Junge Künstler 

Katharina Ziemke. Intensive Wirklichkeit einer jungen Künstlerin

Die Malerei der jungen Künstlerin Katharina Ziemke zieht hinein in eine ganz eigene Wirklichkeit. Heute Abend (7.9.) eröffnet ihre Ausstellung INSTITUTE FOR THE BLIND. Für Thomas Ostermeiers Neuinszenierung von Henrik Ibsens 'Ein Volksfeind' zeichnete sie das Bühnenbild in der Schaubühne.

Katharina Ziemke in der Galerie Manzoni Schäper

Ich treffe Katharina Ziemke in der Potsdamer Straße zwei Tage vor ihrer Ausstellungseröffnung in der Galerie Manzoni Schäper. Und drei Tage bevor ihre Zeichnungen das Bühnenbild in der Schaubühne zieren werden. Thomas Ostermeier wollte ihre Kunst für die Neuinszenierung von Henrik Ibsens „Ein Volksfeind“.

Katharina, wie kam es dazu, dass du das Bühnenbild für die Schaubühne gezeichnet hast?
Thomas Ostermeier kaufte vor ungefähr zwei Jahren ein Bild von mir. Später fragte er mich, ob ich für das Bühnenbild seiner Inszenierung von Ein Volksfeind Wandzeichnungen entwerfen würde.

Ich war zunächst unsicher, da seine Idee, die Zeichnungen an den Stil von Jean-Michel Basquiat anzulehnen, im Gegensatz zu meiner sonst sehr freien Herangehensweise an Malerei stand.

Die Motive sollen die wirre, fast paranoide Gedankenwelt eines jungen, politisch engagierten Menschen darstellen. Ich empfand es als mutigen Schritt von Thomas Ostermeier. Unsere Zusammenarbeit wurde dann zur Bereicherung. Trotzdem war es nicht immer leicht, seine Vorstellungen genau umzusetzen. Aber jetzt im Nachhinein, könnte ich mir vorstellen, in Zukunft öfter Bühnenbilder zu zeichnen.

Katharina ZiemkeKatharina Ziemke spricht über einen Entwurf mit Thomas Ostermeier

Der Hof vor dem Eingang der Galerie Manzoni Schäper ist so schön wie unansehnlich. Es ist der Hof des alten Tagesspiegelgeländes, der erklärte neue Lieblingsort für Galerien aus London, Hamburg und Berlin. Ein Ort, der Spannung schafft. Eine Spannung, die auch Katharina Ziemke in ihren realistischen Bildwelten in Öl und Pastell erzeugt. Hoffnung und Traurigkeit, Glück und Unglück, Leid und Freude – die Malerei der jungen Künstlerin vereint beide Seiten und überlässt es dem Betrachter, seine eigene Realität zu kreieren. Katharina Ziemke konzentriert sich derweil auf die detaillierte Darstellung der Oberfläche und eine sehr eigene, starke Farbigkeit.
Als ich im ersten Stock die Räume von Manzoni Schäper betrete, wird dort gerade das letzte Bild für ihre Ausstellung Institute for the blind an der Wand befestigt.

Katharina ZiemkeKatharina Ziemke

Wie sind deine Bilder für die Ausstellung „Institute for the blind“ entstanden?
Ich hatte zunächst keine genaue Vorstellung, wie die Ausstellung aussehen würde. Bei mir passiert alles sehr intuitiv. Die Bilder entwickeln ein Eigenleben, genau das finde ich interessant.  Ich beginne mit einem Bild und alle weiteren kristallisieren sich dann um dieses herum. Für die Serie Institute for the blind gab es ein Schlüsselbild. Es zeigt ein Mädchen in einem Raum, das nur von hinten zu sehen ist. Sie sitzt vor einer Schreibmaschine, auf der sie in Blindenschrift schreiben kann. Diese Bild wird jedoch letztendlich nicht mehr auf dieser Ausstellung gezeigt, da hierfür neue Bilder entstanden sind.

Was hält sie zusammen?
Dazu muss ich beschreiben wie die Bilder entstanden sind. Als Vorlage verwende ich Schwarz-Weiß-Fotografien, die ich im Internet finde. Ich gebe Begriffe bei Google ein und  stoße so über Umwege und oft ganz zufällig  auf interessante Bilder oder historische Fotoarchive. Oft finde ich nichts, manchmal aber gibt es Seiten, da finde ich zehn gute Bilder. Die Fotos drucke ich dann aus und bewahre sie in einem Karton auf.

Für Institute for the blind habe ich einige Fotos auf der Seite eines neuseeländischen Blindenheims gefunden. Sie entstanden wohl um die Jahrhundertwende. Ich begann mich mit dem Thema Blindheit zu beschäftigen und versuchte mir vorzustellen, wie ein blinder Mensch Farben wahrnimmt.

Katharina ZiemkeKatharina Ziemke

Deine Malerei hat eine sehr spezielle Farbigkeit. Wie entstehen die Farben?
Die Schwarz-Weiß Bilder sind für mich sehr neutral, unbelebt. Sie haben etwas Unwirkliches, das ich mit Leben fülle. Meine Farbgebung hat nichts mehr mit der Natur zu tun.

Ich bilde jene Farben ab, die in meinem Kopf entstehen. Es ist wie eine Vision, in der eine neue Wirklichkeit entsteht.

Das macht die Bilder subjektiv und emotional. Ähnlich stelle ich mir das bei einem blinden Menschen vor, der die Welt in seinen Gedanken kreiert. Er weiß nicht, ob das, was er sieht, tatsächlich real ist.

Deshalb auch der Titel: „Institute for the blind“…
Genau. Die Idee ist, die Galerie in eine Art Institut zu verwandeln, das alle Bilder vereinigt und den physischen Rahmen vorgibt. Die Bilder werden zu seinen Bewohnern. Jeder darf aber seine eigenen Gedaken drum herum spinnen. Wie ein Blinder, der als Vorgabe weder Farben noch Formen hat, sondern seine Realität selbst erschafft. Ich wollte möglichst viel Raum für narrative Fäden im Kopf der Betrachter lassen.

Auch mir fällt es nicht leicht, den Figuren und Objekten sofort ein bestimmtes Gefühl oder eine Stimmung zuzuordnen. Wir stehen länger vor dem Bild von Walter Yeo und mit der Zeit stelle ich fest, dass sein abstoßendes Äußeres nur der erste Eindruck ist. Je länger ich schaue, desto mehr sehe ich seine verletzliche, traurige Seite.

Katharina Ziemke

Bei deinen Bildern ist das ähnlich,  finde ich. Sie lassen sich nicht eindeutig einem bestimmten Gefühl zuordnen.
Das möchte ich auch erreichen. Ich versuche Zeitlosigkeit und Universalität darzustellen. Ursprüngliche Symbole, wie Feuer oder ein auf dem Boden liegendes Kind, die heute, in der Vergangenheit oder in der Zukunft da gewesen sein könnten.

Wie siehst du das Bild von Walter Yeo?
In diesem Bild liegt für mich viel Spannung. Einerseits habe ich den Eindruck eines Monstrums, weil er sehr verunstaltet ist. Andererseits hat er etwas sehr Zartes und Verletzliches. Vor allem der Mund zeigt seine Traurigkeit, etwas, wie ein Beben der Lippen, das den Eindruck hinterlässt, er würde jeden Moment  zu weinen beginnen. Während des Malens merkte ich immer mehr, dass ich Walter Yeo total lieb gewonnen habe. Ich weiß, dass er ein englischer Marinesoldat aus dem ersten Weltkrieg war, der durch eine schlimme Gesichtsverletzung verunstaltet wurde. Das Verletzliche hat mich fasziniert. Vielen Menschen wird er wahrscheinlich Angst machen. Sein Blick hat aber auch etwas Scheues, als konnte er dem Blick der Kamera nicht standhalten, weil ihm seine Verunstaltungen unangenehm sind.

Glaubst du, dass etwas in deinem Inneren die Entstehung deiner Bilder steuert? 
Zu einem bestimmten Zeitpunkt steuert sich das Bild selbst. Geboren wird es wohl intuitiv aus der dunklen Suppe des Unterbewussten, die sich ihren eigenen Weg sucht. Dieser Prozess ist nie bewusst oder rational.

Katharina Ziemke: Schaubühne

Wir gehen zusammen auf den Hof, blicken sehnsüchtig durch die großen Fenster in den Concept Store von Andreas Murkudis, schlagen den Bogen über Colette und kommen auf ihr Leben in Paris und Berlin zu sprechen. Im Gespräch wird klar, dass es für sie nicht relevant ist, in welcher Stadt sie lebt. Sie braucht Berlin nicht als Inspiration. Es bedarf nur eines leeren Raumes und ihrer Gedanken, um ihre Bilder zu erschaffen.

—————————————————————————————————————————————

Ausstellung Katharina Ziemke: Institute for the blind

Eröffnung: 7. 9.2012, 18 – 21 Uhr // Laufzeit 8.9. – 20.10.2012
Galerie Manzoni & Schärper
Potsdamer Strasse 77-87, Haus H, Berlin

Schaubühne: Ein Staatsfeind

Aufführung 8.9.2012
Thomas Ostermeier // Schaubühne
Kurfürstendamm 153, Berlin

Fotos: Winfried Veil