Tatjana Doll: Angetrieben vom Unerreichbaren
Lackfarbe träufelt, fließt die überdimensional große Leinwand herab. Der große Kopf einer mystischen Moai-Statue aus der Serie AKKU AKKU blickt abwesend auf uns herab. Es riecht nach Lackfarbe. Tatjana Doll hat kurz vor unserer Ankunft noch gemalt.
AKKU AKKU trägt die Idee einer vergangenen Kultur in sich. Ich war nie auf den Osterinseln aber bin fasziniert von den organischen Steinformationen dort. Wir haben in unserer Kultur den Wald durch mehr Maschinen ersetzt und damit die Sehnsucht nach dem, was Wald sein könnte, geweckt. Das Spannende ist doch das, was nicht mehr erreichbar ist. Ich bin angetrieben von dem, was unerreichbar bleibt. Das hat Schönheit.
Die in Berlin lebende Künstlerin ist international bekannt für ihre fließende Lackfarben-Technik, aus der ihre (über-) lebensgroßen Gemälde und Real Paintings entstehen. Zwei ihrer zentralen Themen sind die Konfrontation mit Übermaß und Einfachheit sowie die Gegenwart von Wirklichkeit auf mehr als einer Dimension.
Tatjana Doll lehrt aktuell Malerei an der Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe und hat zu Beginn ihrer künstlerischen Laufbahn zusammen mit befreundeten Kunststudenten Ausstellungen und Partys in geheimen Locations organisiert. Die Gruppendynamik wurde ihr bald zu viel.
Ich wollte keine Band sein, die sich für ihre Auftritte verabredet. Ich wollte Malerei machen und dabei nicht das Klischee von Malerei bedienen, sondern malen was da ist. Das darf respektlos, ja plump sein. Brutalität hat mich schon immer interessiert.
Tatjana Doll ist sehr direkt. Das kriegen auch wir zu spüren. Sie verschwendet keine Zeit mit Floskeln.
Ich merke, dass ich alltägliche Dinge und Situationen nicht mehr so gut aushalten kann. Manchmal vergesse ich dann, höflich zu sein. Obwohl ich Menschen gerne mag.
Wir stehen im Atelier der erfolgreichen Malerin.
Uns umgeben mindestens sechs Meter hohen Decken, von Wänden mit offenem Steingemäuer und einem Betonboden mit Leintüchern voller Lackfarbe. Tatjana Doll malt ihre Bilder auf dem Fußboden.
Im hinteren Teil des Backsteinbaus wird der Raum zum Wohnbereich der Künstlerin und erst dahinter erstreckt sich ihr eigentlicher Arbeitsraum mit den Oberlichtern, die den Blick in Baumkronen schicken. An der Wand hängt ein Triptychon, an dem sie gerade arbeitet, an der gegenüberliegenden stapeln sich fertige Bilder. Die meisten überragen uns in ihrer Höhe.
Vor zwei Wochen zum Gallery Weekend 2015 hat Tatjana Doll in der Berliner Galerie Gebr. Lehmann ihre 6. Einzelausstellung „The Pharaoh Is Coming“ eröffnet. Wer die Künstlerin kennt, wird überrascht. Die vier Gemälde aus drei Serien schimmern durch Glas und tragen einen Goldrahmen. Ein Novum für die Künstlerin. Und ganz bestimmt kein Zufall.
Du hast deine Arbeiten für „The Pharao Is Coming“ zum ersten Mal rahmen lassen…
Ja. Das Gold des Rahmens kitzelt die Farben heraus, so wie die Sonne es tut. Francis Bacon hat damals ganz bewusst mit Goldrahmen gearbeitet. Glas hingegen schafft die Unmöglichkeit der Berührung. Durch die Glas-Spiegelung ist nicht sicher, ob das Werk tatsächlich da ist oder ob es eine optische Täuschung ist. Berührung und Nicht-Berührung gegeneinander auszuspielen ist zum zentralen Thema für mich geworden.
Die Arbeiten bei Gebr. Lehmann stammen aus unterschiedlichen Jahren. Produzierst du gar nicht direkt auf Ausstellungen hin?
Nein. Tue ich nicht. Ich arbeite mit einem Pool von Arbeiten, aus dem ich für meine Ausstellungen auswähle. Die anderen bleiben bei mir, weil ich weiter mit ihnen denke. Den Darth Vader (aus der Serie DUMMY, 2012-2013 Anm. d. Red.) habe ich zum Beispiel zum dritten Mal ausgestellt. Ganz einfach weil ich Lust dazu hatte. Mich reizt es total, dass man dieses Mal nicht weiß, ob man ihn anfassen kann oder nicht
Darth Vader erhebt sich auf drei Metern Höhe in geschwärztem Lack.
Auf den dunklen Grund der Leinwand sind ein Dunkelrot, ein tiefes Schwarz und ein klarer heller Kreis angestrahlt. Auf ihn hat Doll ein schwarzes Hakenkreuz gesetzt und dessen von Lackfarbe zerflossenen Trennlinien nachträglich mit weißen Linien retuschiert.
Das Hakenkreuz ist erst mal ohne Wertung. Kippenberger hat einmal gesagt: Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz erkennen. Wir haben es uns zum Tabu gemacht, mit den Möglichkeiten, die unsere Geschichte bietet, präzise umzugehen. In meinen Augen haben wir uns von unserer natürlichen Intelligenz entfernt und uns weit zurückgezogen. Für mich ist das ein Verlust in der Möglichkeit von Genauigkeit.
Du malst unglaublich viel – brauchst du Pausen davon?
Ich bin auf Viel-Malen eingestellt und bleibe an meinen Arbeiten so konsequent dran wie draußen in der Welt. Früher war ich getrieben davon das perfekte Bild erschaffen zu wollen. Dann kam der Moment, als der Weg ins Atelier sich anfühlte als würde ich zur Arbeit in meine Autowerkstatt gehen. Ich war zu meinem eigenen Handwerker geworden. Daraufhin habe ich mich gefragt, was ich als Malerin gerne sehen würde. Und die Antwort war: Malerei von anderen Malern. Ich wollte durch mein eigenes Museum wandern können. So ist die RIP-Serie geboren worden.
In RIP „übermalte“ Tatjana Doll markante Gemälde der Kunstgeschichte.
Darunter sind Arbeiten von unter anderem Picasso, Max Beckmann und Francis Bacon, die Tatjana Doll mit ihrer charakteristischen Lackfarben-Technik neu malte. In „The Pharao Is Coming“ hängt das 2,10 m breite und 1,80 m hohe RIP_Magnetic Pimp Force Field (2014), das auf das 1948 datierte Pastell Pink Lady von Willem de Kooning zurückgreift. Tatjana Doll hat dessen Frauenfigur in eine zarte, fast abstrakte Kontur übertragen die in die Dunkelheit wandert.
Zu RIP erlaubst du explizit, dass man über dich schreibt „Wie eine Diebin stiehlt sie markante Gemälde um sie noch einmal in Lackfarbe zu malen“. Bekommst du da nicht Gegenwind?
Ich verstehe die Serie mehr als DVD, die das Datenformat eines Films komprimiert. Der Kunstbetrieb ist ja ziemlich parasitär. Es stimmt ja nicht, dass Künstler alles allein aus sich heraus neu erfinden. Man wird immer inspiriert von anderen. Wir lernen voneinander. Copyrights finde ich komisch. Eine Neuerfindung hängt doch vielmehr davon ab, wie weit man die Grenzen im Kopf ausdehnen kann.
Malst du mit dieser Intention?
Ich würde eher sagen: Ich male mit scharfer Konzentration und total intuitiv. Die Konzentration macht mich zum Medium und dann schaue ich erstaunt oder gelangweilt auf das, was entstanden ist.
Du lässt dich also leiten?
Es ist eher so, dass ich nicht so viel über die Form nachdenke. Ein Baum wächst bis er eine bestimmte Größe hat. Von da an kann er nur noch damit umgehen. Es gibt keinen wirklichen Neuanfang mehr.
Die Schlüsselthemen und wichtigsten Arbeiten von Tatjana Doll gibt es im ARTberlin Künstlerführer für euch: Tatjana Doll
Aktuelle Ausstellung THE PHARAOH IS COMING
Zu sehen bei Galerie Gebr. Lehmann, Berlin
Laufzeit bis zum 31. Juli 2015
Lindenstraße 35, 10969 Berlin
Fotos: Tobias Laukemper für ARTBerlin // Ausstellungsansichten: Roman März