott Erwitt hat die Gefühle in ein starkes Schwarz-Weiß gebannt, er hält den Regen, das Kalte, Neblige, Windige von uns ab, dreht es um zu einem Sprung über alle Unbillen der Zeit oder des Gemüts – das Dazwischen wird leichfüßig überwunden. Das ist magisch.
Elliott Erwitt: Paris, 1989, Eiffel Tower, 100-year anniversary, ©Elliott Erwitt/Magnum Photos
Text: Nadine Barth