+/- bei 401contemporary: Ausstellungstipp der Woche
Die Idee von Galerist Ralf Hänsel die junge Künstlerin Fiene Scharp (*1984) mit dem Künstler Ignacio Uriarte in der Dialogausstellung +/- bei 401contemporary zusammen zu bringen ist genial und wunderschön anzusehen. Die Eröffnung von +/- ist diesen Freitag (5.6.2015) und wer sich von der organischen, zarten Präsenz der Papierarbeiten der beiden Künstler verzaubern lassen will, der begebe sich bitte unbedingt auf das alte Tagesspiegelgelände, wo 401contemporary als eine der ersten Galerien seit Dezember 2010 ihren Sitz hat.
Fiene Scharp und Ignacio Uriarte untersuchen in +/- die künstlerische Arbeit als nie endenden Prozess von „Hinzufügen“ und „Wegnehmen“ und kreieren ein gestisches Spiel innerhalb enger Grenzen. Ihre haptischen Papierarbeiten nutzen die formale Beschränkung von Papier zur Strukturierung der Werke: Gitter von Millimeterpapier oder vorgedruckte Schreiblinien sind die Vorlage für Materialadditionen mittels Schreibmaschine, Karbonpapier, Tinten- und Bleistiften – oder für die Materialentnahme mittels Schnitten und Nadelstichen.
Die Arbeiten der beiden sind poetisch zart und gleichzeitig formal klar.
Die langsame Aneinanderreihung von Strichen, Schnitten oder Schreibmaschinen-Anschlägen erinnern an repetitive, banale Büro-Arbeitsprozesse und damit an die Zeitverlauf-Markierungen konzeptioneller Künstler wie On Kawara oder Hanna Darboven. Gleichzeitig haben die Werke etwas Anachronistisches. Sie lassen an die vor-digitale Zeit denken, als wir noch mit der Hand geschrieben haben und jedes Schriftzeichen ein physischer Akt war, der physische Spuren auf dem Material hinterließ. Genau hier unterscheiden sich die beiden Künstler in ihrer künstlerischen Sprache.
Fiene Scharp: Ohne Titel (2014), Pigment removal on graphite paper, 45,5 x 37 cm, Photo: setform.de
Fiene Scharp’s Grundelemente sind Raster und serielle Strukturen.
Diese fügt sie zu einem feinen Linien-Gitterwerk zusammen. In ihren Karbonpapier-Monotypien radiert sie Kohlepapier weg und schenkt so dem ansonsten strengen Gitternetz feine organische Ungleichmäßigkeiten. Die Arbeiten der Künstlerin, die 2012 mit dem Meisterschülerpreis des Präsidenten der UdK Berlin ausgezeichnet wurde, sind von der Zeit befreit und zitieren Arbeitsmethoden, die es faktisch nicht mehr gibt. Ihre Schnittzeichnungen basieren auf den Linien und Rastern in gefundenen Schreib- und Rechen-Übungsheften aus u.a. Japan, Deutschland und den USA. Mit einem Skalpell hat sie die Leerflächen zwischen den Karos und Linien entfernt und neue Gitterstrukturen geschaffen. Entstanden sind Arbeiten, die, wenn sie frei im Raum hängen, zwischen Grafik und Skulptur changieren.
Ignacio Uriarte: ZXY Überlagerung, 2015, typewriter on paper, 59,4 x 42 cm, Photo: setform.de
Ignacio Uriarte verfolgt das Konzeptionelle.
„Seriell“ ist sein Eckpfeiler, den er über Aneinanderreihung einfacher Schreibmaschinenanschläge (x, y, z, %, /) oder durch unterschiedliche Schattierungen der Linien eines Moleskine-Notizhefts (Zig-Zag-Transition) lebt. Die Arbeit, oder vielmehr die Vortäuschung von Arbeit, ist ein Schlüsselelement: Seine “Strafarbeiten für Schüler“ spielen sowohl auf das konkrete Schreiben wie auch auf das Scribble an, das eher dekorative Zeichnerische. Zig-Zag-Transition steigert diese Ambivalenz und verleiht dem Blatt eine skulpturale Anmutung. Und „From A4 to A5 and Back Again“ ist ein praktischer Versuch, den Übergang verschiedener Blattformate mittels mathematischer Methoden darzustellen. Das Ergebnis ist eine überraschend organische, disziplinierte Wandarbeit.
Ausstellung & Opening
+ / – : Fiene Scharp, Ignacio Uriarte
Opening: 5. Juni 2015, ab 18.00 Uhr
Laufzeit: 6. Juni 2015 bis 1. August 2015
Ort: Galerie 401contemporary / Potsdamer Strasse 81B / 10785 Berlin
Wer mehr über 401contemporary wissen möchte: Galerieprofil im ARTberlin Künstlerführer von 401contemporary
Über die Künstler
Fiene Scharp (*1984, Berlin) studierte freie Kunst an der UdK Berlin, war 2011 Meisterschülerin bei Gregor Schneider und erhielt 2012 den Meisterschülerpreis des Präsidenten der UdK Berlin. Sie nahm bereits 2012 an der Ausstellung „Rasterfahndung – Das Raster in der Kunst nach 1945“ des Kunstmuseum Stuttgart teil. Es folgten zahlreiche Einzel-und Gruppenausstellungen in Europa und Nordamerika. Ihre Arbeiten wurden von namhaften privaten wie auch institutionellen Sammlungen erworben – unter anderem vom Kunstmuseum in Stuttgart und der Grafischen Sammlung der Museen zu Berlin (Stiftung Preußischer Kulturbesitz). Scharp ist diesjährige Stipendiatin des Else-Heiliger-Fonds (Konrad Adenauer Stiftung).
Ignacio Uriarte (*1972, Krefeld) hat sich – nach betriebswirtschaftlichem Studium und Tätigkeiten – erst 1999 vollständig der Kunst gewidmet. Er befasst sich neben seinen Zeichnungen auch mit Installationen, Videos und Soundarbeiten. Er wurde in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen international gewürdigt – zuletzt in der Fondation Hermès in Tokyo. Seine Werke befinden sich international in Sammlungen in Spanien, Italien, Frankreich, Mexico, USA und in Deutschland u.a. in den Sammlungen der Berlinischen Galerie, der Grafischen Sammlung der Museen zu Berlin (Stiftung Preußischer Kulturbesitz), der Städtischen Galerie im Lenbachhaus in München und im Museum Ludwig in Köln.