pro|me|the|isch an Stärke, Energie u. Größe alles überragend, himmelstürmend
Prometheus (griechisch Προμηθεύς Promētheús ‚der Vorausdenkende‘, ‚der Vorbedenker
Als ich mir das erste Mal die missiles Serie angesehen habe, hatte ich sofort ein Gefühl von „guilty pleasure“. Es erinnerte mich an die merkwürdige Faszination die Kriegsschiffe für mich haben. Die missiles strahlen neben der Eleganz und Perfektion auch diese Gefahr und Endgültigkeit aus, die sie in sich tragen.
Sebastian kannst du diese Reaktion nachvollziehen?
Ich hatte tatsächlich über viele Jahre auch eine große Faszination für U-Boote – und ich habe bis heute nicht ganz dechiffriert, warum eigentlich. Aber es war eher der Reiz der Stärke und Gefährlichkeit als eine Angst oder Bedrohung. Und das ist auch bei den Raketen ein enorm wichtiger Aspekt: kein Betrachter (bis jetzt) fühlte sich bedroht, sondern ganz im Gegenteil, die meisten waren fasziniert. Daher bist Du mit dem „guilty Pleasure“ alles andere als alleine – und genau das will ich erreichen. Man kann einer solchen Waffe nicht neutral gegenüberstehen: entweder sie bedroht oder sie „beschützt“ einen.
Wie kam es zu dieser Serie?
Als ich alte Kinderfotos von mir entdeckte, auf denen ich stolz ein Plastikschwert schwang, erinnerte ich mich daran, wie wir Jungs uns bei allen möglichen Gelegenheiten mit Spielzeugwaffen behakten. Sei es als Cowboy, Pirat oder etwas später im Ego-Shooter: irgendetwas faszinierte uns am Kämpfen und den damit verbundenen Attributen.
Das wurde aber im Kindergarten oder der Schule nie gerne gesehen und somit mussten wir unser Spielzeugwaffen stets diskussionslos abgeben. In unserer naiven und kindlichen Vorstellung verloren aber die Charaktere dadurch ihre Berechtigung: „Ein Cowboy ohne Pistole?“ Ich stellte mir dann die Frage, ob von diesem Reiz auch im aufgeklärten und friedliebenden Erwachsenendasein noch etwas übrig geblieben ist.
Und um das zu testen, schienen mir Marschflugkörper sehr geeignet.
Sie sind zum einen abstrakter als gewöhnliche Handfeuerwaffen, weil man an sie nicht herankommt und zum anderen symbolisieren sie – allein durch ihre Größe – eine Vielzahl an Energien: Schnelligkeit, Detonationsstärke, Manövrierfähigkeit etc., die man anhand des Designs förmlich spüren kann.
Und was möchtest Du beim Betrachter auslösen?
Im Idealfall die selbstreflexive Erkenntnis, dass tief in uns trotz Aufklärung und Bildung eine gefährliche Begeisterung für Machtsymbole schlummert. Was sehr auffällig ist: die Reaktionen fallen erstaunlicherweise zwischen den Geschlechtern teilweise völlig unterschiedlich aus. Weibliche Betrachter erleben die Serie oftmals viel abstrakter und sind vor allem vom ästhetischen Aspekt beeindruckt. Männer hingegen gehen viel stärker auf die Attribute der Waffe ein: den Sprengkopf, den Antrieb, die Flügel – und bringen zu meiner Verwunderung erstaunlich detailliertes Wissen mit. Viele kennen sogar die Originalnamen bzw. wo und wie die jeweiligen Raketen zum Einsatz kommen. Das zeigt mir schon, dass es oftmals eine sehr unterschwellige Auseinandersetzung mit der Thematik gibt.
Die Bild wirken ja wie Fotografien echter Waffen. Was ist davon real und was Fiktion?
Alle meine Modelle haben reale Vorbilder, die sich auch größtenteils aktiv im Dienst befinden. Ich versuche daher, mich weitestgehend an diesen Originalen zu orientieren. 100 % exakte Kopien sind aber weder möglich, noch gewollt. Viel wichtiger ist für mich vielmehr die absolute Plausibilität, dass es real sein könnte.
Am deutlichsten sind die konzeptionellen Eingriffe. Da mir der serielle Charakter enorm wichtig ist, dienen Farbgebung, Nummerierungen und grafische Elemente als bewusste Klammer. Ebenso verzichte ich auf nationale insignien, weil diese zum einen von der eigentlichen Intention der Arbeite ablenken und zum anderen in eine politisch ungewollte Richtung lenken könnte.
Stattdessen tragen die missiles Namen altertümlicher Göttinnen, welche oftmals sowohl für Krieg als auch Liebe gleichzeitig standen – und das völlig kulturübergreifend.
Was mir als erstes aufgefallen ist, als ich Deine Serien SOMMER und DAHINTER angesehen und auch Deine Gedanken dazu gelesen habe, wie viel Überschneidungen es hier gibt. *
Auch wenn die Werke auf den ersten Blick unterschiedlich scheinen, gibt es doch die tiefe Verankerung der Bedrohung – jedoch aus zwei verschiedenen Perspektiven. Während ich bei „missiles“ etwas Bedrohliches sehe, ohne mich bedroht zu fühlen, verhält es sich bei den Stadtmotiven komplett diametral: ich sehe nichts Gefährliches, fühle mich aber dennoch unbehaglich. Auch formal kann man hier einen Zusammenhang erkennen: sowohl die Raketen als auch etliche Motive aus „Dahinter“ wirken oftmals sehr frontal/planar – also sehr geradlinig streng ins Bild eingepasst. Fast so, als würde es sich um Filmkulissen in einem Studio handeln.
*es handelt sich bei SOMMER um die ersten Versuche der Bildbearbeitung die Sebastian Schmidt 2002–2003 unternahm, ursprünglich hatte er diese Motive als Vorlagen für Ölgemälde angedacht. Die digitale Fotoserie DAHINTER die zwischen 2008 und 2009 entstand, widmet sich dem Narrativ der Stadt und war als eigenständige Bilderserie angelegt.
Vor allem die Serie DAHINTER erinnert mich total an die Luftleere des Weltalls. Wenn ich deine missiles Reihe ansehe kommen sehr ähnliche Assoziationen hoch?
Die Assoziation kam mir tatsächlich noch nicht, weil ich mit dieser Art Rakete eher den Luftraum verbinde. Ich muss aber gestehen, dass die Stadtserien durchaus einer Science Fiction Story aus einem Parallel-Universum entsprungen sein könnten.
Verstärkt wurde das auch durch sehr intensive Träume damals, in der ich quasi mein ganzes Umfeld stillschweigend verliere, aber dennoch scheint die Sonne, alles ist enorm ruhig und irgendwie friedlich, melancholisch – obwohl man weiß, dass etwas Furchtbares passiert sein muss.
Vielleicht strahlt deshalb auch alles so unnatürlich, weil irgendwo ein Kraftwerk in die Luft ging oder eine Atombombe fiel. Diese unwirkliche, merkwürdig-entrückte Stimmung wollte ich zeigen.
Diese intensiven Träume, die du damals hattest, gab es dafür einen Auslöser, oder war das etwas Wiederkehrendes?
Als ich mit ungefähr 17 Jahren durch eine Grippe gezwungenermaßen eine ganze Woche im Bett verbringen musste, begann ich, mich stoisch durch die Reklam Hefte meiner Eltern zu lesen. Es begann mit der Judenbuche und endete mit den Räubern. Jeden Tag schaffte ich von morgens bis Abends knapp 3 Hefte. Und exakt in dieser Woche begannen diese unfassbar intensiven Träume. Es schien, als würde mein Hirn all diese unterschiedlichen Geschichten zu etwas völlig neuem kombinieren wollen. Und spätestens da war wurde mir auch klar, dass ich das verarbeiten musste. Warum die Träume so dystopisch waren, lässt sich schwer erklären.
Vielleicht offenbaren sie eine gewisse Urangst in mir, die mich sehr lange beschäftigte.
Hinzu kommt, dass ich in meiner Kindheit generell alle Arten von Medien so stark in mich aufsog, dass sie mich bis heute beschäftigen. Über die Jahre hinweg haben sich so in meinem Kopf unzählige Bilder angesammelt, die bis heute darauf warten, umgesetzt zu werden.
Kommen wir zum Prozess des digitalen Bauens Deiner Arbeiten, wie können wir uns das vorstellen?
Bei den früheren Arbeiten war es sehr viel Experimentieren und bestand vor allem aus der Rekonstruktion, Manipulation und dem Neu-Arrangement von Fotos.
Bei den „missiles“ brauchte ich erstmal 3 Jahre Vorlauf, bis ich überhaupt in der Lage war, in der gewünschten Qualität zu arbeiten. Hier bedurfte es viel mehr Wissen, als ich ursprünglich ahnte.
Zuerst trage ich soviel Informationen wie möglich zu den einzelnen Raketentypen zusammen. Die auffindbaren Fotos sind leider oftmals nicht in perfekter Qualität – aber ich bekomme einen Eindruck von der Materialität und den ungefähren Proportionen. Zu ergänzende Details (z. B. Schrauben, technische Applikationen etc.) muss ich bestmöglich rekonstruieren oder selbst entwickeln – sowohl am Computer als auch mit dem Bleistift.
Hierzu zählen auch die grafischen Elemente und Beschriftungen. Gerade die Details – von der kleinsten Schraube bis zum Kratzer oder einem leicht angerissenen Aufkleber – sind hierfür enorm wichtig. Und da steckt auch ein Großteil der Arbeit drin – vor allem, weil die Endbilder in der Originalauflösung bis zu 900 Megapixel haben – übrigens ein Vielfaches dessen, was aktuelle Kameras leisten können.
Im nächsten Schritt wird dann das Gittermodell in einem 3d-Programm erstellt und Schritt für Schritt verfeinert. Gröbere Kratzer/Dellen werden ebenfalls addiert. Einer der wichtigsten Aspekte im Anschluss ist die Texturierung – also das Erstellen von Materialien – sowie die anschließende Ausleuchtung. Beides ist essentiell um einen absolut fotorealistischen Look zu kreieren.
Dieser gesamte Prozess erfolgt mit einer physikalisch korrekt arbeitenden Software – sprich: das virtuelle Licht verhält sich exakt wie in der realen Welt. Das finale Rendering sieht dann aus wie ein normales Foto. Erst in der Postproduktion erhält das Bild seinen letzten Schliff, bis es den gewünschten Look hat.
Zum Leben wird es aber erst im Druck erweckt. Hier verwende ich ein absolut hochwertiges Hahnemühle-Papier, dass selbst die zartesten Abstufungen ideal zur Geltung bringt.
Es ersetzt ja den klassischen Prozess eines Malers der in Öl z.b. – du arbeitest ja im digitalen Raum. Fehlt dir manchmal etwas, rein haptisch, oder brauchst du vielleicht sogar diesen Abstand?
Tatsächlich wollte ich ursprünglich malen. Ich bin quasi mit Ölfarbe aufgewachsen, da mein Vater jedes Wochenende akribisch den Pinsel schwang.Er brachte mir bei, wie man Szenen und Motive konstruiert, Licht einsetzt und welche Vorteile verschiedene Farbkombinationen in Lasurtechnik haben. Seine Ergebnisse sind so altmeisterlich akkurat, dass mich das stark beeinflusste. Auf der anderen Seite faszinierten mich aber auch immer schon die großformatigen Fotowerke von Gursky. Hier konstruiert der Künstler ebenfalls das Bild streng nach seiner Vorstellung, aber eben mit den Mitteln der Fotografie. Nichts bleibt dem Zufall überlassen.
CGI ist für mich eine völlig eigenständige Kategorie, welche die Essenz beider Welten verbinden kann: absolute Schöpfungsfreiheit und technische Innovation.
Man darf aber auch nicht vergessen: ich habe mit CGI begonnen, weil es die einzige und beste Möglichkeit für mich war, die „missiles“ umzusetzen. Andere Techniken hätten meines Erachtens nach, nicht das gewünschte Ergebnis gebracht.
Das Haptische war hingegen nie so ausschlaggebend für mich bei der Malerei – im Gegensatz zur Farbintensität und -tiefe. Doch moderne Papiere und FineArt-Drucker schaffen inzwischen enorm brillante Resultate.
Hier löst sich dieser vormalige Unterschied zunehmend auf. Und das Erlebnis, wenn ich meine Arbeit zum ersten Mal gedruckt vor mir sehe, ist für mich so erfüllend, dass ich eigentlich nichts vermisse.
Wie siehst Du grundsätzlich die Rolle von CGI in der Kunst?
So etabliert diese Technologie schon seit Jahrzehnten in der Industrie- und Unterhaltungsbranche ist, so selten trifft man sie aktuell noch in Galerien an. Gefühlt befinden wir uns hier in der Kunst noch ganz am Anfang – was die Thematik umso reizvoller macht, da man quasi live die ersten Höhlenmalereien dieser Gattung mitverfolgen kann! Da moderne 3D-Programme immer erschwinglicher, aber auch leistungsfähiger werden, nimmt die Zahl der Benutzer kontinuierlich zu. Vor allem Grafikdesigner, kleinere Studios und Architekten experimentieren hier berufsbedingt auf spielerische Weise sehr viel. Und das ist enorm wichtig, weil man erst hierdurch die überwältigenden und schier unendlichen Möglichkeiten dieser mächtigen Technologie erforschen kann.
Richtig spannend wird es jedoch werden, wenn wir CGI wie die Malerei oder Fotografie auch in der Kunst als vollwertiges und eigenständiges Werkzeug begreifen, mit dem sich neue Ideen verwirklichen lassen.
Das verlangt aber auch, dass wir Künstler es schaffen, den digitalen Werken Tiefe und Leben einzuhauchen, um den Betrachter zu berühren – und somit langfristig seine Sichtweise auf diese Gattung zu öffnen.
Sebastian Schmidt
missiles
Header Photo: Studio Sebastian Schmidt
Photo Credit: Martin Peterdamm und der Künstler.